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Anna Schultheß an Pestalozzi

Im März, Freitags. [1768.]

So sei es denn, mein bester Freund, gerader, ehrlicher Jüngling! Wir wollen dem wichtigen Fall, wie wir uns mit Anstand unsern teuren Eltern entdecken wollen, noch ferner miteinander nachhängen, aber dennoch auch hierin der Vorsehung danken, daß sie doch unendlich gütiger sind, als wir erwarten durften.

Freund, wenn meine liebe Mutter ein einziges Mal mit Ruhe davon spricht, so bestraft mich fast mein Innerstes, daß ich ohne ihr Vorwissen so weit gegangen. Aber Gott weiß, daß mein Herz grausame Auftritte befürchtete, und auf der andern Seite war es doch auch Pflicht, Dir, bester Jüngling, zu sagen, wie weit Deine Tugend und Redlichkeit in meinem Herzen Empfindlichkeit und Liebe rege gemacht.

Ich bereue niemals, Dich und mich durch meinen Entschluß ganz in Ruhe gesetzt zu haben, nicht einmal der tausend Annehmlichkeiten zu gedenken, die wir so unerwartet seit dieser Zeit genossen. Nein, die konnten wir nicht im voraus wissen, wenigstens mit wenig Hoffnung. Aber mein Verstand und mein Herz und die Merkmale, die mir die gütige Vorsehung bei Deinem Anerbieten zeigte, billigten dies feierliche, nur mit Gott getane Versprechen – denn nicht einmal Kaspar wußte davon, bis ich ihm das Blatt wies –, und die süße Ruhe, die ich in mir empfand, nachdem ich es getan, war mir Überzeugung genug, daß, wenn ich durch eine eheliche Verbindung meiner Bestimmung entgegengehen und an der Hand eines würdigen Gatten noch mehr vervollkommnet werden sollte, es mir durch keine Kreatur außer Dir gelingen würde ...

Ob eine unzeitige, schnelle Leidenschaft an diesem Entschlusse teilhatte, weißt Du am besten, meines Herzens Erwählter! Du weißt, ob wir nicht in rechter Zeit ihr den freien Lauf gelassen und bis dahin unschuldig und ohne Reue genossen. Du weißt dies, denn Du hast, wie ich denke, die Staffel des Genusses behutsam und mit Übereinstimmung der Tugend und Deines Gewissens angemessen. Unschuldiger Jüngling, Dich habe ich aus der Hand meines Gottes empfangen, Du mich, daß Eines das Andere ermuntere, den Endzweck seiner Absichten zu erreichen. Aber jetzt ist es an dem, daß wir das alles als einen Fehler gestehen und Verzeihung fordern [sollen]. Das haben wir dem elenden Stadtgeschwätz zu verdanken! ...

Doch noch ein Wort vom Vermögen. Es ist doch entsetzlich, mein Vertrauter, wie außerordentliche Verluste die Zeit her in der Handlung vorkommen, sehr beträchtliche, und recht schmerzhaft, da es meistens geliehene Gelder sind, die aus générosité gegeben worden sind – ich sage Dir dies aber im Vorbeigange. Denn nicht Leichtsinn ist es, daß ich mich vor der Armut nicht fürchte, sondern das Bewußtsein, viele Dinge entbehren zu können und bei Fortdauer der Gesundheit immer gut durchzukommen und den Segen von oben durch ein tugendhaftes Leben zu hoffen.

Ach, mein Teurer, berühre die Seite so geschwind nicht wieder von einem frühen Tode. Laß mir das Vergnügen, dann und wann in der Stille meines Herzens daran zu denken. Wie oft schon habe ich Dich dafür angestaunt und angenehmen Schmerz und doch grausame Furcht dabei empfunden, ohne es Dir zu sagen! Wenigstens rede mir nicht von Glück nach Deinem Verluste; ach, schweige hiervon, ich bitte Dich. –

Ich hatte diese Woche Besuch von Herrn Keller von ... [unleserlich] mit seiner Braut, und sie haben mich zu einem Briefwechsel aufgefordert. Auch dies ist ein glückliches Paar!

Morgen esse ich mit Herrn Füßli und Frau im Winkel Zimbiß, ich will dann viel von Dir mit ihnen reden. Die Jörli-Klage [die Pestalozzi verfaßt hatte] habe auch ich unterschrieben. Lebe wohl, von Gott gesegnet.

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