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Musset an Aimée d'Alton

31. März [1837].

... Kind, ich glaube Sie zu lieben, und ich täusche mich nicht. Ihre schwache Gesundheit, sagen Sie, sei ein unüberwindliches Hindernis; bei der Liebe kenne ich kein Hindernis. Was nun die »viel ältere Frau als mich, mit dem immer ernster werdenden Gesicht« anlangt, und die »Verdammung«, erlauben Sie mir, meiner alten fünfundzwanzigjährigen Freundin zu sagen, daß ich sechsundzwanzig zähle – daß ich ihr Herz für sehr ernst halte, aber ihr junges entzückendes Gesicht für sehr heiter und rosig – daß eine Chaiselongue kein so garstiges Möbelstück ist, um es schlecht machen zu müssen – und daß Sie, was Talente anlangt, das wichtigste besitzen: schön zu sein. Und was den Geist betrifft, ist es gerade diese Mischung von Heiterkeit und Ernst, von Lebhaftigkeit und süßer Mattigkeit, die den Zauber und die unwiderstehliche Anziehungskraft des Ihren ausmacht.

Kind, das Glück ist für Sie geschaffen, wenn es für irgendwen auf der Welt geschaffen ist.

Sie sagen, daß Sie meinen Charakter kennen. Sie irren. An Jahren bin ich um ein Jahr, an Erfahrungen um zehn Jahre älter als Sie. Das Wort Erfahrung soll Sie nicht belustigen; mit meiner Erfahrung ist es nicht weit her. Ich will Ihnen lehren, was sie mich gelehrt hat.

Schöne Träume spinnen und sie verwirklichen wollen, ist die erste unverrückbare Aufgabe großer Geister. Tritt man jedoch ins Leben hinaus, wird die Wirklichkeit mit ihren tausend Enttäuschungen früher oder später die noch unberührte Hoffnung knicken und sie aus der höchsten Höhe ihres Fluges zu Boden schmettern. Was ich da sage, ist nicht die Phrase eines Moralisten, es ist eine ewige Wahrheit. Die erste Erfahrung, Aimée, besteht im Leiden; sie besteht darin, zu finden und zu fühlen, daß Träume sich fast nie verwirklichen, oder daß sie, wenn sie Wirklichkeit werden, an der Berührung mit den Dingen dieser Welt welken und sterben.

Eine nachdenkliche Bitterkeit ist das Ergebnis dieses ersten Versuchs. In seinem innersten Sein, in seinem ersten Aufschwung verwundet, blutet das Herz, als wäre es für immer zerrissen. Indes man lebt, und man muß lieben, um noch leben zu können. Man liebt voll Angst, voll Mißtrauen, und nach und nach blickt man um sich und sieht, daß das Leben nicht so traurig ist, wie man dachte, man findet zu sich zurück, zum Glück; zu Gott, zur Wahrheit. Gefestigter fügt sich das Herz in Wirrnis und Sorgen, ja selbst in den Überdruß; seiner selbst sicher, sieht es sie vorher, bekämpft sie und wandelt sie manchmal zum Guten. Entsagender geworden, genießt man besser die glücklichen Tage, sehnt sie heißer herbei, verlängert ihre Dauer, mit innigerer Hingebung, und zuletzt gelangt man dahin, sich zu sagen: Das Böse ist nichts, denn es gibt ein Glück.

Dies ist meine Erfahrung, Aimée, und ich möchte sie auf Sie übertragen, wenn ich etwas über Ihr gutes und edles Herz vermöchte. Das ist nicht der Schluß des Buches, das Sie lieben, und das darum nicht weniger wahr ist, aber es ist das, was daraus folgt, was daraus folgen soll. Sagen Sie niemals, mein schönes Mönchlein rosenrot, daß Gott Ihnen das Glück versagt, und suchen Sie nicht nach Gründen zum Leid in dem, was Sie Ihre »verrückten Ideen« nennen – es sind vernünftige Ideen, die kostbarsten, die einzig wahren. Hören Sie auf den Schlag Ihres Herzens, lassen Sie sich lieben; lassen Sie das Schicksal gewähren, es gibt schöne Tage hienieden; das Glück, das Sie leugnen, es ist in Ihnen, in Ihren Augen, auf Ihren Lippen, in Ihrem Busen – hüten Sie Ihren Schatz.

Der Name »Freundin« gefällt Ihnen. Kind! Freundschaft und Liebe, ist das nicht ein und dasselbe Wort?

Mein Brief, sagen Sie, vernichtet Ihre Hoffnungen. Der Ihre läßt mich dem Himmel danken. Er erschließt mir eine Welt von Hoffnungen, Wünschen, von Qualen, wahrscheinlich aber göttliche Seligkeiten dafür – verschließen Sie sie mir nicht, mein schöner Engel, zweifeln Sie nicht, sehen Sie nichts vorher, lächeln Sie, antworten Sie, seien Sie gut und wahr, wie Sie schön sind. – Man ist so stark, wenn man sich zu zweien fühlt! Aber kommen Sie nur so rasch wie möglich! Könnten Sie es denn nicht, wenn Sie wollten?

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