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Keats an Fanny Browne

Shanklin, Isle of Wight [1. Juli 1819].

Mein teures Mädchen! Ich freue mich, daß ich keine Gelegenheit gehabt hatte, einen Dienstag nacht geschriebenen Brief an Dich abzusenden. – Er war zu sehr wie einer aus Rousseaus »Heloise«. Heute früh bin ich vernünftiger. Der Morgen ist für mich die einzig richtige Zeit, einem schönen, so sehr geliebten Mädchen zu schreiben: denn in der Nacht, wenn der einsame Tag beendigt ist und das einsame, schweigende, klanglose Zimmer mich wie ein Grab erwartet, dann, glaube mir, wird meine Leidenschaft völlig Herr über mich, ich möchte Dir nicht die Überschwenglichkeiten solcher Stunden zu lesen geben, die ich mir selbst nie zugetraut hätte, und die ich bei andern oft verlacht habe; denn ich fürchte, Du könntest mich sonst für zu unglücklich oder vielleicht für ein bißchen verrückt halten. Ich sitze hier an einem sehr freundlichen Fenster eines Bauernhäuschens, von dem ich auf ein schönes, hügeliges Land und den Schimmerstreifen des Meeres sehe; der Morgen ist sehr schön. Ich weiß nicht, wie spannkräftig mein Geist wäre, mit welchem Genuß ich hier an dieser schönen Küste leben und wandern und atmen würde, wenn nicht die Erinnerung an sich so sehr auf mir lastete. Niemals kannte ich ein mehrere Tage lang währendes ungetrübtes Glück. Tod oder Krankheit um mich herum haben immer meine Stunden verdorben – und nun, da keinerlei Sorgen dieser Art mich bedrücken, ist es sehr hart für mich, dies mußt Du selber zugeben, daß eine andere Art von Schmerz mich heimsucht. Frage Dich selbst, meine Liebe, ob es nicht sehr grausam von Dir war, mich so in Fesseln einzuspinnen, so sehr meine Freiheit zu zerstören. Willst Du mir dies in einem Brief zugeben, dann schreibe sogleich und tue alles, was Du kannst, um mich darüber zu trösten. – Laß den Brief so reich sein wie einen Mohntrank, der mich trunken machen soll –, schreibe die süßesten Worte und küsse sie, damit meine Lippen das, was die Deinen berührten, finden. Was mich betrifft, weiß ich nicht, wie ich meine Hingebung an ein so schönes Wesen ausdrücken soll: ich brauche ein strahlenderes Wort als strahlend, ein schöneres Wort als schön. Fast wünschte ich, wir wären Schmetterlinge und lebten nur drei Sommertage – drei solche Tage könnte ich mit mehr Entzücken füllen, als fünfzig gewöhnliche Jahre enthalten mögen ...

[Kentish Town, August 1820.]

Ich schreibe dies erst in der letzten Stunde, daß kein Auge es erblicke.

Mein teuerstes Mädchen! Ich würde wünschen, daß Du ein Mittel finden könntest, mich ohne Deinen Besitz glücklich zu machen. Von Stunde zu Stunde versenke ich mich mehr in Dich; alles andere hinterläßt in meinem Munde einen Geschmack wie Spreu. Ich fühle mich fast unfähig, nach Italien zu gehen – in Wahrheit kann ich Dich nicht verlassen und werde niemals auch nur eine Minute Befriedigung finden, bis es dem Schicksal gefällt, Dich mit mir zu vereinen. Aber fortgehen will ich nicht um diesen Preis. Wer gesund ist wie Du, der vermag sich nicht die Schrecknisse vorzustellen, die ich bei meinen Nerven und meinem Temperament erleide ... Wenn ich nicht mit Dir leben kann, will ich allein leben. Ich glaube nicht, daß meine Gesundheit sich sehr bessern wird, solange ich von Dir entfernt bin. Aus all diesen Gründen möchte ich Dich lieber nicht sehen – ich vermag nicht Fluten von Licht zu ertragen und in meine Dunkelheit zurückzukehren. Jetzt bin ich nicht so unglücklich, wie wenn ich Dich gestern gesehen hätte. Mit Dir glücklich zu sein, erscheint mir völlig unmöglich! Das erfordert einen glücklichern Stern, als der meine ist! es wird niemals dazu kommen ... Wenn meine Gesundheit es erlaubte, könnte ich ein Gedicht schreiben, das ich im Kopfe habe, und das denen, die in gleicher Lage sind wie ich, Trost bringen könnte. Ich würde einen Liebenden darstellen wie mich, mit einem Mädchen, das in solcher Freiheit lebt wie Du. Shakespeare versteht immer meisterlich, aus den Dingen die Lehre zu ziehen. Hamlets Herz erfüllte dasselbe Elend wie das meine, als er zu Ophelia sagte: »Geh' in ein Kloster!« Wahrhaftig, ich sollte die Sache lieber auf einmal aufgeben und den Tod vorziehen. Ich bin an der brutalen Welt erkrankt, der Du noch zulächelst. Ich hasse die Männer, und noch mehr die Frauen. Ich sehe nichts als Dornen in der Zukunft – wo immer ich nächsten Winter sein werde, in Italien oder sonstwo, Browne wird mit seinen Aufdringlichkeiten in Deiner Nähe sein. Ich habe keine Hoffnung auf Ruhe. Nimm an, ich werde in Rom sein – nun, ich würde Dich dort wie in einem Zauberspiegel sehen, wie Du zu allen Stunden in die Stadt gehst und wieder zurückkehrst – ich wünschte, Du könntest meinem Herzen ein wenig Vertrauen in die menschliche Natur einflößen. Ich kann keins haben – die Welt ist zu brutal für mich – ich bin froh, daß es so etwas gibt wie das Grab – ich bin davon überzeugt, daß ich nicht früher Frieden finde, bis ich dort angelangt bin. Keinesfalls will ich Dilke oder Browne oder einen ihrer Freunde wiedersehen. Ich wünschte, ich läge voll Vertrauen in Deinen Armen, oder ein Blitz führe nieder und zerschmetterte mich.

Gott segne Dich!

J. K.

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