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Benjamin Constant an Madame Récamier

Den 3. September 1814.

Auf morgen abend! Auf morgen abend? Was ist dieser Abend?

Für mich wird er um 5 Uhr morgens beginnen! Morgen, das ist heute. Das Gestern ist gottlob! vorüber. Ich werde also um 9 Uhr bei Ihnen ankommen, und man wird mir mitteilen, daß Sie nicht zu Hause sind.

Ich werde zwischen 10 und 1 wieder da sein; werde ich nochmals hören, daß Sie nicht zugegen sind?

Ich leide voraus darunter, was ich leiden werde. Ich wette, daß Sie mir dies nicht glauben. Das ist, weil Sie mich nicht kennen. In mir gibt es einen geheimnisvollen Punkt. Solange dieser nicht berührt ist, bleibt meine Seele unbeweglich. Wenn man ihn angreift, ist alles entschieden. Vielleicht ist es noch Zeit.

Ich denke zwar nur an Sie, aber vielleicht kann ich mich noch schlagen. Seit zwei Tagen habe ich nichts als Sie gesehen. Die ganze Vergangenheit, Ihr ganzer Reiz, den ich immer fürchtete, ist in mein Herz eingezogen. Ich kann wahrhaftig kaum atmen, während ich an Sie schreibe. Hüten Sie sich; Sie können mich allzu unglücklich machen, um es nicht selbst mit mir zu werden. Sie haben es gewollt. Dieser Gedanke, Sie sind's. Politik, Gesellschaft, alles ist verschwunden. Ich scheine Ihnen vielleicht verrückt; aber ich sehe Ihren Blick vor mir, ich wiederhole mir Ihre Worte, ich sehe dieses Äußere eines Pensionsmädchens mit soviel Anmut und soviel Feinheit verbunden. Und ich bin mit Recht verrückt. Ich wäre verrückt, wenn ich es nicht wäre.

Auf heute abend also! Mein Gott, wenn Sie nicht die allerkühlste Frau sind, was werden Sie mich noch in meinem Leben leiden lassen! Lieben heißt leiden. Allein es ist auch Leben, seit so langer Zeit lebte ich nicht.

Nochmals auf heute abend! Vielleicht habe ich niemals so lebendig gelebt!

*


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