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Victor Hugo an seine Frau Adele

Reims, den 28. [Mai 1825], 9 Uhr morgens.

[Vor der Krönung Karl X. von Frankreich.]

Heute nacht schlief ich recht schlecht; also schlief ich auch morgens ein und stand darum recht spät auf. Die Herren wollten mich in die Abtei St.-Remy mitnehmen, doch muß ich an Dich schreiben, und will trotz ihrer dringlichen Aufforderungen meine Gedanken in Dein Herz ausströmen. Werde ich heute eine Nachricht von Dir erhalten, meine geliebte Adele? Ich brauche sie. Andernfalls werde ich annehmen, daß Du krank bist, da ich Dich nicht für nachlässig halten möchte. Du sollst wie ich sein: Deine Gesundheit kann schwächer werden, aber nicht Deine Liebe. Nicht wahr, mein Engel, Du liebst mich, und ich werde heute zwei neue Briefe an meinem Herzen aufbewahren können? Hätte ich nicht diese Hoffnung, dann könnte ich meinen Brief nicht zu Ende schreiben.

Gestern habe ich mir also den Dom angesehen. Als Denkmal mittelalterlicher Baukunst ist er bewundernswert. Die Eingänge, die große Fensterrose, die Türme machen einen außerordentlichen Eindruck. Karl und ich, wir verbrachten eine Viertelstunde (großartig!) mit der Betrachtung des Bogens der einen Pforte; um alles gebührend zu sehen und zu bewundern, müßte man ein Jahr aufwenden. Das Innere ist, so wie man es hergerichtet hat, jetzt viel weniger schön, als es vordem in seiner weltlichen Nacktheit war. Man hat diesen alten Granit blau ausgemalt und hat seine ernsten Plastiken mit Gold und Flitterwerk beladen. Wenigstens hat man nicht den gleichen Fehler wie in St.-Denis begangen und hier gotisch ausgeschmückt, und alles ist bis auf die Absurdität des Königsstuhls auf korinthischen Säulen so ziemlich geschmackvoll. Das Ganze tut dem Auge wohl, man muß erst über die einzelnen Teile des ganzen Baus nachgedacht haben, um zu erkennen, daß man nicht alle möglichen Vorteile daraus gezogen hat. So wie diese Ausschmückung ist, verkündet sie eine weitere Verbreitung der romantischen Gedankenwelt. Noch vor einem halben Jahre hätte man aus der alten Frankenkirche einen griechischen Tempel gemacht!

Wir verbringen die ganzen Tage mit Gängen und unseren Besuchen im Theater, von denen wir uns nicht freimachen können, da wir bei dem Direktor einquartiert sind. Das Leben war schon bei unserer Ankunft hier sehr teuer, und es ist seither teurer geworden, und es wird noch weiter teurer. Gestern haben wir zu vieren 81 Frs. für das Mittag- und Abendessen ausgegeben. Eine Omelette kostet 15 Frs., ein Gericht Erbsen 13 Frs. usw. usw. 5 Brötchen: 42 Groschen.

Ich habe Agier und Chazet gesprochen. Dem Vicomte Rochefoucauld bin ich noch nicht begegnet und ebensowenig dem Kriegsminister. Der König trifft heute mittags ein. Unser Genosse Alaux malt an einem sehr schönen Gemälde für den Speisesaal.

Unsere Freunde sind immer reizend. Ich gab meine Medaille als Akademiker der Blumenspiele an Nodier, der dies sehr gerne sein möchte, und Cailleux, der zum Ritter der Ehrenlegion ernannt ist, gab mir sein kleines reizendes Ritterkreuz. In Paris will ich Dich mit ihnen allen bekannt machen, ebenso mit unserem Abgeordneten Emin, der Dich schon jetzt liebt, und den Du sehr liebgewinnen wirst. Er hat gestern Deine Gesundheit ausgebracht.

Bedanke Dich, meine Adele, bei Deiner guten Mama Hugo für das Didine geschenkte Kleidchen. Es hat mich herzlich gerührt.

Küsse unsere guten Eltern herzlich! Lebe wohl, meine geliebte Adele, von diesem Augenblick werden meine Briefe seltener und kürzer werden: morgen findet die Krönung statt. Beunruhige Dich nicht und behalte mich lieb. Mir will scheinen, dies ist ein Glück, an dem man umkommen kann. Leb' wohl, mein Engel!

Reims, den 27. Mai.

Meine Adele, wir haben die Krönung mitangesehen, sie ist eine berauschende Handlung. Alaux macht Dir ein Geschenk, für das Du ihm so dankbar sein wirst, wie Du mich liebst – er schickt Dir mein Bildnis, das nach Nodiers Ausspruch gedankenvoll ist.

Bedanke Dich vielmals bei diesem neuen ausgezeichneten Freunde – das Bildnis muß ich Dir nicht erst empfehlen. Leb' wohl, Geliebte, mir fehlt es an Zeit. Morgen erwarte ich von Dir zwei Briefe, heute habe ich keinen erhalten und war den ganzen Tag traurig. Ich hoffe, daß Du es weniger bist. Der Tag meiner Rückkehr kommt immer näher. Ich küsse Dich und Didine zärtlich

Dein Victor.

Brüssel, den 11. Januar [1852].

Du weißt jetzt, daß mich Bonaparte verbannt, das heißt »ausgewiesen« hat. Der Harlekin bedient sich dieses Ausdrucks. Gestern war ich bei Schoelcher, da kam Charras, und wir unterhielten uns zu dreien. Charras war eben dabei, uns seine Verhaftung, seine Gefangenschaft, seine Flucht und Geschichten des Jenseits zu erzählen. Da kam noch Labrousse. Er sagte mir: »Sie sind mit achtundsechzig andern Volksvertretern als Sozialistenführer verbannt. Ich habe den Erlaß gelesen. Ihr Name fiel mir auf, und ich komme wegen dieser Mitteilung her.« »Ich will hoffen, daß ich mit dabei bin« sagte Charras. »Ja, und ich auch«, antwortete Sch. Darauf setzten wir unsere Unterhaltung fort.

Im übrigen soll Dich der Brief über Belgien beruhigen. Am Tage nach unserer Ausweisung kann er uns anständigerweise nicht aufgreifen. Ich weiß wohl, daß er auf den Anstand pfeift. Doch ist dies gleich, denn er wird in diesem Augenblick mit seiner Hand nicht über die Grenze greifen, um uns zu fangen. Nach einigen Monaten will ich nichts versprechen. Bleibe also ruhig!

Wie Du weißt, wohne ich auf der Grande Place. – Der Bürgermeister hat mir einen Besuch abgestattet. Ich sagte zu ihm: »Wissen Sie, daß es in Paris heißt, Bonaparte wolle mich hier nachts durch seine Polizisten gefangennehmen und fortbringen lassen?« – Herr von Bronekère (so heißt der Bürgermeister) zuckte die Achseln und sagte darauf: »Sie brauchen nur eine Scheibe zu zerschlagen und um Hilfe zu rufen. Das Stadthaus liegt Ihnen gegenüber. Dort stehen drei Posten. Sie werden Sie nachdrücklich verteidigen, ängstigen Sie sich nicht.«

Ich arbeite angestrengt an dem Bericht über den 2. Dezember. Jeden Tag erhalte ich umfangreiches Material. Ich besitze unglaubliche Tatsachen. Es wird ein Geschichtswerk werden, das sich wie ein Roman liest. Man wird das Buch in ganz Europa verschlingen. Wann ich es veröffentlichen kann? Das weiß ich noch nicht.

Ich habe so viel zu tun, daß ich euch nicht soviel schreiben kann, wie ich wünschte. Ich müßte sonst mein Leben mit den Briefen zubringen! Liebe Teuere, ich glaube mit euch zu reden. Meine Feder geht nach Belieben. Es wird unleserlich – das tut nichts!

Man sammelt hier unter uns Geächteten für die Ärmsten. Ich habe Schoelcher gefragt, ob es einen höchsten Betrag gibt. Er sagte mir: Fünfzehn Franken. Ich gab ihm soviel.

Teuere Freundin, diese zwei letzten Zeilen sollen von meinen Gefühlen für euch voll fein. Schreibet mir sämtlich und viel.

*


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