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Rousseau an Gräfin Sophie d'Houdetot

Eremitage, Juni 1757.

Komm, Sophie, damit ich Dein ungerechtes Herz quäle, damit ich nun meinerseits unbarmherzig gegen Dich sei. Warum soll ich Dich schonen, während Du mir die Vernunft, die Ehre und das Leben raubst? Warum soll ich Dir Deine Tage friedlich dahingehen lassen, Dir, die Du mir die meinigen unerträglich machst? Ah! wieviel weniger grausam wärest Du gewesen, wenn Du mir einen Dolch ins Herz gestoßen hättest anstatt des verhängnisvollen Geschosses, das mich tötet! Sieh, was ich war, und was ich jetzt bin; sieh, bis zu welchem Grade Du mich erniedrigt hast. Als Du geruhtest, mich anzuhören, war ich mehr als ein Mensch, seitdem Du mich von Dir gestoßen, bin ich der geringste der Sterblichen. Ich habe alle Vernunft, allen Verstand und allen Mut verloren; mit einem Wort, Du hast mir alles genommen! Wie kannst Du Dich zur Zerstörung Deines eigenen Werkes entschließen? Wie kannst Du es wagen, denjenigen Deiner Achtung unwürdig zu halten, den Du einst mit Deiner Güte begehrtest? Ach! Sophie, ich beschwöre Dich, schäme Dich nicht eines Freundes, den Du einst gesucht. Zu Deiner eigenen Ehre verlange ich von Dir Rechenschaft über mich. Bin ich nicht Dein Eigentum? Hast Du nicht von mir Besitz ergriffen? Das kannst Du nicht leugnen, und da ich Dir gehöre trotz meiner und Deiner selbst, so laß es mich wenigstens verdienen, Dein zu sein. Erinnere Dich jener Zeiten der Glückseligkeit, die ich zu meiner Qual nie vergessen werde. Jene unsichtbare Flamme, von der ich ein zweites, kostbareres Leben erhielt, gab meiner Seele und meinen Sinnen die ganze Kraft der Jugend wieder. Die Glut meiner Empfindungen erhob mich bis zu Dir. Wie oft wurde Dein von einer andern Liebe erfülltes Herz durch die Leidenschaft des meinigen gerührt! Wie oft hast Du mir in dem Boskett des Wasserfalles gesagt: »Sie sind der zärtlichste Geliebte, den ich mir denken kann; nein, niemals liebte ein Mann wie Sie!« Welcher Triumph für mich, ein solches Geständnis aus Deinem Munde! Ja, es war echt! es war der Leidenschaft würdig, für die ich so heiß verlangte, Dich empfänglich zu machen, und mit der ich in Dir ein Mitgefühl erwecken wollte, das Du jetzt so bitter bereust. Warum aber machst Du es Dir zum Vorwurf? Worin bist Du denn schuldig? Inwiefern war Deine Treue durch die Güte gefährdet, die Dein Herz und Deine Sinne kalt ließ? Wäre ich liebenswerter und jünger gewesen, dann würde die Prüfung gefährlicher gewesen sein; da Du sie indes bestanden hast, warum dann bereuen? Warum dein Benehmen ändern, nachdem du aus so vielen Gründen zufrieden mit Dir sein kannst? ...

Aufhören, Dein Freund zu sein? Teure, reizende Sophie, leben und nicht mehr lieben, ist das meinem Herzen möglich? Und wie könnte sich mein Herz von Dir losmachen, da Du an die Fesseln der Liebe die süßen Bande der Freundschaft knüpftest? Ich wende mich an Deine Aufrichtigkeit. Du, die dieses Delirium, diese Tränen, diese Verzückungen, diese leidenschaftlichen Ausbrüche, die nicht für einen Sterblichen geschaffen waren, sah, sie hervorrief, sage, habe ich Deine Gunst so gekostet, daß ich sie zu verlieren verdiene? Ach nein; Du hast Dir die zärtlichen Befürchtungen, die sie mir einflößte, grausam zunutze gemacht, um mich ihrer ganz zu berauben. Und ich gestehe, ich bin tausendmal verliebter geworden, aber auch achtungsvoller, unterworfener gegen Dich, und habe es sorgfältig vermieden. Dich mit einem einzigen Worte anzugreifen. Wie konnte sich Dein gutes Herz entschließen, sich, als es mich vor Dir zittern sah, mit meiner Leidenschaft gegen mich selbst zu bewaffnen und mich elend zu machen, während ich verdiente, glücklich zu sein?

Der erste Preis Deiner Güte war, mich zu lehren, meine Liebe durch sich selbst zu besiegen, meine heißesten Wünsche derjenigen zu opfern, die sie in mir entstehen ließ, und mein Glück Deiner Ruhe preiszugeben. Ich will weder an das erinnern, was sich in Deinem Park ereignete, noch an das in Deinem Zimmer. Doch um zu fühlen, wie weit Deine Reize meine Sinne berauschten, Dich zu besitzen, erinnere Dich des Olympierberges, erinnere Dich jener mit Bleistift an eine Eiche geschriebenen Worte ... Seit jenen köstlichen Augenblicken, wo Du mich alles, was eine unerwiderte Liebe Schönes auf der Welt geben kann, hast kosten lassen, bist Du mir so teuer geworden, daß ich nicht mehr zu wünschen wagte, auf Deine Kosten glücklich zu sein. Eine einzige Weigerung Deinerseits hatte einen unsinnigen Rausch zum Schweigen gebracht ...

Schenke also demjenigen, der nicht weniger auf Deinen eigenen Ruhm eifersüchtig ist als Du selbst, aufs neue Dein Wohlwollen, das ihn nicht verletzen wird. Ich will mich nicht entschuldigen, weder bei Dir noch bei mir: ich mache mir selbst alle die Wünsche zum Vorwurf, die Du in mir erwecktest. Hätte ich nur über mich zu triumphieren gehabt, vielleicht würde mir die Ehre, zu siegen, die Kraft verliehen haben. Aber der Abneigung derjenigen, die man liebt, Entbehrungen zu verdanken, die man sich auferlegen muß, das kann ein empfindsames Herz nicht ohne Verzweiflung ertragen. Aller Wert des Triumphes ist dahin, sobald er nicht freiwillig ist. Werde ich jemals gesunden, so kann es nur dann geschehen, wenn ich meine Leidenschaft allein zu bekämpfen habe. Ich bin schuldig, das fühle ich nur zu gut, aber ich tröste mich in dem Gedanken, daß Du es nicht bist ... O Sophie! nach all den süßen Augenblicken ist der Gedanke eines ewigen Entsagens zu schrecklich für den, den es tief betrübt, sich nicht mit Dir identifizieren zu können. Was! Deine rührenden Augen werden sich nie mehr mit jener süßen Scham, die mich so wollüstig berauschte, vor meinen Blicken senken? Ich soll nie mehr jenen himmlischen Schauer empfinden, jenes rasende, verzehrende Feuer, das schneller als der Blitz ... O unaussprechlicher Augenblick! Welches Herz, welcher Mensch, welcher Gott kann dich empfunden und dir widerstanden haben? ...

[Eremitage, 1757.]

Kommen Sie, meine teure und würdige Freundin, die Stimme desjenigen zu hören, der Sie liebt. Es ist nicht, wie Sie wissen, die Stimme eines erbärmlichen Verführers. Wenn mein Herz sich jemals in Wünschen verirrte, so versuchte mein Mund doch niemals meine Verirrungen zu rechtfertigen. Die in Sophismen verkleidete Vernunft gab sich nicht zur Vermittlung der Verirrung her. Das beschämte Laster schwieg bei dem geheiligten Namen Tugend. Der Glaube, die Ehre, die heilige Wahrheit wurden in meinen Reden niemals verletzt, und da ich mich enthielt, meine Fehler mit ehrenhaften Namen zu beschönigen, verhinderte ich, daß die Rechtschaffenheit aus meinem Herzen schwand. Dieses Herz halte ich stets den weisen Lehren geöffnet, die Sie geruhen mich hören zu lassen. Und jetzt ist die Reihe an mir. O Sophie, an mir ist es, Ihnen den Preis Ihrer Fürsorge zurückzuerstatten. Da Sie meine Seele der Tugend bewahrt haben, die Ihnen teuer ist, will ich die Ihre ganz mit den Tugenden erfüllen, die Sie vielleicht noch nicht kennen.

Wie glücklich schätze ich mich, niemals weder meine Feder noch meinen Mund der Lüge preisgegeben zu haben! Ich fühle mich dadurch weniger unwürdig, das Organ der Wahrheit bei Ihnen zu sein.

Indem Sie die Gefühle, die Sie mir einflößten, der Pflicht und Vernunft unterordneten, haben Sie auf mich die größte, edelste Macht ausgeübt, die der Himmel der Schönheit und Klugheit verliehen. Nein, Sophie, eine Liebe, wie die meinige, konnte sich nur durch sich selbst bewältigen lassen. Sie selbst konnten wie die Götter Ihr eigenes Werk zerstören, und nur Ihrer Tugend kam es zu, die Wirkung Ihrer Reize zu verwischen ...

Erinnern Sie sich der schönen Tage dieses Sommers, der so entzückend, aber ach, auch so kurz und so sehr geeignet war, lange Erinnerungen zurückzulassen. Erinnern Sie sich der einsamen Spaziergänge, die wir so gern auf den schattigen Hügeln wiederholten, wo das kleinste Tal der Welt vor unsern Augen den ganzen Reichtum der Natur ausbreitete, wie um uns die falschen, vermeintlichen Schätze des Lebens zu verleiden. Denken Sie an jene köstlichen Gespräche, wo unsere Herzen durch das gegenseitige Vertrauen unserer Schmerzen erleichtert wurden, und in denen Sie den Frieden der Unschuld über das süßeste Gefühl verbreiteten, das je ein Mannesherz empfand. Ohne durch dasselbe Band verbunden, ohne von derselben Flamme durchglüht zu sein, weiß ich nicht, welches heilige Feuer uns mit seiner Glut belebte und uns vereint nach den unbekannten Schätzen schmachten ließ, die wir geschaffen waren, gemeinsam zu genießen.

Diese Briefe sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß sie das Tageslicht nie ohne Ihre Einwilligung sehen werden. Wenn es jedoch die Umstände Ihnen gestatten, dies eines Tages zu genehmigen, wie sehr wird da die Reinheit des Zweckes, der mich mit Ihnen verband, die öffentliche Meinung erleichtern. Weder Ihr Name noch der meinige werden, obwohl sie in diesem Werke nicht genannt sein sollen, dem Verdacht derjenigen entgehen, die uns beneideten; aber ich für meinen Teil würde dadurch mehr stolz als gedemütigt sein und mehr Achtung erlangen, indem ich beweise, wie sehr ich Sie achte. Was Sie betrifft, liebenswürdige Sophie, so möchte ich – obwohl Sie, um geehrt zu sein, meine Vermittlung nicht brauchen –, daß die ganze Welt ihre Augen auf Sie richtete; ich möchte die ganze Welt auf das aufmerksam machen, was ich von den Fähigkeiten Ihres Charakters erwarte, um Ihnen mehr Mut und Kraft einzuflößen, diese Erwartung vor den Augen des Publikums zu erfüllen. Man wird sagen, daß ich weder in meiner Zuneigung noch in meiner Achtung verschwenderisch war, besonders gegen Frauen, und wird um so neugieriger sein, die zu prüfen, die so vollkommen einander ähnlich sind. Ich beauftrage Sie mit meinem Ruhm, Sophie; rechtfertigen Sie, wenn es möglich ist, die Ehre, mit der mich edle Menschen überhäufen! Machen Sie, daß man eines Tages, wenn man Sie sieht und sich meiner erinnert, sage: »Dieser Mann liebte die Tugend und verdiente sie!«

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