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Theodor Fontane an seine Frau Emilie.

Brüssel, den 17. April 1852.

Meine liebe, arme Herzensfrau! Vorgestern früh verließ ich Aachen. Das erste, was wir im Coupé hörten, waren französische Worte. » Pas pleurer!« rief ein blaukittliger Wallone, der mit seinen rußigen Eisenarbeiterhänden unaufhörlich bemüht war, sein blasses, weinendes Kind zu beschwichtigen. – Wir kamen nach Verviers; Douaniers durchwühlten meinen Koffer, fünf Minuten lang war ich in scheußlicher Gefahr, meine eigenen, neu gebundenen Werke hoch versteuern zu müssen. Mein Französisch litt Schiffbruch; dumm und verlegen stand ich da – endlich klang eine leidliche Grobheit von den beschnauzbarteten Lippen, und ich war blamiert, aber – gerettet. » Pas pleurer!« dacht' ich, und weiter ging es nach Lüttich. Lüttich – wenn es noch keinen Beinamen hat – würd' ich die Leierkastenstadt nennen; überall Lahme und Blinde und rechts und links flötentönige Sehnsuchtswalzer. Es war sehr heimatlich, und mit dem Gedanken an die Heimat kam ein flüchtiges Heimweh; mais » pas pleurer!« dacht' ich, und weiter ging es nach Löwen. Im Hotel » de la Cour de Mons« ist gutes Nachtquartier; erquickt stand ich auf und sah durchs offene Fenster zum blauen, lachenden Himmel hinauf und dann hinab in den grünen, lachenden Garten. Eine junge Frau in niederländischer Tracht, ihr Morgenhäubchen kokett auf dem Kopfe balancierend, stand unter einem blühenden Aprikosenbaum und lachte ihren bärtigen, rotbäckigen Hausherrn an, der ihr mit der Hand, streichelnd und schmeichelnd, über den krausen Scheitel fuhr. Ich sah's – mais » pas pleurer!« und weiter ging es nach Brüssel. Das Coupé war ein Nationenkongreß: deutsch, niederländisch, französisch, englisch klang es mal hier, mal dort, aber ich hatte wenig Ohr dafür; ich sah ein freundliches, unserm kleinen George in Wahrheit ähnliches Kind an, das auf dem Schoß der Bonne schlief – ich dachte dies und das, mais » pas pleurer!« – Heute früh erhielt ich Deinen lieben Brief (für den ich Dir danke, so viel Schweres er auch enthielt) und setzte mich auf eine sonnenbeschienene Bank des Parks, um Deine lieben, traurigen Zeilen durchzulesen. Ich las und weinte; mais » pas pleurer!« klang mir's wieder im Ohr, und ich atmete auf und schritt weiter.

Mein liebes, armes Herz, was soll ich Dir für Trost sagen! Ich habe selber nicht viel, und Du weißt, ich kann nichts sprechen und schreiben, was mir nicht vom Herzen geht. Ich kann Dir nur zurufen, was ich Dir schon so oft zugerufen habe: »laß uns mit Ergebung tragen, was der Himmel über uns verhängt«. Wir sind beide nicht vom christlichen Märtyrergeschlecht und werden es schwerlich zur Freudigkeit des Leidens bringen, aber laß uns wenigstens Fassung darin finden, daß wir nichts andres tragen, als was uns bestimmt ist und von Anfang an bestimmt war. Übrigens sollst Du nicht alles ohne mich durchmachen: entweder – und das gebe Gott! – hab' ich die große Freude, Dich schon im Sommer zu mir zu rufen, oder ich verlasse London zu Ende August und steh' Dir in der schweren Zeit, so gut ich's kann, zur Seite.

Über meine Reiseerlebnisse und das Hundertfache, was ich in Lüttich, Löwen und Brüssel gesehen und bewundert habe, kann ich mich heut nicht auslassen, mein Brief würde sonst endlos werden; man reist ohnehin, um zu sehen, und nicht, um zu schreiben. Zwei Briefe kosten einen Tag, und ein Tag kostet viel Geld. Nur mit einzelnen Bemerkungen, die sich mir aufgedrängt haben, will ich nicht zurückhalten. Es ist mindestens ein Fingerzeig, daß die mittelalterliche Kunst und Kultur nirgends herrlicher geblüht hat als in den Bürgerrepubliken der lombardischen und flandrischen Städte, die trotz kaiserlicher Oberhoheit wirkliche Republiken waren und selbst den Arm und die Macht eines Barbarossa oder fünften Karl nicht scheuten, wenn es galt, für ihr Recht und ihre Freiheit einzustehen. Wie sind wir zurückgekommen! Das waren die noblen Tage der Selbstregierung, wonach wir jetzt schreien, und wozu wir nicht mehr und nicht weniger mitbringen als – nichts. Die Bürger von damals dachten und taten alles selbst; für unsre feisten Bourgeois muß gedacht und getan werden; der Götze der Bequemlichkeit hat den Gott der Freiheit in den Staub getreten. – Das Mittelalter! Man nennt es eine dunkle Zeit, man spricht von Beschränktheit, und der liebe Pharisäer »Gegenwart« schlägt an seine Brust und spricht: »Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie jene Zeit des Aberglaubens und der Intoleranz.« Mag sein! Aber das Zeitalter der Hexenprozesse hatte viel Licht neben seinem Schatten, und mit der rohen Überkraft ist uns die Kraft überhaupt verloren gegangen. Mit den Flammen des Scheiterhaufens sind große Tugenden erloschen, und es drängt sich mir auf, als bedürfe die Menschennatur der Beschränkung, um das Vollmaß ihrer Kraft zur Erscheinung zu bringen, und als wäre Erweiterung des Gesichtskreises gleichbedeutend mit Schwächung und aller Misere, die sich daran knüpft. Wir bedürfen eines kleinen Kreises, um groß zu sein, und sind klein, wenn wir die Welt umfassen wollen; unser Geist, der Sonnenbahnen berechnet, reicht doch wiederum nicht weiter als unsere Arme, und wer es leugnet, überschätzt sich, und wer sich überschätzt, ist – klein. – Den höchsten Anlauf (um auf etwas andres überzugehn) nahm die Menschennatur, als sie einen gotischen Dom in seiner Vollendung dachte. Aber er ist ein Ideal geblieben, und mit Recht; denn das Vollendete muß unvollendet bleiben. Die fertigen gotischen Dome sind nicht vollendet, und die vollendeten sind nicht fertig.

Nun leb' mir wohl, küsse den Kleinen und die Mama und schreibe bald Deinem

Theodor.

Berlin, den 21. Oktober 1868.

... Mit dem Worte »drum« hast Du nicht recht. Es gibt wenig Wörter, die vorweg als untunlich oder prosaisch verurteilt werden müssen; es kommt bloß auf die geschickte Hand an. Ich habe nachstehende Spielerei geleistet, die ein absolutes Nichts ist, von der Du aber sagen wirst, es klingt toll genug. Also:

Und ging auch alles um und um,
In Dir, in mir, ich lieb' Dich drum,
Ich lieb' Dich drum, weil Du mir bliebst,
Ich lieb' Dich drum, weil Du vergibst.
Ich lieb' Dich – auch warum, »Warum«?
Und blieb' auch meine Lippe stumm,
Ich lieb' Dich drum, weil Du mich liebst.

Vielleicht findest Du es gar nicht so schlecht; das würde nur ein Beweis sein, wie erfolgreich man mit dem bloßen Klang operieren kann, auch wenn gar nichts dahinter steckt.

Theodor.

*


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