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Puschkin an Frau A. P. Kern

Michailowskoje, den 28. August [1825].

Beiliegend ein Brief an Ihre Tante; wenn sie nicht mehr in Riga ist, können Sie ihn behalten. Und nun sagen Sie mal – wie kann man so leichtfertig sein? Wie konnte ein an Sie adressierter Brief in fremde Hände gelangen? – Aber was geschehen ist, ist geschehen – reden wir nun von dem, was uns noch zu tun übrigbleibt.

Wenn Ihr verehrter Gatte Ihnen gar zu langweilig geworden ist, lassen Sie ihn sitzen – und wissen Sie was? Lassen Sie Ihre ganze Familie im Stich, nehmen Sie Postpferde und kommen Sie ... Sie meinen, nach Trigorskoje? – Keineswegs! – nach Michailowskoje. Dieser schöne Plan geht mir schon seit einer ganzen Stunde im Kopf herum ... Begreifen Sie, wie groß mein Glück sein würde! – Sie werden vielleicht sagen: und das Gerede? der Skandal? – Hol's der Teufel! Den Gatten verlassen, ist schon Skandal genug – das Weitere kommt nicht mehr in Betracht. Sie müssen aber zugeben, daß mein Plan höchst romantisch ist ... Die Ähnlichkeit der Charaktere, Kampf gegen allerlei Hindernisse, höchste Entwickelung des Organs für Diebstahl usw. usw. – Denken Sie sich nur das Erstaunen Ihrer Tante! – Da muß es gleich zum Bruch kommen. Sie werden Ihre Kusine nur heimlich sehen können, wodurch die Freundschaft nur angenehmer wird, – und stirbt Kern einmal, so sind Sie frei wie die Luft ... Nun, was meinen Sie? Sagt' ich es Ihnen nicht, daß ich imstande bin, einen kühnen und wichtigen Rat zu geben?

Aber reden wir ernst, d. h. kaltblütig! Sehe ich Sie wieder? Der Gedanke, es könnte nicht geschehen, macht mich schaudern. Sie werden mir sagen: Trösten Sie sich. Sehr gerne, – aber wie? Soll ich mich verlieben? – Das ist unmöglich: dazu müßte ich zuerst Ihre Krämpfe vergessen ... Aus Rußland fliehen? Mich aufhängen? Heiraten? – Alles das bietet große Schwierigkeiten – die mag ich nicht. Ach, apropos! – wie gelang' ich in den Besitz Ihrer Briefe? Ihre Tante ist gegen unsern Briefwechsel, – der doch so keusch, so unschuldig ist. (Wie sollt' er auch anders sein? ... Bei einer Entfernung von 400 Werst?) Es ist sehr leicht möglich, daß man unsere Briefe aufgreifen wird, sie lesen, kommentieren, und zum Schluß feierlichst verbrennen. Versuchen Sie Ihre Handschrift zu verstellen, für das Weitere will ich sorgen. Aber schreiben Sie mir nur, schreiben Sie nur viel – lang und breit und diagonal (ein geometrischer Ausdruck!) ... Vor allem aber nehmen Sie mir nicht die Hoffnung auf ein Wiedersehen; sonst werd' ich mir ernstlich Mühe geben müssen, mich in jemand andern zu verlieben ... Ach ja, ich hatte ganz vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich an Netty einen sehr zarten, demütigen Brief geschrieben. Ich bin ganz hin von Netty. Sie ist naiv, Sie sind es nicht. Warum sind Sie nicht naiv? Nicht wahr, ich bin in meinen Briefen viel liebenswürdiger als im Gespräch? Aber kommen Sie nur hierher, und ich verspreche Ihnen, daß ich ungewöhnlich liebenswürdig sein werde. Ich will am Montag lustig sein, am Dienstag exaltiert, am Mittwoch zärtlich, am Donnerstag gewandt, und diensteifrig am Freitag, Sonnabend und Sonntag – alles, was Sie befehlen; die ganze Woche will ich zu Ihren Füßen liegen. Leben Sie wohl!

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