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Bismarck an seine Braut

Schönhausen, den 17. Februar 1847.

Einzig geliebte Jeanette, Friederike, Charlotte, Eleonore, Dorothea. Ich will Dir auch einmal des Morgens schreiben, und zwar an einem trüben, regnenden Morgen will ich die Sonne wenigstens in mir scheinen lassen, indem ich nur an Dich denke. Es ist halb neun, und hier 16 Fuß vom Fenster so dunkel, daß ich kaum schreiben kann. Da mußt Du schwarze Sonne von innen sehr hell scheinen, wenn's gehn soll. Wie kann Schwarz leuchten? nur in Gestalt von poliertem Ebenholz, geschliffner Lava; so glatt und hart bist Du nicht; mein Bild mit der schwarzen Sonne ist also falsch. Bist Du nicht eher eine dunkle warme Sommernacht, mit Blütenduft und Wetterleuchten? Denn stern- und mondhell möchte ich kaum sagen, das Bild ist mir zu gleichmäßig ruhig. – Ich werde gestört. Ich habe den ganzen Morgen Pferdehandel getrieben und es gemacht wie die Damen bei Siegmund oder Rogge; nachdem ich mir von dem Händler einige 20 im tollsten Regen auf glattem Eis habe vorführen lassen, kaufte ich nichts, obschon es lauter Dänenrosse waren. Bei Pferden übrigens fällt mir gleich ein, reiten mußt Du, und wenn ich mich selbst in ein Pferd verwandeln sollte, um Dich zu tragen. Habt Ihr denn keinen Arzt dort, der Deinem Vater die Notwendigkeit davon einleuchtend macht? Steck' Dich hinter den, daß er erklärt, Du müßtest blind werden, wenn Du nicht reiten solltest, oder was sonst; er kann, ohne zu lügen, sagen, daß es im Interesse Deiner Gesundheit nötig ist. Im übrigen hat mir Dein Brief vom 12. ganz besondre Freude gemacht. Pro primo, weil ich nicht ein so verwöhntes Menschenkind bin wie Du und kaum zu hoffen wagte, daß ich auf den meinigen, den Du nach dortiger Posteinrichtung erst am Donnerstag abend erhalten konntest, obschon er den Mittwoch früh in Stolp eintraf, daß ich auf den am Sonntag schon Antwort haben würde, meinen herzlichen Dank dafür, und bleibe so bei; ferner bemerke ich mit besondrer Genugtuung, daß Dein Brief an mich in den Jahren des Wachstums ist. Als ich ihn das erstemal sah, war er ein Blatt groß, das nächstemal 2, jetzt 3. Laß ihn immer wachsen, bis er bändestark zu mir kommt. – Du hast wohl recht, mein Herz, Mißtrauen ist die bitterste, schrecklichste Qual, es ist nichts andres als der Zweifel, die erste Saat alles Bösen, angewandt auf den Verkehr der Menschen unter sich, die Quelle fast jeder Bitterkeit und Feindschaft. Es steht irgendwo geschrieben, wer seinen Nächsten nicht liebt, den er sieht, wie soll der Gott lieben, den er nicht sieht; ich möchte dasselbe in bezug auf das Vertrauen, statt der Liebe, sagen. Wir haben sogar in der argwöhnischen Justiz das Sprichwort quivis bonus habetur donec malus probetur, jeder wird für gut gehalten, bis seine Schlechtigkeit bewiesen ist. Also wenn Du nichts als ein unbarmherziger Richter gegen mich sein wolltest, sollst Du mir siebenmal siebzigmal vergeben, wenn ich auch wirklich gegen Dich gesündigt habe. Wirst Du das können? 490 mal, ich werde es so oft, wenigstens für grobe Vergehn, nicht verlangen. Wenn Du übrigens in der Tat zu Mißtrauen geneigt bist, so brauchst Du Dich meinethalben darin nicht übernatürlich zu bekämpfen, die Zeit wird das heilen, und wenn Dir meine Vergangenheit vielleicht kein Vertrauen zu meiner Beständigkeit einflößt, so wirst Du Dich bald überzeugen, daß Du wenigstens an meiner Ehrlichkeit nicht zweifeln darfst. Außerdem wird Dein etwaiges Mißtrauen deshalb immer unschädlich sein zwischen uns, weil mich (ich könnte Dir die psychologischen Gründe, wenn die Post nicht drängte, auseinandersetzen) Dein Mißtrauen nicht im mindesten kränken wird, und weil ich selbst, der ich sonst fast keinem ohne die schlagendsten Beweise traute, zu Dir ein unerschütterliches und unerschöpfliches Vertrauen habe. Der Satz »Treue ist das Feuer selber, welches den Kern der Existenz ewig belebt und erhält« ist übrigens eine jener nebligen schweblichten Phrasen, bei denen es schwer ist, sich eine bestimmte Vorstellung zu machen, und die nicht selten Böses wirken, wenn sie, namentlich von Frauen, die als Mädchen das Leben fast nur durch die Brille der Dichter geschaut haben (das Leben der weitern Welt meine ich) aus der Poesie als Maßstab in die Wirklichkeit übertragen werden. Doch verzeih mir, der graue Regen übt seinen Einfluß auf mich, daß ich unwillkürlich in den grämlichen doktrinären Ton eines alten Onkels verfalle; ich will weder belehren noch bessern, bleibe wie Du bist; es ist nur so ein Ergehn meiner Gedanken, was ich ausspreche ...

Wenn Du jetzt traurige Dichtungen, Lenau etc., liebst, so sehe ich darin nicht sowohl eine Umwandlung Deiner ehemals heitern Stimmung, noch weniger einen Widerspruch mit der Gesundheit Deines Herzens, sondern einen Fortschritt in der Empfänglichkeit für, und im Verständnis der Poesie. Unschuldige Frühlingslieder sind die Dichtung der Kindheit und Zwölfjährigkeit, Lerchen und Lämmer. Tief in der menschlichen Natur, ich möchte sagen, in der unbewußten Erkenntnis des irdischen Elends und Jammers, und der unklaren, aber mächtigen Sehnsucht nach bessern, edlern Zuständen, liegt es wohl, daß, bei nicht ganz leichtfertigen, oberflächlichen Menschen, das Hervorheben der Zerrissenheit, der Nichtigkeit, des Schmerzes, die unser hiesiges Leben beherrschen, mehr Anklang findet als eine Berührung der minder mächtigen Elemente, welche die leicht welkende Blume ungetrübter Heiterkeit, deren heimischer Boden nur die Kindheit ist, in uns vorübergehend hervortreiben. Jeder an Verstand und Herz gebildete Mensch wird von allem, was Trauerspiel in Bühne und Wirklichkeit ist, auf eine Weise ergriffen und bewegt, die das Idyllen- und Lustspielartige, in der vollkommensten Form, nie erreichen kann. Auf dem Boden der Heiterkeit (im höheren Sinne) und Zufriedenheit erhaben zu sein, gibt den Begriff der Majestät, des Göttlichen, das der Mensch nur in seltnen bevorzugten Zeiten und Gestalten schwach widerstrahlt. Das irdisch Imponierende und Ergreifende, das mit menschlichen Mitteln für gewöhnlich dargestellt werden kann, steht immer in Verwandtschaft mit dem gefallnen Engel, der schön ist, aber ohne Frieden, groß in seinen Plänen und Anstrengungen, aber ohne Gelingen, stolz und traurig. Darum kann das, was es außerhalb des Gebietes der Religion für uns Ergreifendes gibt, nicht heiter und zufrieden sein, sondern uns stets nur als Wegweiser dahin dienen, wo wir Frieden finden. Wenn Dein Sinn für die Poesie des Herbstes, des Reifs in der Maiennacht, und alles dessen, was im Menschen dahin gehört, empfänglicher geworden ist, so beweist das nur, daß Du nicht mehr zwölfjährig bist. Über die Kinder, äußre und innre, wie über die kleinen Bäume im Walde geht der Sturm hinweg, der in den Kronen der alten braust und sie beugt und bricht; wenn sie größer werden, wachsen sie in die Sturmschichte hinein, und ihre Wurzeln müssen kräftiger werden, wenn sie nicht untergehn wollen. Unser kleines Annchen scheint auch ins Wachsen zu kommen. Wenn Bäume im Sturm Risse erleiden, so quillt das Harz wie lindernde Tränen aus ihnen und heilt; wenn sie aber gegen derlei Risse nicht Schutz in eigner Festigkeit, sondern immer wieder das Heilmittel der Harzträne (welcher zufällige Doppelsinn) suchen, so erschöpfen sie den Quell und trocknen aus. Worte, Worte, Worte, wirst Du sagen ...

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