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Bismarck an seine Frau Johanna

Szolnok, den 27. Juni 1852.

In den vorhandenen Atlanten wirst Du eine Karte von Ungarn finden, auf dieser einen Fluß Theiß, und wenn Du den über Szegedin hinauf nach der Quelle suchst, einen Ort Szolnok, von dem Dein Liebster Dir schreibt. Ich bin gestern mit Eisenbahn von Pest nach Alberti-Irsa gefahren, wo ein junger Fürst Windischgrätz in Quartier liegt, der mit einer Prinzessin von Mecklenburg, Nichte unsres Königs, verheiratet ist. Dieser machte ich meine Aufwartung, um der Großherzogin, ihrer Mutter, Nachricht von ihrem Ergehn bringen zu können. Der Ort liegt am Rande der ungrischen Steppen zwischen Donau und Theiß, welche ich mir Spaßes halber ansehn wollte. Man ließ mich nicht ohne Eskorte reisen, da die Gegend durch berittne Räuberbanden, hier Petyaren genannt, unsicher gemacht wird. Nach einem komfortablen Frühstück unter dem Schatten einer schönhausigen Linde bestieg ich einen sehr niedrigen Leiterwagen mit Strohsäcken und 3 Steppenpferden davor, die Ulanen luden ihre Karabiner, saßen auf, und fort ging's im sausenden Galopp. Hildebrand und ein ungrischer Lohndiener auf dem Vordersack, und als Kutscher ein dunkelbrauner Bauer mit Schnurrbart, breitrandigem Hut, langen, speckglänzenden schwarzen Haaren, einem Hemd, das über dem Magen aufhört und einen handbreiten dunkelbraunen Gurt eigner Haut sichtbar läßt, bis die weißen Hosen anfangen, von denen jedes Bein weit genug zu einem Weiberrock ist, und die bis an die Knie reichen, wo die bespornten Stiefel anfangen. Denke Dir festen Rasengrund, eben wie der Tisch, auf dem man bis an den Horizont meilenweit nichts sieht als die hohen kahlen Bäume der für die halbwilden Pferde und Ochsen gegrabenen Ziehbrunnen (Püttschwengel). Tausende von weißbraunen Ochsen mit armlangen Hörnern, flüchtig wie Wild, von zottigen unansehnlichen Pferden, gehütet von berittnen halbnackten Hirten mit lanzenartigen Stöcken, unendliche Schweineherden, unter denen jederzeit ein Esel, der den Pelz ( bunda) des Hirten trägt und gelegentlich ihn selbst, dann große Scharen von Trappen, Hasen, hamsterartige Zeisel, gelegentlich an einem Weiher mit salzhaltigem Wasser wilde Gänse, Enten, Kibitze, waren die Gegenstände, die an uns und wir an ihnen vorüberflogen während der 3 Stunden, die wir auf 7 Meilen bis Kecskemet fuhren, mit etwas Aufenthalt in einer Csarda (einsames Wirtshaus). Kecskemet ist ein Dorf, dessen Straßen, wenn man keinen Bewohner sieht, an das Kleine-Ende von Schönhausen erinnern, nur hat es 45 000 Einwohner, lauter Bauern, ungepflasterte Straßen, niedrige, orientalisch gegen die Sonne geschlossene Häuser, mit großen Viehhöfen. Ein fremder Gesandter war da eine so ungewöhnliche Erscheinung, und mein magyarischer Diener ließ die Exzellenz so rasseln, daß man mir sofort eine Ehrenwache gab, die Behörden sich bei mir meldeten und Vorspann für mich requiriert wurde. Ich brachte den Abend mit einem liebenswürdigen Offizierkorps zu, die darauf bestanden, daß ich auch ferner Eskorte mitnehmen müsse, und mir eine Menge Räubergeschichten erzählten. Gerade in der Gegend, nach der ich reiste, sollen die übelsten Raubnester liegen, an der Theiß, wo die Sümpfe und Wüsten ihre Ausrottung fast unmöglich machen. Sie sind vortrefflich beritten und bewaffnet, diese Petyaren, überfallen in Banden von 15 und 20 die Reisenden und die Höfe, und sind am andern Tage 20 Meilen davon. Gegen anständige Leute sind sie höflich. Ich hatte den größten Teil meiner Barschaft und die nette Knarruhr bei Fürst Windischgrätz gelassen, nur etwas Wäsche bei mir, und hatte eigentlich etwas Kitzel, diese Räuber zu Pferde, in großen Pelzen, mit Doppelflinten in der Hand und Pistolen im Gurt, deren Anführer schwarze Masken tragen und dem angeseßnen Landadel angehören sollen, näher kennen zu lernen. Vor einigen Tagen waren mehrere Gendarmen im Gefecht mit ihnen geblieben, dafür aber 2 Räuber gefangen und in Kecskemet standrechtlich erschossen worden. Dergleichen erlebt man in unsern langweiligen Gegenden gar nicht. Um die Zeit, wo Du heut morgen aufwachtest, hast Du schwerlich gedacht, daß ich in dem Augenblick in Kumanien, in der Gegend von Felegy-háza und Csongrad, mit Hildebrand im gestreckten Galopp über die Pußta (Steppe) flog, einen liebenswürdigen, sonnenverbrannten Ulanenoffizier neben mir, jeder die geladnen Pistolen vor sich im Heu liegend, und ein Kommando Ulanen, die gespannten Karabiner in der Faust, hinterherjagend. Drei schnelle Pferdchen zogen uns, die unweigerlich Rosa (sprich Ruscha), Csillak (Stern) und der nebenlaufende Petyar (Vagabund) heißen, von dem Kutscher ununterbrochen bei Namen und in bittendem Ton angeredet werden, bis er den Peitschenstiel quer über den Kopfe hält, und mega, mega (halt auf) ruft, dann verwandelt sich der Galopp in sausende Karriere. Ein sehr wohltuendes Gefühl. Die Räuber ließen sich nicht sehn; wie mir mein netter brauner Leutnant sagte, würden sie schon vor Tagesanbruch gewußt haben, daß ich unter Bedeckung reiste, gewiß aber seien welche von ihnen unter den würdig aussehenden stattlichen Bauern, die uns auf den Stationen aus den gestickten, bis zur Erde gehenden Schafpelzmänteln ohne Ärmel ernsthaft betrachteten und mit einem ehrenfesten istem adiamek (Gelobt sei Gott) begrüßten. Die Sonnenhitze war glühend den ganzen Tag, ich bin im Gesicht wie ein Krebs so rot. Ich habe 18 Meilen in 12 Stunden gemacht, wobei noch 2-3 Stunden, wenn nicht mehr, auf Umspannen und Warten zu rechnen sind, da die zwölf Pferde, die ich brauchte, für uns und die Bedeckung erst gefangen werden mußten. Dabei waren vielleicht ? des Weges tiefster Mahlsand und Dünen, wie bei Stolpmünde. Um 5 kam ich hier an, wo ein buntes Gewühl von Ungarn, Slowaken, Wlachen die Straßen (Sz. ist ein Dorf von etwa 6000 Einwohnern, aber Eisenbahn- und Dampfschiffstation an der Theiß) belebt und mir die wildesten und verrücktesten Zigeunermelodien ins Zimmer schallen. Dazwischen singen sie, durch die Nase mit weitaufgerissenem Munde, in kranker, klagender Molldissonanz, Geschichten von schwarzen Augen und vom tapfern Tod eines Räubers, in Tönen, die an den Wind erinnern, wenn er im Schornstein lettische Lieder heult. Die Weiber sind im ganzen gut gewachsen, aber von Gesicht, bis auf einige ausgezeichnet schöne, nicht hübsch, alle haben pechschwarzes Haar, nach hinten in Zöpfe geflochten, mit roten Bändern darin. Die Frauen entweder lebhaft grünrote Tücher oder rotsammetne Häubchen mit Gold auf dem Kopf, ein sehr schön gelbes seidnes Tuch um Schulter und Brust, schwarze, auch urblaue kurze Röcke und rote Saffianstiefel, die bis unter das Kleid gehn, lebhafte Farben, meist ein gelbliches Braun im Gesicht, und große brennendschwarze Augen. Im ganzen gewährt so ein Trupp Weiber ein Farbenspiel, das Dir gefallen würde, jede Farbe am Anzug so energisch, wie sie sein kann. Ich habe nach meiner Ankunft um 5, in Erwartung des Diners, in der Theiß geschwommen, Csardas tanzen sehn, bedauert, daß ich nicht zeichnen konnte, um die fabelhaften Gestalten für Dich zu Papier zu bringen, dann Paprikahähndel, Stürl (Fisch) und Tick gegessen, viel Ungar getrunken, an Nanne geschrieben, und will nun zu Bett gehn, wenn die Zigeunermusik mich schlafen läßt. Gute Nacht, mein Engel, istem adiamek.

Vendresse, den 3. September 1870.

Mein liebes Herz! Vorgestern vor Tagesgrauen verließ ich mein hiesiges Quartier, kehre heut zurück, und habe in der Zwischenzeit die große Schlacht von Sedan am 1. erlebt, in der wir gegen dreißigtausend Gefangene machten, und den Rest der französischen Armee, der wir seit Bar-le-Duc nachjagten, in die Festung warfen, wo sie sich mit dem Kaiser kriegsgefangen ergeben mußte. Gestern früh 5 Uhr, nachdem ich bis 1 Uhr früh mit Moltke und den französischen Generälen über die abzuschließende Kapitulation verhandelt hatte, weckte mich der General Reille, den ich kenne, um mir zu sagen, daß Napoleon mich zu sprechen wünschte. Ich ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan, fand den Kaiser im offnen Wagen mit drei Adjutanten und drei zu Pferde daneben, auf der Landstraße vor Sedan haltend. Ich saß ab, grüßte ihn ebenso höflich wie in den Tuilerien und fragte nach seinen Befehlen. Er wünschte den König zu sehn; ich sagte ihm der Wahrheit gemäß, daß S. M. drei Meilen davon an dem Orte, wo ich jetzt schreibe, sein Quartier habe. Auf N.s Frage, wohin er sich begeben solle, bot ich ihm, da ich gegendunkundig, mein Quartier in Donchery an, einem kleinen Ort an der Maas, dicht bei Sedan; er nahm es an und fuhr, von seinen sechs Franzosen, von mir und von Carl, der mir inzwischen nachgeritten war, geleitet, durch den einsamen Morgen nach unserer Seite zu. Vor dem Ort wurde es ihm leid wegen der möglichen Menschenmenge, und er fragte mich, ob er in einem einsamen Arbeiterhause am Wege absteigen könne; ich ließ es besehen durch Carl, der meldete, es sei ärmlich und unrein; n'importe, meinte N., und ich stieg mit ihm eine gebrechliche enge Stiege hinauf. In einer Kammer von zehn Fuß Gevierte, mit einem fichtnen Tische und zwei Binsenstühlen, saßen wir eine Stunde, die andern waren unten. Ein gewaltiger Kontrast mit unserem letzten Beisammensein 67 in den Tuilerien. Unsere Unterhaltung war schwierig, wenn ich nicht Dinge berühren wollte, die den von Gottes gewaltiger Hand Niedergeworfnen schmerzlich berühren mußten. Ich hatte durch Carl Offiziere aus der Stadt holen und Moltke bitten lassen, zu kommen. Wir schickten dann einen der erstern auf Rekognoszierung und entdeckten 1/2 Meile davon in Fresnois ein kleines Schloß mit Park. Dorthin geleitete ich ihn mit einer inzwischen herangeholten Eskorte vom Leib.-Kür.-Regt., und dort schlossen wir mit dem französischen Obergeneral Wimpffen die Kapitulation, vermöge deren 40- bis 60 000 Franzosen, genauer weiß ich es noch nicht, mit allem, was sie haben, unsere Gefangenen wurden. Der vor- und gestrige Tag kosten Frankreich 100 000 Mann und einen Kaiser. Heut früh ging letztrer mit allen seinen Hofleuten, Pferden und Wagen nach Wilhelmshöh' bei Kassel ab.

Es ist ein weltgeschichtliches Ereignis, ein Sieg, für den wir Gott, dem Herrn, in Demut danken wollen, und der den Krieg entscheidet, wenn wir auch letztern gegen das kaiserlose Frankreich noch fortführen müssen.

Ich muß schließen. Mit herzlicher Freude ersah ich heut aus Deinen und Maries Briefen Herberts Eintreffen bei euch. Bill sprach ich gestern, wie schon telegraphiert, und umarmte ihn angesichts Sr. M. vom Pferde herunter, während er stramm im Gliede stand. Er ist sehr gesund. Hans und Fritz Karl sah ich, beide Bülow bei 2. G.-Dr., wohl und munter.

Leb' wohl, mein Herz, grüße die Kinder!

Dein v. B.

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