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Bürger an Elise Hahn

Aus der » Beichte eines Mannes, der ein edles Mädchen nicht hintergehen will«.

[Göttingen, Februar 1790.]

Besäße die lebhafte rasche Schwärmerin, deren Liebe schon durch ein paar Hauche meines Geistes und Herzens angefacht werden konnte, – besäße sie auch alles, was die kühnsten Ansprüche eines Mannes befriedigen möchte, Schönheit und Anmut, wie des Geistes, so des Leibes, Güte und Adel des Charakters, Feinheit der Sitten, Stand und Vermögen; hätte sie auch mit allen diesen Vollkommenheiten mein ganzes Wesen längst dergestalt bezaubert und gefesselt, daß sie notwendig das Ziel meiner heißesten Wünsche sein und bleiben müßte: so könnte, so dürfte ich dennoch dies Bekenntnis der heiligen Wahrheit nicht unterdrücken, – nein, ich dürfte es nicht unterdrücken, wenn ich auch gleich im voraus wüßte, daß sie mir dadurch zu meinem unaussprechlichen, bis ins Grab hinab dauernden Kummer verloren ginge. Also gebeut mir der Richter, der Gesetzgeber, der Gott, den ich in meinem Busen trage, den ich nicht verleugnen kann, den ich verehren, dem ich, trotz allen widerstrebenden Neigungen gehorchen muß, wenn ich nicht unmittelbar die grausamste aller Seelenstrafen, Verachtung und Verabscheuung meiner selbst, auf mich laden will.

Teures Mädchen! so sehr ich wünsche, daß Sie die Person sein mögen, der es verliehen ist, den Nachmittag und Abend meines Lebens zu beseligen; die Person, welche nun noch auf Erden zu finden ich längst verzweifelte; so sehr ich wünschte, der einzige Mann Ihres Geistes, Ihres Herzens, Ihrer Sinne, und in allen diesen der Mann Ihrer höchsten irdischen Glückseligkeit zu sein: ebensosehr drängt mich auch die Pflicht, Sie durch dieses getreue Bekenntnis von mir selbst zur strengsten Prüfung aller Ihrer Neigungen und Ansprüche erst aufzufordern, ehe der Enthusiasmus uns beide zu Schritten verleite, die uns in großes Unglück führen könnten. Ich will daher mein Inneres und mein Äußeres so schildern, daß, womöglich, ich selbst hinfort mich nicht genauer kennen will, als Sie mich kennen sollen.

Was zuvörderst meinen Geist und mein Herz betrifft, so mögen Sie zwar wohl glauben, beides aus meinen öffentlichen Werken so hinlänglich zu kennen, um sich in Ansehung dieser Stücke volle Genüge für Ihre Wünsche versprechen zu dürfen. Allein vielleicht könnten Sie dennoch wohl irren. Ich will zwar, ebenso unbefangen von Demutsziererei als von Dünkel, gern zugeben, daß einiges unter meinen Werken befindlich sein möge, das eines edlen Geistes und Herzens nicht unwürdig ist. Allein daraus dürfen Sie auf vollkommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluß machen. Es wäre sonst ebensoviel, als ob Sie von einigen schönen Blüten auf gesunde und unverdorbene Schönheit und Vollkommenheit des Baumes, welcher sie trug, schließen wollten. Auch ein wurmstichiger, mehr als halb verrotteter Stamm mag, wenn er sonst nur ursprünglich guter Art ist, noch immer deren einige hervorbringen. Nun fürchte ich sehr, daß Sie und jeder, der mich kennen lernt, trotz dem besten Vorurteil, das er vorher für mich hegte, genötigt sein werde, mich für einen solchen verdorbenen Stamm zu halten. Ungewitter und Stürme des Lebens haben hart in meine Blüten, Blätter und Zweige gewütet. O, ich bin nicht derjenige, der ich vielleicht der Naturanlage nach sein könnte und auch wohl wirklich wäre, wenn mir im Frühlinge meines Lebens ein milder Himmel gelächelt hätte. Durch viele und langwierige Widerwärtigkeiten bin ich an Leib und Seele so verstimmt worden, daß ich oft in eine trübe melancholische Laune und dabei in eine Ohnmacht des Geistes versinke, die mich gewiß nicht empfehlen kann. Denn ich verliere alsdann allen Mut, alles Vertrauen auf mich selbst und halte mich für kopfleer, für herzkalt, für wortarm, kurz, für einen höchst wertlosen Stümper. Ich denke, jeder, der mich nur ansieht, spricht bei sich: Es ist mit dem Menschen doch gar nichts anzufangen! weil ich dies wirklich selbst glaube. Darob bin ich mir dann selbst gram; und wenn man sich selbst gram ist, so kann man unmöglich andern angenehm und liebenswürdig erscheinen. Da ich indessen ursprünglich gewiß mehr Anlage zum Frohmut als zum Trübsinn habe: so wäre ich wohl in den letzten Jahren in mein erstes Naturgeleise zurückgelanget, wenn ich meine gefeierte Molly-Adonide behalten hätte. Denn in dem Besitze ihrer Person und Liebe fühlte ich mich sehr merklich wieder gedeihen, wie an Reichtum des Kopfes, so an Fülle, Wärme und Kraft des Herzens. Jene Laune belästigte mich damals in weit geringerem Grade, und das Weib meines Herzens erfuhr davon, wie ich glaube, gar keine Beschwerde. Wodurch hätte ich aber nach ihrem Hinscheiden genesen sollen? – Liebe, aber ungemeine Liebe, brächte vielleicht jetzt noch eine volle Wiedergeburt mit mir zustande. Sollte sie aber wohl möglich sein, eine so gewaltige Liebe, die es der Mühe wert hielte, ein lange verstimmt gewesenes Instrument rein umzustimmen und mit neuen Saiten zu beziehen? Und würde hernach das Instrument ihre Mühe und Kosten vergüten? – Ach, ich bin auch im Stande der Gesundheit des Leibes und der Seele nur ein gewöhnlicher Alltagsmensch, wie sie zu Millionen unter Gottes Himmel herumlaufen! Ich erstaune, wie ein vernünftiges Publikum mich, um einiger guten Verse willen, für etwas Besonderes halten könne ...

Nunmehr noch etwas von meiner vorigen Lebensgeschichte. Ich habe zwei Schwestern zu Weibern gehabt. Auf eine sonderbare Art, zu weitläufig, hier zu erzählen, kam ich dazu, die erste zu heiraten, ohne sie zu lieben. Ja, schon als ich mit ihr vor den Altar trat, trug ich den Zunder zu der glühendsten Leidenschaft für die zweite, die damals noch ein Kind und kaum vierzehn bis fünfzehn Jahre alt war, in meinem Herzen. Ich fühlte das wohl; allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es, ob ich's mir gleich nicht ganz ableugnen konnte, höchstens für einen kleinen Fieberanfall, der sich bald geben würde. Hätte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun können, so wäre es Pflicht gewesen, selbst vor dem Altare, vor dem Segensspruche noch zurückzutreten. Mein Fieber legte sich nicht, sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger, immer unauslöschlicher. In ebendem Maße, als ich liebte, wurde ich von der Höchstgeliebten wiedergeliebt. O, ich würde ein Buch schreiben müssen, wenn ich die Martergeschichte dieser Jahre und so viele der grausamsten Kämpfe zwischen Liebe und Pflicht erzählen wollte. Wäre das mir angetraute Weib von gemeinem Schlage, wäre sie minder billig und großmütig gewesen (worin sie freilich von einiger Herzensgleichgültigkeit gegen mich unterstützt wurde), so wäre ich zuverlässig längst zugrunde gegangen und würde jetzt diese Zeilen nicht mehr schreiben können. Was der Eigensinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben würde, das glaubten drei Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung vom Verderben selbst gestatten zu dürfen. Die Angetraute entschloß sich, mein Weib öffentlich und vor der Welt nur zu heißen, und die andere, insgeheim es wirklich zu sein. Dies brachte nun zwar mehr Ruhe in aller Herzen; aber es brachte auch eine andere höchst angst- und kummervolle Verlegenheit zuwege. Ein schöner, talentvoller Knabe, eben der, welchen ich unter meinen Kindern mit aufgeführt habe, wiewohl vielleicht bis auf den heutigen Tag die meisten Menschen hiesiger Gegend nichts, wenigstens nichts Gewisses davon wissen, war die Folge jener Übereinkunft. Er wurde heimlich zwanzig Meilen von hier in Obersachsen geboren und seitdem von meiner Schwester erzogen. – Im Jahre 1784 starb meine erste Frau an der Auszehrung, die in ihrer Familie erblich war. Im Jahre 1785 heiratete ich öffentlich und förmlich die Einzige, Höchstgefeierte meines Herzens; allein nach kurzem glückseligen Besitze verlor ich auch sie am 9. Januar 1786 nach der Geburt der jüngsten Tochter an einem hektischen Fieber. Was ihr Besitz, was ihr Verlust mir war, das sagen meine Freuden- und Trauerlieder. Seit dieser Zeit lebe ich einsam und traurig mit sehnendem Herzen.

Kann Elisen der Mann noch reizen, der so vor ihr dasteht? Noch habe ich, wie mir vorkommt, mir selbst eben nicht zum Vorteile geredet. Etwas ist indessen doch wohl demjenigen erlaubt, zu seinem Besten zu sagen, der keinen seiner wichtigsten Fehler vorsätzlich verschwieg. Dem Weibe, das mich, so wie ich da bin, zu lieben vermag, und welches ich mit voller Liebe wiederliebe, darf ich ein nicht unglückliches Leben versprechen. Ist es ihr süß, von mir geliebt, an meinem Busen gehegt und gepflegt zu werden, so wird es ihr nie an voller Genüge ermangeln. Denn wenn ich einmal echt und von Herzen liebe, so liebe ich gewiß unveränderlich, und keine Fülle des Genusses kann mich des geliebten Weibes satt und überdrüssig machen; so gemein auch die Bemerkung ist: der Genuß sei das Grab der Liebe. Nur Afterliebe, die den heiligen Namen nicht verdient, erkaltet im Bett der Ehe. Der wahren Liebe, meiner wahren Liebe bleibt dies immer ein Brautbett. Auch das Weib, welches ich unglücklich genug wäre, nach der unzertrennlichsten Verbindung nicht mehr zu lieben, darf wenigstens keine unedle und rauhe Begegnung von mir fürchten. Das bezeuge mir noch in jener Welt die, mit welcher ich zehn Jahre ohne ein rohes, unfreundliches Wort verlebte, ob ich sie gleich nicht liebte. Eher möchte ich vielleicht fähig sein, mit der Höchstgeliebten meines Herzens, doch nur über geargwohnten Mangel an ihrer Gegenliebe, zu hadern. Gott bewahre mich vor einem Weibe, das mich für meine Liebe nicht vollauf wiederliebt! Noch bin ich in diesem Falle zwar nicht gewesen: aber mir deucht, es würde von allen möglichen der schlimmste sein. Leicht könnte ich dann der unerträglichste Mensch werden. Denn es kommt mir vor, als sei ich großer Eifersucht fähig. Freilich nicht, nach gemeiner Männer Weise, zum Hüten und Auskundschaften der Schritte und Tritte meines Weibes; nicht zur Einschränkung ihrer Freiheit in irgendeiner Art des Umganges: aber heimliche Verzweiflung würde mein Herz zerfleischen, und in der grausenden Gestalt eines Höllenverdammten würde ich vor ihrem Angesichte umherschleichen ...

Meinen Sie, nach wiederholter und abermals wiederholter Prüfung dieser Beichte, daß ich, trotz allem, was an mir auszusetzen ist, dennoch der Mann Ihres Herzens sein könne, wenn anders mein Körperliches Ihnen nicht ganz und gar zuwider sein sollte, und Sie sagen mir dieses redlich, offenherzig und unbefangen: so will ich ganz in der Stille, unerkannt und unter fremdem Namen, um weder Sie noch mich selbst vor der Welt bloßzustellen, zu Ihnen nach Stuttgart kommen. Auch ich selbst muß Sie erst sehen, wie Sie leiben und leben, und ob Sie diejenige wirklich sind, die ich im Geiste freilich schon längst mit hoher Liebe umfasse. Geist, Herz, Charakter und Lebensart, Sitten, Stand, Ehre, Vermögen sind zwar wichtige Ingredienzien zu einer glücklichen Ehe; allein, sie machen es doch nicht immer und ganz allein aus. Wir sind insgesamt sinnliche Menschen, und auch die Sinnlichkeit will ihr Recht haben. Unsere Sinne müssen ein wechselseitiges Behagen aneinander finden, welches sich nicht gerade nach Jugend und Schönheit, sondern oft nach einem unerklärbaren Etwas richtet, das sich weder malen, noch beschreiben, sondern allein im Innersten fühlen läßt. Dieses Etwas läßt sich weder geben noch nehmen.

Nach diesen Vorbereitungen wird es sich in der ersten Stunde unserer persönlichen Zusammenkunft ausweisen, ob wir das Publikum mit der allersonderbarsten Heiratsgeschichte amüsieren, – zu unserem eigenen noch größeren Amüsement zu amüsieren imstande sind oder nicht.

Elise, Elise! ich schließe mit einer teuern, feierlichen Beschwörung. Bei dem ewigen Gotte, bei Ihrem eigenen Wohl und Weh und bei dem Wohl und Weh eines Mannes, der nicht redlicher um das Ihrige besorgt sein kann, als er ist, beschwöre ich Sie: Wählen Sie mich nicht zu Ihrem Gatten, wofern Sie nicht bei sich fühlen, daß Sie sich mit voller Liebe in meine Arme werfen können. Ich schwöre Ihnen, in Ansehung Ihrer ebendasselbe zu beobachten.

Und so hoffe ich freudig, der Allbarmherzige werde unsern Bund, wenn er zustande kommt, mit seinem Segen krönen.

G A B.

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