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Goethe an Friederike Brion

Straßburg, den 15. Oktober 1770.

Liebe neue Freundin! Ich zweifle nicht, Sie so zu nennen; denn wenn ich mich anders nur ein klein wenig auf die Augen verstehe, so fand mein Aug' im ersten Blick die Hoffnung zu dieser Freundschaft in Ihrem, und für unsre Herzen wollt' ich schwören. Sie, zärtlich und gut, wie ich Sie kenne, sollten Sie mir, da ich Sie so liebhabe, nicht wieder ein bißchen günstig sein? Liebe, liebe Freundin! Ob ich Ihnen was zu sagen habe, ist wohl keine Frage; ob ich aber just weiß, warum ich eben jetzo schreiben will, und was ich schreiben möchte, das ist ein anders; so viel merk' ich an einer gewissen innerlichen Unruhe, daß ich gerne bei Ihnen sein möchte, und in dem Falle ist ein Stückchen Papier so ein wahrer Trost, so ein geflügeltes Pferd, für mich, hier, mitten in dem lärmenden Straßburg, als es Ihnen in Ihrer Ruhe nur sein kann, wenn Sie die Entfernung von Ihren Freunden recht lebhaft fühlen.

Die Umstände unserer Rückreise können Sie sich ohngefähr vorstellen, wenn Sie mir beim Abschiede ansehen konnten, wie leid er mir tat; und wenn Sie beobachteten, wie sehr Weyland nach Hause eilte, so gern er auch unter andern Umständen bei Ihnen geblieben wäre. Seine Gedanken gingen vorwärts, meine zurück, und so ist natürlich, daß der Diskurs weder weitläufig noch interessant werden konnte.

Zu Ende der Wanzenau machten wir Spekulation, den Weg abzukürzen, und verirrten uns glücklich zwischen den Morästen. Die Nacht brach herein, und es fehlte nichts, als daß der Regen, der einige Zeit nachher ziemlich freigebig erschien, sich um etwas übereilt hätte; so würden wir alle Ursache gefunden haben, von der Liebe und Treue unsrer Prinzessinnen vollkommen überzeugt zu sein.

Unterdessen war mir die Rolle, die ich aus Furcht, sie zu verlieren, beständig in der Hand trug, ein rechter Talisman, der mir die Beschwerlichkeiten der Reise alle hinwegzauberte. Und noch? O, ich mag nichts sagen, entweder Sie können's raten, oder Sie glauben's nicht.

Endlich langten wir an, und der erste Gedanke, den wir hatten, der auch schon auf dem Weg unsre Freude gewesen war, endigte sich in ein Projekt, Sie balde wiederzusehen.

Es ist ein gar zu herziges Ding um die Hoffnung, wiederzusehen. Und wir andern, mit denen verwöhnten Herzchen, wenn uns ein bißchen was leid tut, gleich sind wir mit der Arzenei da und sagen: Liebes Herzchen, sei ruhig, du wirst nicht lange von ihnen entfernt bleiben, von denen Leuten, die du liebst; sei ruhig, liebes Herzchen! Und dann geben wir ihm inzwischen ein Schattenbild, daß es doch was hat, und dann ist es geschickt und still wie ein kleines Kind, dem die Mama eine Puppe statt des Apfels gibt, wovon es nicht essen sollte.

Genug, wir sind hier, und sehen Sie, daß Sie unrecht hatten; Sie wollten nicht glauben, daß mir der Stadtlärm auf Ihre süße Landfreuden mißfallen würde.

Gewiß, Mamsell, Straßburg ist mir noch nie so leer vorgekommen als jetzo. Zwar hoff' ich, es soll besser werden, wenn die Zeit das Andenken unsrer niedlichen und mutwilligen Lustbarkeiten ein wenig ausgelöscht haben wird, wenn ich nicht mehr so lebhaft fühlen werde, wie gut, wie angenehm meine Freundin ist; doch sollte ich das vergessen können oder wollen? Nein, ich will lieber das wenig Herzwehe behalten und oft an Sie schreiben.

Und nun noch vielen Dank, noch viele aufrichtige Empfehlungen Ihren teuern Eltern, Ihrer lieben Schwester, viel hundert – was ich Ihnen gerne wieder gäbe.

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