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Diotima an Hölderlin

Frankfurt a. M., September 1799.

... Je mehr man zu sagen hat, je weniger kann man sagen. Schicke mir den »Hyperion« durch Sinklair, es ist mir nicht möglich, ihn um ein paar Geldstücke zu kaufen. Träumen möchte ich immer, doch Träumen ist Selbstvernichtung und Selbstvernichtung Feigheit. Die Beziehung der Liebe besteht in der wirklichen Welt, die uns umschließt, nicht durch den Geist allein, auch die Sinne (nicht Sinnlichkeit) gehören dazu; ja Liebe, die wir ganz der Wirklichkeit entrücken, nur im Geiste noch fühlen, der wir keine Nahrung und Hoffnung mehr geben könnten, würde am Ende zur Träumerei werden oder vor uns verschwinden, sie bliebe, aber wir wüßten es nicht mehr, und ihre wohltätigen Wirkungen auf unser Herz würden aufhören. Ich fühle es, unsere Liebe ist zu heilig, als daß ich Dich täuschen könnte.

Die Leidenschaft der höchsten Liebe findet wohl auf Erden nie ihre Befriedigung, fühle es mit mir, diese suchen wäre Torheit; miteinander sterben – doch still, es klingt wie Schwärmerei – ist die Befriedigung. Es ist für die Menschen leicht, leben zu lassen, was sie im Grunde nicht achten, nur das, was sie beneiden können, möchten sie stören.

Kehre nicht dahin zurück, woher Du aus zerrissenen Gefühlen in meine Arme Dich gerettet. Ich muß Dir nur gestehen, es hat mich ein wenig erschreckt, Du wollest in einem gewissen Falle dem Rat und Ausspruch von Schiller folgen. Wird er nicht suchen, Dich in seine Nähe zu bringen? Wird dieser schmeichelhafte Ruf Dich nicht recht verführen? Wenn es einst so wäre, o dann gedenke der Liebe und ihrer unzähligen Qualen!

Schiller – Du könntest wohl nicht umhin, ihn zu besuchen, es könnte Dir wohl recht angenehm sein, und was ich dabei empfinden würde, fühlte ich genug an meinem hochklopfenden Herzen, als ich einige Stunden in jenem Hause zubrachte, einem Hause in Weimar bei Jena, in was Schiller ziehen wollte. – Ich weiß es wohl, vor dem hohen Ideal der Liebe gelten solche Schwachheiten nicht und verdienen Verdammung, aber vor der menschlichen Empfindung der Liebe Schonung! Du verstehst mich! Der Einfluß edler Naturen ist dem Künstler so notwendig, wie das Tageslicht den Pflanzen, und so wie das Tageslicht in der Pflanze sich wiederfindet, nicht wie es selbst ist, sondern nur im bunten irdischen Spiel der Farben, so finden edle Naturen nicht sich selbst, aber zerstreute Spuren ihrer Vortrefflichkeit in den mannigfaltigen Gestalten und Spielen der Künstler ...

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