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Der Herzog von Reichstadt an Erzherzogin Sophie

Sie haben mir gesagt: für Sie ist die Liebe nur eine Ausflucht des Ehrgeizes. Über diese Worte habe ich lange nachgedacht und in allen Falten meines Herzens gestöbert. Ich habe ernsthaft alle meine Befürchtungen geprüft, ohne meine Hoffnungen zu verwerfen, ich habe mich vorurteilslos geprüft, jawohl vorurteilslos (ich finde, daß dies möglich ist)! Gut, der Erfolg dieser Nachforschung ist, daß ich Sie ohne Hintergedanken liebe, ohne daß ich mich von irgendeinem beherrschenden Gefühle täuschen lasse; mit einem Wort: ich bin sicher, daß ich Sie nur liebe, weil ich Sie liebe.

Ich liebe Sie, weil Sie von der ersten Regung an edelmütig und gütig gewesen sind, weil Sie sich gesagt haben: Das arme Opfer ist dazu verurteilt, aller Freuden zu entbehren, die (leider) in dem Plan stehen; man hält von ihm die unschuldigsten Dinge fern, weil seine Natur sich in ihnen erst erkennen und kräftig werden und sich bis zu einem Handeln versteigen könnte. Sie aber sagten: Ich will ihm erlauben, mich liebzuhaben; die Illusionen des Herzens werfen ihr Licht über alle verzweifelnde Trockenheit der Wirklichkeit.

Wie ich all dies in Ihrer Güte entdecken konnte: das Ihnen zu sagen, wäre zu schwer. Ein süßes Wort, ein liebevoll beratender Blick, eine mitfühlende Bewegung, alles zusammen eine unaussprechliche Einheit in allen Äußerungen Ihres schönen Herzens: dies sind meine Beweise. Ich kann mich unmöglich getäuscht haben.

Wie Sie sehen, habe ich Sie zuerst nur aus Dankbarkeit geliebt. Wie man sich immer anstellen mag, so fühlte ich doch in meinem Herzen, daß ich mich, gerade weil man mir darüber Vorwürfe macht, über die anderen erhebe. Die Welt verlangt von mir die Rechenschaft meiner Geburt. Ich muß wieder aufstehen oder zu Boden fallen. Die Luft der mittleren Bezirke erstickt mich. Ich sehe, wie Sie lächeln. Nun gut. Sie werden schon sehen.

Auf mir lastete ein grausamer Zweifel. Ich fühlte die Helle, die ich nicht sah; so wie ein Blinder Tag und Nacht unterscheidet. Alles, was ich erstrebte, fiel schwer auf mein Herz zurück. Sie haben mir meine Natur erklärt. In Ihrer Zuneigung ist etwas von der Reinheit der Mutterliebe. Wir unterhielten uns sozusagen durch die Gespräche der anderen; ohne daß wir zueinander reden mußten, legten wir alles vor uns Gesprochene füreinander aus. Wenn ich auf Ihrer Stirne ein Lob oder einen Tadel las, glaubte ich in meinem eigenen Gewissen zu lesen; dann fühlte ich, wie ich unter Ihrer Neigung groß wurde, und ich sprach zu mir: Eines Tags wird sie mit ihrem Werke zufrieden sein!

Wenn die Sonnenstrahlen gleichmäßig auf alle Geschöpfe fallen, beleben und befruchten sie sie; doch wenn sie die Höhlung eines Glases streifen, vereinigen sie sich zum Brennpunkt und verbrennen und verzehren. Wenn alle meine Neigungen ihrem natürlichen Laufe hätten folgen dürfen, hätte die Liebe mit geringerer Kraft auf mich gewirkt; so aber hat sie alle Kräfte meines Wesens zusammen ergriffen und stellt es nun ganz allein dar. O, beunruhigen Sie sich nicht! Die unruhige Gewalt der Leidenschaft besänftigt sich in mir durch eine Art von Verehrung, die etwas Religiöses an sich hat. Die Liebe zu meinem Vater, die Freundschaft, um die sie meine Jugend gebracht haben, und selbst die Vaterlandsliebe, die Sie mir allein erlauben, haben die Liebe des Jünglings geläutert. Wie können Sie ein Gefühl als Schwäche bezeichnen, das die Duette aller Vollendung ist?

In einem einzigen Dinge rufe ich Ihre Nachsicht, Ihr Mitleid an! Scherzen Sie niemals über meine Eifersucht! Ich bin davon überzeugt, daß niemand Sie so sehr wie ich liebt, weil Sie niemand so wie ich versteht, und weil Sie mich allein verstehen können. Ich weiß, daß Sie Pflichten zu erfüllen haben, die ich achte. Ich weiß, daß Sie zu jedermann gütig sind, wie es Ihr Recht ist. Doch gibt es eine Stärke der Verbindung Ihres Herzens mit einem andern Herzen, die ist unmöglich zu ertragen. Dies ist nicht Selbstsucht, es ist ein Gefühl des durchaus Angemessenen; denn wir beide bilden eine Menschheit für sich; wenn unser Bündnis auch nicht niedergeschrieben ist, so ist es darum nur um so heiliger. Wozu wollen Sie vor diesen flachen Geistern erhaben sein? Wozu nutzlos Ihre Schätze verschleudern? Wollen Sie das Wasser der Donau ablenken, um mit ihr ein Saatfeld zu bewässern?

Die schönsten Gegenstände können bei gewissen Berührungen nur einbüßen; eine Blume ist nur schön an dem Busen einer Jungfrau, auf dem Altar, selbst auf dem Grabe. Denn der Gedanke wird nur erst durch seine Verwandtschaft oder auch durch einen Gegensatz vollständig, – nur: was wäre eine Rose – auf einem Backkuchen? ...

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