Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Maupassant an Maria Bashkirtseff

Rue Dulong 83.

Lieber Joseph, nicht wahr, die Moral Ihres Briefes ist folgende: Da wir uns gar nicht kennen, so wollen wir uns auch keinerlei Zwang auferlegen und frisch von der Leber weg reden wie zwei gute Kameraden.

Mir soll's recht sein; ich will sogar mit dem Beispiel völliger Ungezwungenheit vorangehen. Und da wir nun einmal so weit miteinander gekommen sind, so können wir uns auch gleich duzen, nicht wahr? Ich duze Dich also, und wenn Du damit nicht einverstanden bist: pst!

Geh doch zu Victor Hugo, der redet Dich per »lieber Dichter« an.

Weißt Du auch, daß Du mir für einen Schulmeister, dessen Obhut unschuldige Knäblein anvertraut sind, ziemlich unpassende Dinge sagst? Was, Du bist gar nicht prüde? Weder in Deiner Lektüre noch in Deinen Schriften noch in Deinen Worten noch in Deinen Handlungen, was? Ich dachte mir's.

Und Du glaubst, es könne mich irgend etwas amüsieren! Und ich machte mich übers Publikum lustig? Mein lieber Joseph, es gibt keinen Menschen unter der Sonne, der sich mehr langweilt als ich. Nichts scheint mir einer Bemühung oder Anstrengung wert. Ich langweile mich ohne Unterlaß und ohne Hoffnung, weil ich nichts wünsche, so erwarte ich auch nichts; und ich tauge keineswegs dazu, über Dinge zu jammern, die sich nicht ändern lassen. Da wir übrigens ganz offen zueinander sind, so teile ich Dir bei dieser Gelegenheit gleich mit, daß dies mein letzter Brief ist, weil ich die Geschichte jetzt nachgerade satt habe.

Warum sollte ich Dir noch weiter schreiben? Es macht mir keinen Spaß mehr und verspricht mir auch nichts für die Zukunft.

Also?

Ich habe keine Lust, Dich kennen zu lernen; ich bin sicher, daß Du häßlich bist, und dann finde ich auch, daß ich Dir jetzt genug solcher Autographen geschickt habe. Weißt Du denn, daß sie 10 bis 20 Sous per Stück wert sind, je nach dem Inhalt? Zwei zu 20 Sous sind mindestens darunter, Du Glückspilz!

Und dann werde ich auch Paris jedenfalls bald wieder verlassen, ich langweile mich hier entschieden mehr als anderswo. Ich werde der Abwechslung halber nach Etretat gehen, wo ich gerade jetzt allein zu sein hoffe.

Ich liebe das Alleinsein über alles. Auf diese Art kann ich mich wenigstens langweilen, ohne reden zu müssen.

Du willst mein Alter wissen, und zwar ganz genau. Da ich am 5. August 1850 geboren bin, so bin ich noch nicht 34 Jahre alt. Bist Du jetzt zufrieden? Wirst Du mich nunmehr nicht sofort um meine Photographie bitten? Ich sage Dir hiermit schon im voraus, daß ich sie Dir nicht schicken werde.

Ja, ich liebe schöne Frauen; aber ich habe auch Tage, an denen sie mich geradezu abstoßen.

Lebe wohl, alter Joseph, unsere Bekanntschaft war zwar nur unvollständig und kurz, aber wer weiß, vielleicht ist's besser, daß wir unsere lächerlichen Seiten einander nicht abgelauscht haben.

Gib mir Deine Hand, daß ich sie noch herzlich drücke, indem ich Dir mein letztes Lebenszeichen sende.

Guy de Maupassant.

P.S. Du kannst nun jedem, der Dich darnach fragt, richtige Auskunft über mich erteilen. Dank der Anonymität habe ich mich Dir ausgeliefert.

Lebe wohl, Joseph!

*


 << zurück weiter >>