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Shelley an seine Frau Mary

Ravenna, den 7. August 1821.

Meine teuerste Mary! Gestern abends gegen zehn Uhr traf ich hier ein und saß mit Lord Byron bis heute gegen fünf Uhr morgens im Gespräche auf. Dann legte ich mich nieder, schlief bis gegen elf und will jetzt nach möglichst rasch beendetem Frühstück die Zeit bis zwölf, da die Post abgeht, Dir widmen. Lord Byron befindet sich sehr wohl und freute sich sehr, mich zu sehen. Er hat seine Gesundheit ganz wiedergewonnen und führt jetzt ein Leben, das dem in Venedig gerade entgegengesetzt ist. Er hat eine Art von festem Verhältnis mit Contessa Guiccioli, die gegenwärtig in Florenz weilt und nach ihren Briefen eine sehr liebenswürdige Frau zu sein scheint. Sie wartet dort auf eine Entscheidung, ob sie nach der Schweiz gehen oder in Italien bleiben sollen; dies ist beiderseits noch ungewiß. Sie mußte in aller Hast aus dem Gebiete des Kirchenstaates flüchten, da schon Vorkehrungen getroffen waren, sie in ein Kloster zu sperren, in dem sie unentrinnbar auf Lebenszeit gefangen gewesen wäre. Die Ehescheidung, die die Gesetze und die öffentliche Meinung Italiens vorsehen, hat, obzwar sie viel seltener ist, weit ernstere Folgen als in England. Ich zittere bei dem Gedanken, was der armen Emilia noch bevorsteht.

Lord Byron hat sich in Venedig fast zugrunde gerichtet; seine Schwäche erreichte einen solchen Grad, daß er nicht mehr fähig war, Nahrung zu sich zu nehmen; er wurde durch ein hektisches Fieber verzehrt und wäre bald gestorben, wenn ihn jene Neigung nicht von den Ausschweifungen zurückgehalten hätte, in die er sich mehr aus Leichtsinn und Verachtung der öffentlichen Meinung als aus Gefallen daran gestürzt hatte. Der arme Kerl! Er ist jetzt ganz wohl und geht in Politik und Literatur völlig auf. Über die erstere hat er mir eine Menge interessanter Einzelheiten mitgeteilt, doch wollen wir in einem Briefe davon nicht reden ...

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