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Freiligrath an Ida Melos

[Unkel,] den 21. September 1839. Morgens 11 Uhr.

Endlich wieder einmal ein sonniger, warmer Tag, ein köstlicher warmer Herbsttag, mit dem ganzen unaussprechlichen Reize eines solchen, frisch und fröhlich und kräftig, und doch auch wieder zu einer wunderbaren, unerklärlichen Schwermut, zu einem tiefen, süßen Sehnen stimmend! So ein rechter Zugvögeltag! Wir haben ihn recht à la Eichendorff begonnen, Schücking und Dralle und ich. Acht musizierende Bergleute kamen vorbei, Harzmänner aus Goslar. Die rief ich herein und gab ihnen Wein und ließ sie sich aufstellen im Garten, und wir drei Strolche legten uns ins Gras und sogen die kecke, schmetternde Hornmusik mit tiefen Zügen in uns hinein. Ich ließ Webers »Letzten Gedanken« spielen, und die Marseillaise, und »Im Wald« aus »Preciosa«, und was die schwarzen Vagabunden sonst auswendig wußten. Ich war fröhlich, fröhlich, und bin's noch – die Musik tönt süß und feierlich in meinem Herzen nach. Es war eine hübsche, malerische Gruppe. Die acht Bergmänner in schwarzen Kitteln, mit Horn und Fagott und Posaune; dann wir drei Poeten, in zerrissenen Schlafröcken am Boden liegend, mit Pfeifen und Zigarren; Strolch und Lump und Mignon um uns herum rennend – dazu ein wackeliger Stuhl, in solennester Weise mit Flaschen und Gläsern bepflanzt – es war wirklich hübsch, und wie ich jetzt nichts erlebe, Angenehmes oder Unangenehmes, was ich nicht gleich Dir mitteilen müßte, wobei ich nicht gleich an Dich dächte, so stell' ich mich auch gleich ans Pult, um Dir diese kleine Freude zu melden. Wenn ich nächstens in Cölleda oder sonstwo in Deiner Nähe eine ähnliche Bande aufgabele, so bring' ich sie unter Dein Fenster – die süßesten, sanftesten Klänge sollen Dich in Schlaf lullen, Du süßes, träumerisches Kind! – Guten Morgen, meine Herzens-Ida! –

Abends. Soeben komm' ich vom Drachenfelsen zurück, den ich in Schückings Gesellschaft bestiegen hatte. Wir machten die Partie zu Fuß über Rhöndorf und kletterten von letzterem Orte denselben steilen Pfad hinauf, der Dir einst mit Steinäckers so sauer geworden war. Ich dachte nur an Dich, den Weg hinauf und auch oben! Wie unendlich lieb und teuer und wichtig sind mir jetzt alle diese Stellen, die Dein Fuß betreten hat, die ich zum größten Teil mit Dir betreten habe! Drachenfels und Königswinter, Nonnenwerth und Rolandseck und der ganze liebliche Uferstrich von Mehlem bis an den Unkelstein – alles, alles ist mir durch Dich verklärt! Du hast jedem Plätzchen, jedem Pfade, jedem Felsstück die Weihe gegeben; Du bist mir die Fee der ganzen Gegend; wo ich geh' und stehe, seh' ich nur Dich. Wie oft sitz' ich still und einsam auf Groyens oder Küppers Balkon; wie oft schleich' ich mich in des erstern Hause auf das Zimmer mit den bunten Scheiben, wo Du mir am 18. Juni auch die Hand drücktest, und denke an Dich, fest und unverwandt! Es geht eine Sage im Volke, daß man durch ein stetes Denken, durch eine heftige, unverwandte Sehnsucht die Seele des Entfernten über Berg und Tal, über Meer und Strom zu sich heraufbeschwören könne! So fest, so glühend, so innig heft' ich all mein Denken auf Dich, und wenn an jener Sage was Wahres wäre, so hättest Du mir längst erscheinen müssen! – Wirst Du nicht gleich vor mich treten auf mein dunkles, von der Lampe nur matt erhelltes Zimmer? – Schlafe wohl, mein süßes, süßes Kind! Meine Seele hält Wacht an Deinem Lager! Schlaf wohl! ...

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