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Prinz de Ligne an die Marquise de Coigny

Bartschisarai, den 1. Juni 1787.

Ich hoffte, meine Seele in Tauris durch die großen wirklichen oder erdichteten Begebenheiten dieses Landes erheben zu können. Mein Geist war bereit, sich mit Mithridates dem Heroischen, mit Iphigenie dem Fabelhaften, mit den Römern dem Militärischen, mit den Griechen den schönen Künsten, mit den Tataren dem Räuberwesen, mit den Genuesen dem Kaufmännischen zuzuwenden. Alle diese Leute sind mir genügend vertraut. Aber da gibt es etwas anderes. Sie sind alle hinter Tausendundeine Nacht verschwunden. Ich schreibe aus dem Harem des letzten Khans der Krim. Er hat sehr unrecht getan, sein Zelt abzubrechen und den Russen vor vier Jahren das schönste Land der Erde zu überlassen. Das Schicksal hat mir das Gemach der schönsten Sultanin und Ségur das des ersten ihrer schwarzen Eunuchen vorbehalten. Meine verfluchte Einbildungskraft will nicht altern, sie ist frisch, rosig und rund wie die Wangen der Frau Marquise. In unserem Schlosse, das etwas Maurisches, Arabisches, Chinesisches und Türkisches an sich hat, gibt es Fontänen, Gärtchen, Wandgemälde, Vergoldungen und Inschriften überall. Unter anderm liest man in dem sehr unterhaltsamen und sehr schönen Audienzsaal um den Fensterrahmen in goldener Inschrift auf türkisch die Worte: »Allen Eifersüchtigen zum Trotz sei hiemit die ganze Welt belehrt, daß es in Ispahan, Damaskus und Stambul keine Schätze gleich diesen gibt.« Von Cherson ab haben wir überall Zeltlager angetroffen, die durch ihren asiatischen Prunk inmitten der Wüste wunderbar waren. Ich weiß nicht mehr, wo und in welcher Zeit ich lebe. Wenn ich ganz plötzlich wandelnde Berge sich erheben sehe, glaube ich mich im Traum. Es sind die gerüsteten Höcker der Dromedare, die, wenn die Tiere sich auf ihren langen Beinen erheben, aus einer gewissen Entfernung wandernden Bergen gleichen. Dann frage ich mich: Ist dies nicht die Ausrüstung der drei Könige für ihre berühmte Reise nach Bethlehem? Ich spreche zu mir: Du träumst noch immer, wenn ich jungen Kaukasusfürsten, mit Silber fast bedeckt, auf ihren blendend weißen Rossen begegne. Wenn ich sie so mit Bogen und Pfeil bewaffnet erblicke, glaube ich, in der Zeit des ältern oder jüngern Kyros zu leben. Ihr Köcher ist herrlich, aber die Pfeile aus dem Ihren treffen schärfer und anmutiger. Wenn ich Abteilungen von Zirkassiern so schön wie der Tag begegne und sehe, daß ihre Taille, in Mieder geschnürt, schmäler als die der Frau von L. ist, wenn ich Murzas, besser gekleidet als die Herzogin von Choiseul bei den Festen der Königin, erblicke und Kosakenoffiziere, die sich mit mehr Geschmack als Fräulein Bertin kleiden, dazu Möbel und Gewänder, in den Farben so wohltönend wie die Gemälde der Madame Lebrun, so weiß ich mich vor Staunen nicht zu fassen. Von Staro Krim, aus dem man für eine einzige Nacht ein Schloß gemacht hat, kann ich die größten Sehenswürdigkeiten beider Erdteile und beinahe das Kaspische Meer sehen. Ich glaube, das übertrifft die Versuchung durch den Satan, der unserm Heiland nie eine so herrliche Welt zeigen konnte. Wenn ich mein Zimmer verlasse, sehe ich von einer einzigen Stelle das Asowsche Meer, das Schwarze Meer, das Meer von Zabak und den Kaukasus. Der Schuldbeladene, der, wie ich glaube, hier auf ewig von einem Geier zerfressen wurde, hat gewiß nicht so viel Feuer gestohlen, wie aus Ihren Augen und aus Ihrer Einbildungskraft leuchtet. Wenigstens würde Ihr geschmeidiges hitziges Frettchen, der Abbé d'Espagnac, so sprechen.

Ich glaube noch weiterzuträumen, wenn ich mich im Grunde einer sechssitzigen Karosse, eines mit Initialen aus glänzenden Perlen geschmückten wahren Triumphwagens, zwischen zwei Personen sitzen finde, an deren Schultern gelehnt ich in der Hitze oft einschlafe, um dann, wenn ich erwache, den einen meiner Reisegefährten die Worte sagen zu hören: »Ich habe dreißig Millionen Untertanen, die Männer allein gerechnet.« »Und ich zweiundzwanzig, alle zusammen.« »Von Kamtschatka bis Riga brauche ich eine Armee von wenigstens hunderttausend Mann.« »Mit der Hälfte davon«, entgegnet der andere, »habe ich gerade soviel, wie ich brauche.«

Ségur wird Ihnen mitteilen, wie sehr ihm dieser kaiserliche Begleiter gefallen hat. Dafür hat Ségur auch sehr dem Kaiser gefallen. Dieser Monarch entzückt alle, die ihn sehen können. Von den Sorgen seines Reiches entlastet, beglückt er seine Freunde durch seine Gesellschaft. Kürzlich hatte er nur einen kleinen Anfall von schlechter Laune, als er die Nachricht vom Aufstand der Niederlande erhielt. Alle alten Grundbesitzer der Krim wie alle Murzas und die von der Kaiserin neu mit Gütern Beschenkten, darunter ich selbst, haben ihm den Eid der Treue geschworen. Der Kaiser kam auf mich zu und faßte mich an meiner Kette vom Goldenen Vlies mit den Worten: »Sie sind der erste Ordensritter, der mit langbärtigen Herren zusammen seinen Eid geschworen hat.« Ich antwortete darauf: »Es ist für Euer Majestät und für mich selbst besser, daß ich mit tatarischen großen Herren zu tun habe, als mit niederländischen.« Im Wagen lassen wir alle Staaten und alle hohen Persönlichkeiten an uns vorüberziehen. »Ehe ich die Abtretung von dreizehn Provinzen unterschrieben hätte wie mein Bruder Georg,« sagt Katharina sanft, »eher hätte ich mir eine Pistolenkugel durch den Kopf gejagt.« »Und ehe ich, wie mein Bruder und Herr Schwager, die Nation zusammengerufen hätte, um abzudanken, – ich weiß nicht, was ich lieber getan haben würde,« sagt Joseph darauf.

Über den König von Schweden, den sie beide nicht liebten, waren sie einer Meinung. Der Kaiser erzählte, daß er in Italien ihn satt bekommen hätte, wo er in einem blausilbernen Schlafrock mit einem Diamantschild herumlief. Beide gaben aber zu, daß er Tatkraft, Begabung und Geist besitzt. »Gewiß«, sagte ich darauf, um ihn zu verteidigen, denn die Güte, die er mir oft bewiesen hat, und sein großzügiges Wesen, das ich ihn oft entfalten sah, verbanden mich dazu: »gewiß müßte Eure Majestät ein scheußliches Pamphlet unterdrücken, in dem man einen so guten, liebenswürdigen und hochbegabten Fürsten als Don Quichotte zu behandeln sich unterfängt.« Ihre kaiserlichen Majestäten steckten manchmal ihre Fühlhörner in die Gegend der armen Teufel von Türken aus. Man sah sich ins Gesicht und warf einige Worte hin. Als Liebhaber des schönen Altertums und einiger Neuigkeiten riet ich dazu, die Griechen wiedereinzusetzen. Katharina redete davon, daß Lykurg und Solon neu aufstehen können. Ich sprach von Alkibiades. Aber Joseph, der mehr für das Künftige als für das Vergangene, und für das Sachliche als für die Fabel war, antwortete: »Was zum Teufel soll man mit Konstantinopel machen!«

Auf diese Weise eroberte man viele Inseln und Provinzen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich sagte zu mir: »Euer Majestäten werden einen Dr... erobern.« »Wir behandeln ihn zu gut,« sagte der Kaiser von mir, »er hat nicht genug Achtung vor uns. Wissen Sie, gnädige Frau, daß er in eine Geliebte meines Vaters verliebt war, und daß er mich bei meinem Eintritt in die Welt um einen Erfolg bei einer engelschönen Marquise gebracht hat, die die erste Leidenschaft von uns beiden war?« ...

Eines Tages hatte uns die Kaiserin in der Galerie gefragt: »Wie macht man Verse? Schreiben Sie es mir auf, Herr Graf Ségur.« Er schrieb ihr die Regeln mit reizenden Beispielen auf, und sie setzte sich an die Arbeit. Sie verfaßte sechs Verse mit so viel Fehlern, daß wir alle drei darüber lachen mußten. »Ich werde euch lehren, euch über mich lustig zu machen. Macht sofort welche vor mir, und ich will dann keine weitern mehr versuchen. Ich habe genug für mein Leben.« »Gut«, sagt Fitz Herbert darauf. »Sie hätten bei Ihren beiden Versen für das Grab einer Hündin bleiben sollen:

Hier ruht die Dame Anderson,
Sie biß den Doktor Rogerson.«

Das fiel ihr in Bartschisarai wieder ein. »Nun, meine Herren«, sagte sie zu uns, »will ich mich einschließen, dann sollen Sie sehen.« Und sie brachte uns folgende Verse, über die sie nicht hinauskam:

Auf dem Diwan des Khans, auf schwellendem Pfühle,
Im goldnen Kiosk, vor der Quellen Kühle ...

Sie können sich leicht vorstellen, welche Vorwürfe wir ihr darüber machten, daß sie nach vierstündigem Nachdenken über einen so schönen Anfang nicht hinausgekommen war, denn auf der Reise läßt man sich nichts durchgehen.

Dieses Land ist wirklich ein romantisches Land, ist aber nicht romanhaft; denn die Frauen sind hier von den schmutzigen Mohammedanern eingeschlossen, die Ségurs Gedicht über das Glück, sich von seiner Frau betrüben zu lassen, offenbar nicht kennen. Die Herzogin von L. würde mich ganz verliebt machen, wenn sie hier wäre, und auf die Marschallin M. würde ich in Balaklava ein Gedicht machen. Nur Sie, teuere Marquise, kann ich auch mitten in Paris anbeten. Dies ist das richtige Wort, denn zu lieben hat man dort nicht die Zeit ...

Hier sind mehrere Sekten von Derwischen. Die einen unterhaltsamer als die andern, die Halswender und die Heuler. Es sind noch wahnsinnigere Jansenisten als die alten Konvulsionäre. Sie schreien »Allah!« bis zu ihrer vollen Erschöpfung und fallen in der Hoffnung zu Boden, daß sie nur aufstehen werden, um in den Himmel einzugehen. Hier ließ ich den Hof einige Tage lang seinen Vergnügungen und stieg selbst mit Lebensgefahr den Tschetterdan auf- und abwärts, indem ich das steinige Bett dieses Bergstroms statt der unauffindbaren Saumpfade verfolgte. Ich hatte das Bedürfnis nach einiger Ruhe für meinen Geist, für meine Sprachwerkzeuge, für meine Ohren und für meine von den Lichtern geblendeten Augen. Diese kämpfen noch nachts mit der Sonne, die den ganzen Tag lang nur zu heftig auf unsere Stadt scheint. Nur Sie, teuere Marquise, verstehen es, immer zu glänzen, ohne zu ermüden. Ich erkenne diesen Vorzug nur Ihnen allein und nicht einmal den Gestirnen zu.

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