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Varnhagen von Ense an Rahel

Zistersdorf, im Spital (elf Stunden vor Wien), den 4. August 1809.

Meine innigstgeliebte, süße, teure, einzige Rahel! Mein Leib ist verwundet, aber mein Herz schlägt unverletzt zu Dir! Ich habe schon vor der Schlacht, auf die ich alle Hoffnung aufgegeben hatte, weil ich nur Frieden sah, solche Sehnsucht zu Dir gefühlt, solche Tränen um Deine Entfernung vergossen, daß ich auf nichts als auf den Abschied dachte. Wie es nun auch wird, wisse, daß ich Dein Freund bin, Dein inniger Freund, und am Ende keine Redensart, keinen Glanz, keinen Ruhm, keinen inneren Reiz schöner finde und lebendiger für mich, als in Deiner Sonne, Deiner Billigung, Deiner Neigung zu leben! Ich hoffe, es geht gut mit mir. Lebe wohl, einzige Rahel! Ewig Dein! – Dies, meine Geliebte, schrieb ich hier am 8. Juli; heute ist der 22., ich bin um vieles besser, habe keine Schmerzen, kein Fieber mehr, und die Wunden sehen so aus, daß ich einer glücklichen Heilung entgegensehen darf. Ich liege im Spital, wo ich gute Pflege habe, und nach den Umständen sehr zufrieden bin. Sehr drückend ist mir aber die Abgeschiedenheit, in der wir leben; zwar sind Franzosen hier, und also die Verbindung mit Wien offen, aber an Postengang ist nicht zu denken, nun gar in einem so kleinen Landstädtchen wie Zistersdorf; ich weiß also gar nicht, wann diese Zeilen, die ich vorläufig auf gut Glück hinschreibe, in Deine Hände kommen werden. Vieltausendmal denk' ich an Bujac; ich bin ebenso geschossen wie er, aber zum Glück nur durch einen Schenkel, obwohl auch viel höher. Der Wundarzt behauptet zwar, der Knochen sei verletzt, aber es hat sich noch nicht bestätigt. Seit mehreren Tagen bin ich ganz munter und frisch und denke immer, ich müßte nur so aufspringen und in die freie, frische Luft unter die Bäume gehen, die ich aus meinem Fenster sehe: aber damit hat es denn doch noch eine gute Weile Zeit! Hinfällig bin ich gar nicht, habe den besten Appetit und trinke täglich eine Bouteille Wein. Aber im Anfang habe ich entsetzlich ausgestanden, auch den ersten Tag, wie ich ins Spital gekommen war, beim Verband die erste Ohnmacht erlebt, die sehr süß war! Damals hatte ich aber auch noch Fieber. Wahrscheinlich geht es jetzt gut mit mir, auch träumt mir fast jede Nacht, ich ginge! Aber das Wetter ist auch so einladend, die Luft so blau, die Bäume so grün, daß ich oft bei Tage verzweifeln möchte, nicht ausgehen zu können. Als ich nach acht Tagen aus dem Bürgerhause, wo ich anfangs lag, ins Spital gebracht wurde, glaubt' ich, im Himmel zu sein auf meiner Trage, wie mich die frische freie Luft anwehte und das reine Blau hoch über mir gewölbt stand, die Sonne neigte sich aus dem Nachmittag in den Abend und gab allem einen zauberischen Schein. Jede Blume, jedes Blatt, das ich sehe, und nun vollends jeder Sonnenschein erinnern mich heftiger noch an Dich, als die immerfort dauernde Erinnerung ist, und mit tiefster Inbrunst gönne ich dann Deinem scharfen Auge, Deinem reinen umfassenden Gemüt den vollen Naturgenuß, in dem ich Dich stehen sehe ...

Den alten Brief an Gentz habe ich noch bei mir, das einzige Schriftliche von Dir! Unzähligemal hab' ich ihn gelesen, wie ein frisches Lebensbad sind Deine Worte, und ich möchte verzweifeln, nicht mehr von Dir, nichts an mich Gerichtetes hier zu haben, wo ich mich so innig darnach sehne! Mein Zustand wäre ein anderer, wenn ich die Briefe von Dir hätte, die Du mir nach Tübingen geschrieben hast. Mir wäre darin wie in einem kühlen Wald, voll rauschender Quellen, mit Felsen und Wiesen, wo Hirsche und Rehe weiden! Ganz verlassen fühl' ich mich nun, bis auf jenen Brief, der doch wie ein frisches grünes Reis die Stirn kühlt! Gar nichts hab' ich bei mir von Papieren, keinen Brief, kein Buch. Das macht mir die Tage sehr armselig und langweilig. Dieser Tage fand ich in einem elenden Buche von Cramer einige Goethesche Verse als Motto angeführt: wie mich das rührte, liebe Rahel! ich mußte fast weinen, es war wie ein Wiedersehen! Ja, wenn ich hier einen Band Goethe hätte! Wo man auf jedem Worte, jedem Ausdruck in süßem Nachdenken verweilen kann und unerschöpfliche Labung aus den edlen Steinwänden quillt! Leider weiß ich so wenig im ganzen auswendig; was ich aber weiß, sag' ich mir oft im stillen her ...

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