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Charles Dickens an seine Frau

Freiburg, Sonnabends nachts, den 13. November 1844.

Teuerste Käthe, seitdem ich Dich verlassen, sitze ich heute zum erstenmal in meiner selbstgestrichenen Stube mit einem Kamin und einem Bett darin. Und ich freue mich, Dir sagen zu können, daß ich die beste, vollste Absicht habe, darin zu schlafen, nachdem ich heute nachmittag halb fünf nach einer seit Mr. Bairs wohlfeilem Holzfeuer ununterbrochenen Tag- und Nachtreise angekommen bin.

Sehr bald hinter Mailand tauchten gegen acht oder neun Uhr morgens die Alpen vor uns auf, und der gute C. irrte sich so völlig in seiner Berechnung, daß wir den Simplon noch am selben Abend zu befahren begannen, während Ihr – ich wollte, ich wäre es selbst – gegen Peschiere reistet. Die Umstände trafen äußerst günstig zusammen für die Reise über diesen furchtbaren Paß. Der hellste Mond, den ich je sah, schien die Nacht über, und auf dem Gipfel brach der Morgen an. Die Herrlichkeit in der großen Schneewüste, die rosenrot erschien, geht über alle Beschreibung. Wir fuhren etwa vier Stunden lang bis zum Gipfel auf Schlitten. Die Witterung war wunderschön, strahlend, ohne Schwierigkeit oder Gefahren – abgesehen von der in solchen Gegenden stets unvermeidlichen Gefahr, daß ein Pferd am Rande eines unermeßlichen Abgrundes stolpert. In welchem Falle von dem unglücklichen Reisenden kein Stückchen groß genug übrigbliebe, um seine Geschichte pantomimisch darzustellen. Du kannst Dir die rauhe Größe eines solchen Schauspiels wie dieses gewaltigen Durchgangs zwischen den mächtigen Bergen wohl ungefähr vorstellen. Der Glencoe würde, mit Schnee besprengt, vielleicht etwas Ähnliches wie der Aufstieg sein. Doch der wilde, bleiche und einsame Ort selbst ist ein Ding für sich allein, das man mit keinem Schauspiel vergleichen kann. Dabei war es so schneidend kalt, der Nordwind blies lärmend von hoch oben, und wenn er uns ins Gesicht drang, brachte er einen Schauer kleiner Schneeflöckchen mit sich, die er uns bis ins Blut peitschte. Es war wahrhaftig, wie man oft sagt, schneidend, dabei die Schneide recht scharf.

Es gibt hier Asyle, bleiche, einsame Stätten, für die vom Schnee überwältigten Reisenden als Zuflucht vor dem Tod, und ein großes Haus, das Hospital, von Mönchen unterhalten, die die Wanderer umsonst mit Nachtmahl und Bett bewirten. Wenn sich alle Mönche solchen Aufgaben widmeten, würde ich wenig gegen sie einzuwenden wissen.

Die darauffolgende Kälte in der Schweiz ist beinahe unbeschreiblich. Heute abend summen meine Ohren wie etwa Zimbeln, wenn man lustig darauf gespielt hat. Das Schreiben schmerzt mich tatsächlich. Die große Orgel, die zu hören solches Vergnügen machen soll, spielt an Sonntagen nicht, worüber der Brave untröstlich ist. Aber die Stadt ist malerisch und sauber und sehenswert. Und dieses Wirtshaus mit einem deutschen Bett, in der Größe und Gestalt ungefähr eines Kindkorbes, ist rein und völlig behaglich. Butter ist hier im Land so billig, daß sie uns einen Klumpen, so groß wie ein Sophakissen, zum Tee bringen. Und von Honig, sehr köstlich, setzen sie eine entsprechende Menge vor. Morgen in der Frühe um sechs Uhr reisen wir nach Straßburg ab, und von dieser Stadt oder dem nächsten Aufenthaltsort am Rhein will ich wieder schreiben, wenn es auch nur ein halb Dutzend Worte sein sollte ...

Schweigende Städte und Berge und der Genfer See und die berühmte Hängebrücke dieses Ortes und noch viele andere Dinge, darunter ein sehr niedriges Thermometer, tauchen seltsam in mir auf und ab. Trotzdem bin ich genügend bei mir selbst, um eine klare Vorstellung davon zu haben, daß diese Seemannsfahrten sehr unbequem sind, und daß ich gerne ohne Aufenthalt nach meinem Palazzo abreisen würde, so töricht und viel bedürftig wie ich bin.

Immer, meine teure Liebe, euer zärtlicher
D.

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