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Heinrich Stieglitz an Charlotte Willhöfft

Leipzig, den 11. November 1823.

Das kahle Feld zwischen Erfurt und Weimar belebte sich in den Gedanken hoher Erwartung; sie ist reich erfüllt, und mit heiliger Feier blicke ich auf Weimar zurück. Mein Quartier war im »Elefanten«; die Stunden meines dortigen Aufenthalts während der zwei Tage von Sonnabend mittag bis zum Montag war ich von Eckermann nur die wenigen Stunden des Schlafes getrennt, und die Augenblicke, in denen ich Goethes Anblick genossen. Meinen dringenden Wunsch hakte Eckermann dem Hohen mitgeteilt; er bestimmte den Sonntag mittag um zwölf, mich zu sehen. Mit heiliger Ehrfurcht nahte ich den Schwellen dieses reichen Hauses, mit einem Gefühle, das ich so noch nicht empfunden. Der Kammerdiener meldete mich; Freude und Bangen wechselten in mir; er erschien, ein jugendfrischer Geist, im Vollgefühle vielseitiger Kraft rüstig, ernst, erhaben, eine bedeutende Gestalt; ich zitterte, mehrere Minuten stand ich sprachlos da; was ich zu sagen mir vorgenommen, Hatte ich vergessen. Da stand er vor mir, der Gewaltige, den ich so lange im tiefsten Heiligtum des Geistes verehrt, dessen Leben und Schaffen einwirkt auf Jahrhunderte, wie er der ganzen Zeit entschiedene Richtung gegeben. Wie der Gedanke Gottes, wenn er in feiner ganzen Objektivität auch das Gemüt des Sterblichen umdränge, nicht zu fassen wäre, so drang die Erscheinung dieses Einzigen, den der Schöpfer als Vollender von so Großem hingestellt, auf mich mit aller Macht, daß ich mich selbst verlor und mit mir die Besonnenheit. Erst nach und nach faßte ich mich wieder, drückte die Hand des Herrlichen, die ich heftig ergriff, an mein schlagendes Herz, und vielleicht hat ihm da mein Blick gesagt, was ich auszusprechen nicht vermochte. Er redete zu mir mild und liebevoll, über mein Streben und Wollen, über das Nächste zur Befestigung des Fernern; ich gewann Mut und antwortete auf seine Fragen mit Vertrauen; er fragte mich, ob ich auch Neigung fühlte, Italien und Griechenland zu sehen, ob mich's nicht ins Leben zöge; »wohl«, sprach ich, »zieht es mich mit Macht hinaus; doch ich mag dem heiligen Drang nicht folgen wie die Laffen, die nur aus eitlem Wahne recht bald hinauseilen, neubegierig sich umschauen und so leer zurückkehren, wie sie gegangen; ich will mich erst ganz fühlen, erst tüchtiger Leistung froh werden, ehe ich die herrliche Ferne mit ihrer Fülle von Erinnerungen begrüße.« Das Gefühl der Gegenwart mochte meinen Worten ein lebendiges Feuer geben, denn eben jetzt empfand ich ja das marternde Gefühl, vor einem Höchsten zu stehen, sich selber ungenügend in seiner ganzen schmerzlichen Fülle, und doch ward mir so wohl, so ganz zu Sinne. Als ich jene Worte und mehr noch gesprochen, da legte er seine Hand mir auf die Schulter: »Das ist brav, junger Mann,« rief er aus mit fester Ruhe, »streben Sie zum Tüchtigen, ich hoffe, Sie noch wiederzusehen und nur Gutes von Ihnen zu hören.« In meinem Leben ist mir kein »Bravo« mit so süßer Harmonie in die Seele gedrungen als dieses Mannes. Kaum mein selbst bewußt, schied ich von ihm, so voll, so überströmend von Wollen und Wirken und doch mir jetzt so ungenügend. Der Hohe hatte mein ganzes Wesen durchdrungen; ich hätte eine Welt schaffen mögen, auch ohne Stoff. Seltsamer war mir nicht zumute gewesen; Eckermann fühlte das und führte mich ins Freie; da erst wurde mir wohl, ganz heiter, und durch das ganze Leben einflußreich durchdringend, trat der Gedanke an den Gewaltigen erst da wieder hervor, als bald nach meiner Ankunft in Leipzig ein Brief von Eckermann mich überraschte, der Goethe tags darauf gesprochen hatte. Nachdem er mir geschrieben, wie er sich über mich geäußert, schließt der Freund mit diesen Worten: »Ich wollte Ihnen nur diese wenigen Worte flüchtig hinübersenden, damit zu der Freude des Wiedersehens sich auch die gesellen möge, sich bei Goethen, dem größten Mann des Jahrhunderts, in so gutem Andenken zu wissen.«

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