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Goethe an Christiane Vulpius

Bei Verdun, den 10. September 1792.

Ich habe Dir schon viele Briefchen geschrieben und weiß nicht, wenn sie nach und nach bei Dir ankommen werden. Ich habe versäumt, die Blätter zu numerieren, und fange jetzt damit an. Du erfährst wieder, daß ich mich wohl befinde. Du weißt, daß ich Dich herzlich lieb habe. Wärst Du nur jetzt bei mir! Es sind überall große breite Betten, und Du solltest Dich nicht beklagen, wie es manchmal zu Hause geschieht. Ach! mein Liebchen! Es ist nichts besser, als beisammen zu sein. Wir wollen es uns immer sagen, wenn wir uns wieder haben. Denke nur! Wir sind so nah an Champagne und finden kein gut Glas Wein. Auf dem Frauenplan soll's besser werden, wenn nur erst mein Liebchen Küche und Keller besorgt.

Sei ja ein guter Hausschatz und bereite mir eine hübsche Wohnung. Sorge für das Bübchen und behalte mich lieb.

Behalte mich ja lieb! denn ich bin manchmal in Gedanken eifersüchtig und stelle mir vor: daß Dir ein andrer besser gefallen könnte, weil ich viele Männer hübscher und angenehmer finde als mich selbst. Das mußt Du aber nicht sehen, sondern Du mußt mich für den besten halten, weil ich Dich ganz entsetzlich liebhabe und mir außer Dir nichts gefällt. Ich träume oft von Dir allerlei konfuses Zeug, doch immer, daß wir uns liebhaben. Und dabei mag es bleiben!

Bei meiner Mutter hab' ich zwei Unterbetten und Kissen von Federn bestellt und noch allerlei gute Sachen. Mache nur, daß unser Häuschen recht ordentlich wird, für das andre soll schon gesorgt werden. In Paris wird's allerlei geben, in Frankfurt gibt's noch ein zweites Judenkrämchen. Heute ist ein Körbchen mit Likör abgegangen und ein Päckchen mit Zuckerwerk. Es soll immer was in die Haushaltung kommen. Behalte mich nur lieb und sei ein treues Kind, das andre gibt sich. Solang ich Dein Herz nicht hatte, was half mir das übrige? jetzt da ich's habe, möcht' ich's gern behalten. Dafür bin ich auch Dein. Küsse das Kind, grüße Meyern und liebe mich.

Dresden, den 25. April 1813.

Mittwoch, den 21., nachmittag gingen wir zu den Mengsischen Gipsen, waren mehrere Stunden vollkommen vergnügt und belehrten uns aufs beste. Viele Russen gingen auf und ab und ließen sich von dem Inspektor was vorerzählen. Ein junger hübscher Offizier hielt sich in der Gegend, wo ich war, und als ich es bemerkte, redete ich ihn an. Er nannte sich einen Herrn von Nolten, der Name war mir bekannt. Einer seiner Verwandten hat eine Zeitlang in Jena, Weimar und Rudolstadt gelebt. Vielleicht erinnert Ihr Euch dessen. Ich sagte, wenn er nach Weimar kam', solle er mein Haus besuchen, es ist gar nicht unmöglich, und wer weiß, was so eine Bekanntschaft für Nutzen bringen kann. Abends gingen wir ins Schauspiel. Cosi fan tutte, italienisch, war angekündigt. Nein! so ein Schrecknis ist mir niemals vorgekommen. Alte, vermagerte, ja lahme Frauen, statt der lustigen Dirnen, Liebhaber, steif und stockig über alle Begriffe, der Buffo nicht der Rede wert; der Gesang gerade nicht schlecht, aber unerfreulich. Mir ward so angst, daß ich mich flüchtete, wie die Offiziere ins Schiff stiegen. Auf dem Rückwege begegnete mir ein großer Volksauflauf, über den weg ein schöner Postzug hervorragte, eine treffliche Reisechaise mit Wache und auf dem Bocke der Hofmockel. Der Wagen hielt vor einem Hause, ich drängte mich durchs Volk und sah Schwebeln aussteigen, den 4. April hakte er in Weimar von mir Abschied genommen. Welch ein wunderliches Wiederantreffen. Herr von Ende und Verlohren haben sich seiner angenommen, er hat einen Arzt und gute Wartung.

Des Nachts gegen 11 Uhr weckte mich eine fürchterliche Erscheinung. Die Straße war von Fackellicht erhellt, und ein wildes Kriegsgetöse hatte mich aus dem Schlafe geschreckt. Eine Kolonne hatte in der Straße haltgemacht. Es war eine unangesagte Einquartierung. Ganz verwünscht sah es aus, wenn sich die Tore der großen Häuser auftaten und 10, 20, 30 bei Fackelschein in ein Gebäude hineinstürzten. Doch sind die Wirte das nun schon gewohnt; sie haben Stuben und Lager, wie sie konnten, eingerichtet. Essen halten sie schon gekocht parat und wärmen es nur. Dicke Grütze, Rindfleisch und Sauerkraut, Kartoffelsalat mit viel Zwiebeln und Knoblauch, Branntwein sind die Hauptingredienzien des Gastmahls. Donnerstag, den 22., gingen wir nach dem Kupferstichkabinett, wo wir uns an großen Bänden nach Raffael trefflich ergötzten, alte Bekanntschaften erneuerten und neue ganz unvermutet machten. Nach Tisch auf die Galerie. Die besten Sachen sind auf Königstein geflüchtet, aber an dem, was zurückblieb, hätte man ein Jahr zu sehn; doch war das erste, was uns der Inspektor Demiany verkündigte, daß Direktor Riedel auf dem Königstein sei, um alles wiederherbeizuholen. Das wollen wir denn auch abwarten und als ein Glückszeichen ansehn.

Dresden ist freilich jetzt sehr lebhaft; wenn man denkt, daß es schon für sich im gewissen 40 000 Einwohner hat, was dieses schon in Friedenszeiten für eine Bewegung gibt, und was für Bedürfnisse für eine solche Menge müssen zusammengeschafft werden. Nächstens soll eine Übersicht des Wochenmarktes folgen, insofern es möglich ist.

Auffallend war folgende Erscheinung: Chorschüler, aber nicht etwa in langen Mänteln wie sonst, sondern in knappen, schwarzen Fracks und überhaupt schwarz gekleidet, etwa 30 an der Zahl, gingen 4 Mann hoch. Arm in Arm, mit großen Stürmern auf den Köpfen, der Präfekt voraus, durch die Straßen. Sie marschierten nach der Melodie eines Gassenhauers, der ohngefähr so heißen mag:

So gehen wir Gassaten,
Wir lustigen Kameraden,
Und ziehen frank und frei.
Und was man uns genommen,
Das haben wir nicht bekommen,
Und wenn uns nun der Teufel holt,
So sind wir auch dabei.

Vor den ansehnlichsten Häusern und auch vordem unsern machten sie Fronte, sangen einen Vers desselben Lieds oder auch eines etwas ernsteren, und dann zogen sie weiter. Der militärische Geist war auch schon völlig in diese Schwarzröcke gefahren.

Daß die Kosaken, die auf dem Markte halten, von allen Menschen umgeben und angestaunt werden, ohne sich in ihrer Gemütsruhe im mindesten stören zu lassen, darf ich kaum sagen; aber wie lief jung und alt zusammen, als sie ein Kameel mitbrachten, zum echten asiatischen Wahrzeichen.

Ich sah mehrere dieser seltsamen Fremdlinge vor einem Laden stehn, wo Nürnberger Tand feil war. Sie kauften Nadelbüchsen und hatten große Freude an den Pferdchen, besonders aber an den bespannten Kutschen. Sie unterhielten sich darüber, deuteten auf alles ganz nah mit einer gewissen naiven Anmut hin, berührten aber nichts.

Auf demselben Spaziergang kaufte ich einen Findling. Ihr müßt aber nicht erschrecken, als wenn die Familie vermehrt werden sollte, vielmehr dient Herrn Riemer zur Nachricht, daß es ein seltsames Gestein sei, dem man keinen Namen geben kann, und das sich vielleicht nur einmal findet. Daß Truppen, besonders aber Offiziere zu Pferd und zu Fuß in Wagen und auf Wagen hin und her ziehen, läßt sich denken. An Furagefuhren fehlte es nicht, vom Lande kommen viele Menschen herein, und es ist ein großes Treiben den ganzen Tag. Dazwischen fehlt es nicht an Orgelmännern, seltsam gekleideten Kindern, die Kunststücke machen, und sonst an Buden und Läden, wo, wie an der Messe, allerlei Wunderliches zu sehen ist.

Ich habe mir einen Plan von Dresden angeschafft und mache mich nach demselben mit der Stadt und den Vorstädten bekannt. Bewegung und Zerstreuung tun mir gar wohl. Ich fange nun erst an, mich wiederzuerkennen. Geht es Euch auch gut, so bleibt mir nichts weiter zu wünschen. Ich habe noch nicht viel Personen gesehn, und ist auch nicht viel Freude dabei. Man hört nichts, als was man leider schon mit sich selbst hat abtun müssen. Das Vergangene zu hören, ist ekelhaft, und wer wüßte von der Zukunft was zu sagen? Proklamationen, Befehle, Gedichte und Flugschriften gibt's unzählige. Für August wird eine vollständige Sammlung gemacht.

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