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Die Karschin an Gleim

Berlin, den 8. Juni 1761.

Mit der ganzen Ungeduld des Herzens suchte ich Ihnen, mein liebster Freund; ich durchstrich die schattichten Gänge sich küssender Birken, ging bei die Bildsäule, blickte dreimal hinauf, horchte einen Augenblick, wie die Nachtigall sang, und ging wieder vorüber; ich fand Ihnen, und wie kurz war diese kostbare Stunde. Warum mußten Sie sich fortreißen? Ich glaube den Widerwillen bemerkt zu haben, mit welchem Sie gingen, oder irr' ich mich? War in Ihrem Auge Verdruß wegen der Tändeleien, die ich Ihnen gab? Lassen Sie mir doch diese kleine Enthusiasterei in der Freundschaft, die mir so süß ist, und nehmen Sie zuweilen ein Blatt, das vor Ihnen allein schön ist. Ach, kein Herz empfindet die zärtliche Sprache so wie das Ihrige. Aber wann seh' ich Sie, mein empfindbarer Freund? Denken Sie, daß es nicht zu bald geschehen kann und niemals zu lange ... Ich sehe Ihnen in diesem Augenblick, Sie sitzen bei mir, ich überreiche Ihnen noch einmal die besungene Dose und ich wiederhole diese Worte, auf die Sie gestern nicht acht hatten, ich sage:

Gefällt die Dose Dir so gut wie das Gedichte,
O Freund, so sei sie Dein,
Sie würde mir um Gold von doppeltem Gewichte
Nie feil gewesen sein,
Dir aber gäb' ich, säß' ich jetzt auf einem Throne,
Zuerst mein Herz und dann von meinem Haupt die Krone.

Warum bin ich nicht groß, angesehen, mächtig? Eitler Wunsch, wozu nützt er, ich bin ja doch Sappho.

Ich bin Ihre zärtliche Freundin
A. L. K.

Lassen Sie mich wissen, wenn wir uns sehen.

Berlin, den 29. Januar 1763.

Die Residenzstadt, mein allerschätzbarster Freund, die Paläste zu Berlin ertönen von den Gesprächen des Volkes; man redet die Zurückkunft des Königs, man zählet die Friedenspunkte her, man erwähnet den Tag der Ausposaunung und beschreibt die Münzsorte, die umhergeworfen werden sollen, aber man spricht dem König die Festung Glatz ab, und ich widerspreche hartnäckicht allen Beschreibungen. Allen Nachrichten widersprach ich, mir würden gewiß Kräfte fehlen, mich recht zu freuen, wenn der Friedensplan dem Rufe gemäß sein sollte. Ich dächte mir nur einen sechsjährigen Zwischenraum bis zu dem Anfange eines grausameren Krieges. Nein, erst muß die schwerversöhnliche Theresia den vierten Teil ihrer Länder verlieren, ihrem stolzen zweiköpfichten Adler müssen die Flügel verschnitten werden, eh' der sogenannte ewige Vergleich unterzeichnet wird; ich scheine ziemlich grausam zu sein, indem ich diese Forderung hinschreibe, aber sie ist für die Ehre und Sicherheit des preußischen Thrones höchst notwendig; bei diesem Frieden, [wenn] man [ihn] jetzt annimmt, kann sich Friedrichs Sängerin kein sabinisches Landgütchen von ihm ausbitten, und das will sie doch in Wahrheit, mein Liebster, das will ich. Alsdann sollte die Welt noch eine bessere Sammlung von mir sehen, als die sein wird, mit welcher Sie soviel Mühe haben ...

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