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Lawrence Sterne an Miß L.

Ich habe meine zärtliche Geliebte beleidigt – was konnte mich in diese Versuchung bringen? Doch wenn ein Bettler an Deine Türe klopfte, würdest Du sie nicht öffnen und in Mitleid hinschmelzen? Ich weiß, Du würdest es tun, denn das Mitleid hat in Deinem Busen seinen Tempel errichtet. Süßeste und edelste aller Leidenschaften, spinne Dein zärtliches Netz über die nachdenkliche Gestalt der Trauer, sänftige die dunkeln tiefsten Schatten des Unglücks! Ich habe diese Worte nochmals bedacht und wehe, was nützen sie? Gründe, noch so fein gesponnen, können doch nicht das Wesen der Dinge umgestalten – dies ist wahr ...

Meine Liebe spricht davon, das Land zu verlassen. Möge ein guter Engel Deine Schritte bewahren! Die Einsamkeit wird auf die Dauer verdrießlich. Du sagst, daß Du den Ort mit Bedauern verlässest! So denke auch ich! Mischt sich nicht einiges Betrübende in den Gedanken dieses Abschiedes? Er ist wie der Abschied von einem alten Freund, dessen Gemütsart und Gesellschaft einem lange vertraut waren. Ich glaube Dich zu sehn, wie Du des Tages zwanzigmal nach dem Hause blickst, wie Du beinahe jeden einzigen Ziegel, jede Fensterscheibe zählst und ihnen seufzend erzählst, daß Du sie zu verlassen gedenkst.

O glückliche Steine! Sie werden Deinen Verlust nicht fühlen! Allein, wie willst Du es über Dich bringen, Deinen Garten zu verlassen! Die Erinnerung an so viele freundliche Spaziergänge muß Dir ihn noch viel teurer gemacht haben. Die Bäume, Sträucher, Blüten, die Du mit eigener Hand so oft streiftest, werden sie nicht, bevor Du fortreisest, welken und zu Boden fallen? Wer wird Dein Erbe übernehmen und sie in Deiner Abwesenheit pflegen? Du willst Deinen Namen auf den Myrten hinterlassen. Ja, wenn Blätter, Büsche und Blüten eine Elegie dichten könnten, würde ich darüber eine sehr klägliche erwarten.

Lebewohl, Lebewohl. Denke, daß ich immer Dein bin!

*


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