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Moderne Charaktere

Richard Wagner an Mathilde Wesendonk

[Zürich, August 1858.] Dienstag früh.

Gewiß erwartest Du nicht, daß ich Deinen wunderschönen, herrlichen Brief unbeantwortet lasse? Oder sollte ich für das edelste Wort das schöne Recht der Erwiderung mir versagen müssen? Wie aber könnte ich Dir erwidern, als Deiner würdig? –

Die ungeheuren Kämpfe, die wir bestanden, wie könnten sie enden, als mit dem Siege über jedes Wünschen und Begehren?

Wußten wir nicht in den wärmsten Augenblicken der Annäherung, daß dies unser Ziel sei? –

Gewiß! Nur weil es so unerhört und schwierig, war es eben nur nach den härtesten Kämpfen zu erreichen. Haben wir nun aber nicht alle Kämpfe ausgekämpft? Oder welche könnten uns noch bevorstehen? – Wahrlich, ich fühle es tief: sie sind zu Ende! –

Als ich vor einem Monate meinen Entschluß kundgab, den persönlichen Umgang mit euch abzubrechen, hatte ich Dir – entsagt. Doch war ich hierin noch nicht ganz rein. Ich fühlte eben nur, daß nur eine vollständige Vereinigung unsre Liebe vor den schrecklichen Berührungen sichern konnte, denen wir sie in den letzten Zeiten ausgesetzt gesehen hatten. Somit stand dem Gefühle von der Notwendigkeit unsrer Trennung die – wenn auch nicht gewollte – aber gedachte Möglichkeit einer Vereinigung gegenüber. Hierin lag noch eine krampfhafte Spannung, die wir beide nicht ertragen konnten. Ich trat zu Dir, und klar und bestimmt stand es vor uns, daß jene andre Möglichkeit einen Frevel enthalte, der selbst nicht gedacht werden durfte.

Hierdurch erhielt aber die Notwendigkeit unsrer Entsagung von selbst einen andren Charakter: der Krampf wich einer mild-versöhnenden Lösung. Der letzte Egoismus schwand aus meinem Herzen, und mein Entschluß, euch wieder zu besuchen, war jetzt der Sieg der reinsten Menschlichkeit über die letzte Regung eigensüchtigen Sehnens. Ich wollte nur noch versöhnen, lindern, trösten, erheitern, und somit auch mir das einzige Glück zuführen, das mir noch bereitet sein kann. –

So tief und schrecklich, wie in den vergangenen letzten Monaten, habe ich nie zuvor in meinem Leben empfunden. Alle früheren Eindrücke waren inhaltlos gegen diese letzten. Erschütterungen, wie ich sie bei jener Katastrophe erlitt, mußten mir tiefe Spuren eingraben; und konnte etwas noch den großen Ernst meiner Stimmung steigern, so war es der Zustand meiner Frau. Während zwei Monaten sah ich jeden Tag der Möglichkeit der Nachricht von ihrem plötzlichen Tode entgegen; denn diese Möglichkeit hatte mir der Arzt andeuten müssen. Alles um mich atmete Todesluft; all mein Vorwärts- und Rückwärtsblicken traf auf Todesvorstellungen, und das Leben – als solches – verlor für mich seinen letzten Reiz. Zur äußersten Schonung gegen die Unglückliche angehalten, mußte ich dennoch den Entschluß zur Zerstörung unsres soeben gegründeten letzten häuslichen Herdes fassen, und, zu ihrer größten Bestürzung, ihr diesen endlich mitteilen. –

Mit welchem Gefühle glaubst Du wohl, daß ich in dieser schönen Sommerzeit dieses reizende, so ganz und einzig meinen Wünschen und einstigen Bestrebungen entsprechende Asyl mir überblickte, wenn ich am Morgen das liebe Gärtchen durchwanderte, dem gedeihenden Blumenflor zusah und die Grasmücke belauschte, die sich im Rosenbäumchen ihr Nest gebaut hatte? Und was dieses Losreißen vom letzten Anker für mich hieß, das sage Dir selbst, die Du meinen Sinn so innig kennst wie keines!

Floh ich schon einst vor der Welt, wähnst Du, ich könnte nun wieder in sie zurückkehren? Jetzt, wo alles bis zum äußersten zart und empfindlich in mir geworden ist durch die immer längere Entwöhnung von aller Berührung mit ihr? Noch meine letzte Begegnung mit dem Großherzog von Weimar zeigte mir deutlicher als je, daß ich nur noch in der allerbestimmtesten Unabhängigkeit gedeihen kann, so daß ich jede Möglichkeit irgendeiner einzugehenden Verpflichtung, selbst gegen diesen wirklich nicht unliebenswürdigen Fürsten, innerlichst von mir abweisen mußte. Ich kann – kann der Welt mich nicht wieder zuwenden; in einer großen Stadt dauernd mich niederlassen, ist mir undenkbar; und – soll ich dagegen wieder an die Gründung eines neuen Asyles, eines neuen Herdes denken, nachdem ich diesen, kaum genossen, hinter mir zertrümmern mußte, den Freundschaft und edelste Liebe in diesem reizenden Paradiese mir gründeten? O nein! – Von hier fortgehen, ist gleichbedeutend für mich mit – untergehen!

Ich kann nun, mit diesen Wunden im Herzen, mir keine Heimat wieder zu gründen versuchen! –

Mein Kind, ich kann mir nur noch ein Heil denken, und dies kann nur aus der innersten Tiefe des Herzens, nicht aber aus irgendeiner äußeren Veranstaltung kommen. Es heißt: Ruhe! Ruhe der Sehnsucht! Stillung jedem Begehren! Edle, würdige Überwindung! Leben für andre – zum Tröste für uns selbst! –

Du kennst jetzt die ganze ernste, entscheidende Stimmung meiner Seele; sie bezieht sich auf meine ganze Lebensanschauung, auf alle Zukunft, auf alles, was mir nahesteht, – und so auch auf Dich, die Du mir das Teuerste bist! Laß mich nun noch auf den Trümmern dieser Welt des Sehnens – Dich beglücken! –

Sieh, nie in meinem Leben, in irgendeinem Verhältnisse war ich je aufdringlich, sondern stets von fast übertriebener Empfindlichkeit. Nun will ich denn Dir zum ersten Male aufdringlich erscheinen und bitte Dich, Über mich recht innerlich ruhig zu sein. Ich werde euch nicht oft besuchen, denn ihr sollt mich fortan nur noch sehen, wenn ich sicher bin, euch ein heitres, ruhiges Gesicht zu zeigen. – Sonst suchte ich wohl im Leiden und Sehnen Dein Haus auf; dorthin, von wo ich mir Trost holen wollte, brachte ich Unruhe und Leiden. Das soll nicht mehr sein. Siehst Du mich daher längere Zeit nicht mehr, so – bete für mich im Stillen! – Denn dann, wisse, daß ich leide! Komme ich aber dann, so sei sicher, daß ich euch eine holde Gabe meines Wesens ins Haus bringe, eine Gabe, wie es vielleicht nur mir verliehen ist zu spenden, mir, der so viel und willig litt. –

Wahrscheinlich, ja – gewiß, tritt nun auch nächstens, ich vermute schon anfang Winters, die Zeit ein, wo ich für länger mich ganz von Zürich entferne; meine nun bald erwartete Amnestie wird mir Deutschland wieder erschließen, wohin ich periodisch zurückkehre, um das einzige mir zu ersetzen, was ich hier mir nicht bereiten konnte. Dann werde ich euch oft lange nicht mehr sehen. Aber dann wieder in das nun mir so traut gewordene Asyl zurückkehren, um mich auszuruhen von Plage und unvermeidlichem Ärger, reine Luft zu atmen und neue Lust zum alten Werke zu fassen, für das mich nun einmal die Natur auserwählt hat, – dies wird dann immer, wenn ihr es mir vergönnt, der sanfte Lichtblick sein, der dort mich aufrechterhält, der süße Trost, der hier mir winkt.

Und – hättest Du dann mir keine höchste Lebens-Wohltat erwiesen? Ich dankte Dir nicht das einzige, das auf dieser Erde mir noch dankenswert erscheinen kann? Und ich sollte nicht zu lohnen suchen, was Du mit so unsäglichen Opfern und Leiden mir errungen? –

Mein Kind, die letzten Monate haben mir an den Schläfen das Haar merklich gebleicht; es ist eine Stimme in mir, die mit Sehnsucht mir nach Ruhe ruft, – nach der Ruhe, die ich vor langen Jahren schon meinen »Fliegenden Holländer« sich ersehnen ließ. Es war die Sehnsucht nach – »der Heimat« –, nicht nach üppigem Liebesgenuß! Ein treues, herrliches Weib nur könnte ihm diese Heimat erringen. Laß uns diesem schönen Tode weihen, der all unser Sehnen und Begehren birgt und stillt! Laß uns selig dahinsterben, mit ruhig verklärtem Blick und dem heiligen Lächeln schöner Überwindung! Und – keiner soll dann verlieren, wenn wir – – siegen!

Leb' wohl, mein lieber heiliger Engel!

It must be so!
R. W.

[Paris, Ende Dezember 1861.]

Haben Sie schönsten, herzlichsten Dank, mein Kind! –

Ich erwidere Ihnen mit einem Bekenntnis. Es wird unnütz sein, es auszusprechen: Alles in und an Ihnen sagt mir, daß Sie alles wissen, und doch treibt es mich, Ihnen auch meinerseits Sicherheit zu geben.

Nun erst bin ich ganz resigniert!

Das eine hatte ich nie aufgegeben, und glaubte es mir schwer gewonnen zu haben: mein Asyl noch einmal wiederzufinden, in Ihrer Nähe wieder wohnen zu können. – Eine Stunde des Wiedersehens in Venedig genügte, um dieses letzte liebe Wahngebild mir zu zerstören!

Ich mußte schnell erkennen, die Freiheit, die Ihnen nötig ist und auf die Sie für Ihr Bestehen halten müssen, können Sie nicht behaupten, sobald ich in Ihrer Nähe bin: nur meine Entfernung kann Ihnen die Macht geben, sich frei nach Ihrem Willen zu bewegen; nur wenn Sie nichts zu erkaufen haben, haben Sie keinen Preis zuzugestehen.

Ich kann es nicht ertragen, um den Preis meiner Nähe Sie beengt und bedrängt, beherrscht, abhängig zu sehen: denn ich kann dann dieses Opfer nicht vergüten, weil meine Nähe Ihnen nichts mehr bieten kann, und der Gedanke, daß das Elend-Wenige, was ich Ihnen unter solchen Umständen sein kann, eben mit aller Freiheit, mit der eigentlichen Menschenwürde erkauft ist, läßt mich diese Nähe selbst als eine Qual empfinden.

Hier hilft kein Schmeicheln mehr. – Ich sehe, Sie fühlen und wissen es selbst: und wie sollten Sie nicht zu allererst! Sie wußten es lange und eher als ich, der ich heimlich lange immer noch unverbesserlicher Optimist blieb. –

Das war's, das allein, was sich in Venedig wie Blei auf meine Seele legte. Nicht meine Lage, mein sonstiges Mißglücken: das ist und war mir, seit ich Sie kenne, an sich immer gleichgültig. Sie glauben kaum, mit welcher völligen Gefühllosigkeit ich in all diesen Dingen mich entscheide, die in Wahrheit mein Gefühl gar nicht treffen, oder doch nur im Hinblick auf die Lage, die eigentlich meiner würdig wäre, und in der es für mich Gelingen und Mißlingen gar nicht geben würde. –

Ich bleibe dabei, daß es mir ein Trost ist, Sie mit Neigungen ausgestattet und in einer bürgerlichen Lage befindlich zu wissen, die Ihrem Leiden einen idyllischen, sanften Charakter ermöglichen. Für mein Teil trachte ich nur noch, mein äußeres Leben mir so zurechtzulegen, daß ich ganz unbehelligt meinem inneren, gänzlich frisch erhaltenen Schöpfungsdrange nachgehen kann. Dazu bedarf ich vor allen Dingen einer häuslichen Niederlassung: diese nehme ich unter allen Bedingungen an. Denn nun kann ich alles, alles ertragen, weil mich nichts mehr drückt. Das Leben und alles, was sich darauf bezieht, hat gar keinen Sinn mehr für mich. Wo? und wie? – ist mir grenzenlos gleichgültig. Arbeiten will ich: nichts weiter mehr! – Dann auch Ihnen eben kann ich nur noch ganz für mich etwas sein. Das weiß ich, und das wissen Sie auch! Das Gräßliche, Letzte ist überstanden: Venedig, die Rückreise und die darauffolgenden drei Wochen – schrecklich! – sind hinter mir! – Nun guten Mut! 's muß gehen! –

Ich will Ihnen oft was von meiner Arbeit schicken. Was werden Sie für Augen machen zu meinen »Meistersingern«! Gegen Sachs halten Sie Ihr Herz fest: in den werden Sie sich verlieben! Es ist eine ganz wunderbare Arbeit. Der alte Entwurf bot wenig oder gar nichts. Ja, dazu muß man im Paradies gewesen sein, um endlich zu wissen, was in so etwas steckt! –

Von meinem Leben erfahren Sie immer nur das Notwendigste, Äußerlichste. Innerlich – seien Sie das versichert! – geht gar nichts mehr vor; nichts als Kunstschöpfung. Somit verlieren Sie gar nichts, sondern das einzig Wertvolle erhalten Sie, meine Arbeiten. Aber auch sehen wollen wir uns dann und wann. Nicht wahr? Dann ohne allen Wunsch! Somit auch gänzlich frei! –

So! Das ist ein merkwürdiger Brief! Sie glauben nicht, wie leicht es mir – nun ist, zu wissen, daß Sie wissen, daß ich weiß, was Sie lang wußten! –

Da noch ein Schusterlied!

Ade, mein Kind!

Der
Meister!

*


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