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Balzac an Gräfin Hanska

Paris, Ende März 1833.

Ich habe Ihnen einiges aus meinem Leben erzählt, aber ich habe Ihnen nicht alles gesagt, und doch werden Sie gemerkt haben, daß ich weder Zeit, Böses zu tun, noch Muße, mich dem Glück hinzugeben, gehabt habe. Der Ursprung dessen, was man so unzutreffend Talent heißt, ist wohl in meiner übermäßigen Empfindsamkeit zu suchen, meinem einsamen Leben und dem Unglück, das mich beständig verfolgte. Gegen meinen Willen in allen möglichen Berufen herumgeworfen, errang ich mir eine große Beobachtungsfähigkeit, und als ich dann in den oberen Kreisen der Gesellschaft verkehrte, machte ich alle Phasen des Leidens durch, denn nur verkannte Seelen, nur die Enterbten vermögen zu beobachten, weil alles sie verwundet, und weil Beobachten aus Leiden entspringt. Nur Schmerzen prägen sich tief dem Gedächtnis ein. Darum erinnern wir uns auch so deutlich an eine große Freude, denn Lust ist mit Leiden nahe verwandt. Auf diese Weise wurde alles von mir beobachtet und analysiert, sowohl die Gesellschaft in allen ihren Erscheinungsformen von oben bis unten, als auch die Gesetze, die Religionen, die Geschichte und die gegenwärtige Zeit. Diese einzig in ihrer Art dastehende Leidenschaft, die stets enttäuscht oder doch zum mindesten in ihrer Entfaltung gehemmt wurde, trieb mich, den Frauen nachzuspüren, sie zu studieren, sie kennen zu lernen und zu lieben, ohne eine andere Belohnung dafür zu wollen als die, von ein paar großen edlen Herzen aus der Ferne verstanden zu werden. Ich habe über meine Sehnsucht, über meine Träume geschrieben, aber je älter ich werde, je mehr empöre ich mich über mein Schicksal. Mit vierunddreißig Jahren, nachdem ich beständig vierzehn bis fünfzehn Stunden im Tag gearbeitet habe, habe ich schon einige graue Haare, und grau werden, ohne von einer jungen und hübschen Frau geliebt worden zu sein, ist traurig. Meine größte Feindin ist meine durchaus männliche Phantasie, die, weil sie niemals unzüchtig war, auch nie geschwächt wurde; sie ist immer im Bund mit meinem jungen reinen Herzen, das unterdrücktes Sehnen so heftig in seinem Empfinden gemacht hat, daß das geringste Gefühl, das sich in meine Einsamkeit verirrt, Verheerungen anrichtet. Ich liebe Sie schon zu sehr, ohne Sie noch gesehen zu haben. Es sind Stellen in Ihrem Brief, die mein Herz zum Schlagen gebracht haben; wenn Sie wüßten, mit welcher Gier ich mich auf das stürze, was ich mir so lange ersehnt habe! Welcher Ergebenheit ich mich für fähig halte! Welches Glück es für mich wäre, mein Leben einem einzigen Tag unterzuordnen! Für eine einzige Stunde ein Jahr lang keine lebende Seele zu sehen! Das Zarteste, Romantischste, was sich eine Frau erträumen kann, findet in meinem Herzen nicht bloß ein Echo, sondern auch eine fast unglaubliche Gedankengleichheit. Verzeihen Sie mir den Stolz der Armut und die Naivität des Leidens ...

Sie bitten mich, Ihnen einen Plan des Ortes, an dem ich mich befinde, zu schicken. Passen Sie auf: ich werde in eine der kommenden Lieferungen des Albums von Régnier, den ich in dieser Angelegenheit aufsuchen will, mein Haus für Sie, oh! einzig und allein für Sie, hineinbringen lassen. Es ist ein Opfer; denn es widerstrebt mir, in die Öffentlichkeit gezogen zu werden. Wie wenig kennen mich diejenigen, die mich der Eigenliebe bezichtigen! Ich habe nie Journalisten empfangen wollen, denn ich würde erröten, zu einem Artikel Anlaß zu geben. Seit acht Monaten schlage ich Schnetz und Scheffer, dem Illustrator des » Faust«, die absolut mein Porträt machen wollen, ihre Bitte ab.

Vorgestern sagte ich lachend zu Gérard, der noch einmal davon anfing, daß ich kein genügend schöner Fisch sei, um in Öl konserviert zu werden! Sie werden beiliegend eine kleine Skizze finden, die ein Künstler gemacht hat: eine Ansicht meines Kabinetts. Aber es widerstrebt mir ein wenig, Ihnen dies zu schicken, weil ich nicht wage, an alles das zu glauben, was Ihre Bitte an Freude und Glück für mich enthält. In einem Herzen zu leben, ist ein so schönes Leben! Sie heimlich für mich beim Namen nennen zu dürfen, in allen dunklen Stunden, wann immer ich leiden, verkannt, verleumdet sein werde, – mich dann zu Ihnen flüchten zu können! Das ist eine Hoffnung, die zu gut ist, um für mich wahr zu sein! Es wäre die Gottesverehrung des Gläubigen, wäre das Ave-Maria über der Mönchszelle, eine Inschrift, die mich zehn Minuten lang unter einem Pfeiler in der Grande Chartreuse verweilen ließ. O! Haben Sie mich lieb. Und die stolzesten, wahrhaftesten und reinsten Gefühle, die es gibt, werden in mein Herz einziehen, in dies Herz, das schon so viel ausgestanden hat und doch nicht verdorrt ist.

Jener Herr ist sehr ungerecht gewesen. Ich trinke nur Kaffee. Ich habe nie einen anderen Rausch gehabt als wie den durch eine Zigarre, die mich Eugène Sue, trotz meines Widerstrebens, zu rauchen zwang, und nur dieser Zigarre verdankte ich es, daß ich l'ivresse aux Italiens, die Sie mir in der Reise nach Java vorwerfen, beschreiben konnte. Eugène Sue ist ein braver, liebenswürdiger junger Mensch, der gerne mit seiner Liederlichkeit prahlt, untröstlich ist, Sue zu heißen, und sich mit Luxus nur umgibt, um für einen großen Herrn gehalten zu werden; aber im Grund genommen ist er mehr wert als seine Werke, obwohl er ziemlich verlebt ist. Von Nodier wage ich Ihnen nichts zu erzählen, ich könnte Ihnen sonst Ihre Illusionen zerstören. Aber wenn man ihn näher kennt, verzeiht man ihm seinen unordentlichen Lebenswandel. Er ist ein großes Kind in der Art von Lafontaine. Ich komme soeben von Frau Girardin (Delphine Gay); sie hat die Pocken. Ihre berühmte Schönheit steht in diesem Augenblick auf dem Spiel. Das tut mir leid für Emil, ihren Mann, und für sie. Sie war geimpft, aber die heutige Wissenschaft behauptet, daß man sich alle zwanzig Jahre impfen lassen muß.

Ich setze mich wieder hin, um Ihnen unter dem Eindruck eines heftigen Ärgers weiterzuschreiben. Aus gemeiner Mißgunst verzögert der Leiter der Revue de Paris um acht Tage meinen Artikel über Die Geschichte der Dreizehn. Diese Unterbrechung von vierzehn Tagen wird alles Interesse töten, und dabei habe ich Tag und Nacht gearbeitet, um keine Verspätung zu verschulden. Ich werde wahrscheinlich wegen dieser Geschichte, die das Maß zum Überfließen gebracht hat, jede Mitarbeiterschaft an der Revue de Paris aufgeben. Die spitzbübischen Feindseligkeiten, die dort gegen mich ausgebrütet werden, haben mir schon so viel Verdruß bereitet, daß ich mich zurückziehen werde; wenn ich mich aber zurückziehe, so ist es für immer. Bei einem gewissen Grad wird mein Wille eisern, und nichts kann mich mehr erweichen.

Selbst das Gute verwandelt sich für mich in Unglück. Vor zwei Jahren entzweite sich Sue mit einer verworfenen Kurtisane, die durch ihre Schönheit berühmt war (sie ist das Original der Judith von Vernet). Ich lasse mich herbei, die beiden zu versöhnen. Die Folge ist, daß die Leute mich für ihren Liebhaber erklären. Herr von Fitz-James und der Herzog von Duras, der ganze frühere Hof verkehrte bei ihr, um gleichsam auf neutralem Boden miteinander zu plaudern, nicht anders als wie man in die Allee der Tuilerien ging, um sich zu treffen – von mir aber verlangt man mehr Konduite als von diesen Herren! Kurz, mein Verhängnis läßt mich keinen Schritt tun, der nicht falsch ausgelegt würde. Was für eine Strafe ist es doch, berühmt zu sein! Aber es geschieht mir recht, denn seine Gedanken veröffentlichen, heißt das nicht, sie prostituieren? Ja, wäre ich reich und glücklich gewesen, ich hätte alles für meine Geliebte aufgespart.

Seien Sie verschwenderisch, erzählen Sie mir viel von sich, so wie ich Ihnen auch viel von mir erzähle. Auf diese Weise tauschen wir gegenseitig unser Leben aus. Aber daß keine Enttäuschungen mit unterlaufen! Ich habe gezittert, während ich an Sie schrieb, ich sagte mir: »Wird auch das wieder eine neue Bitterkeit sein? Wird man mir wieder den Himmel nur öffnen, um mich daraus zu verjagen?«

Aber nun leben Sie wohl, Sie, mein heimlicher Trost, Sie, zu der meine Seele und meine Gedanken fliegen! Wissen Sie denn auch, daß Sie sich an einen durchaus femininen Geist wenden, und daß das, was Sie mir verbieten, mich über alle Maßen reizt? Sie untersagen mir, Sie zu sehen. Und doch, was für eine süße Torheit wäre es! Ein Verbrechen, das ich mit der Hingabe meines Lebens sühnen möchte, harrend und hoffend, meine Begnadigung zu verdienen! Aber fürchten Sie nichts! Die Verhältnisse haben mir die Schwingen beschnitten. Auch ich bin gleich einem Ihrer Leibeigenen an meine Scholle gebunden. Aber in Gedanken habe ich das Verbrechen schon tausendmal begangen. Sie müssen schon dulden, daß ich mich schadlos halte.

Adieu! Ich habe Ihnen die Geheimnisse meines Lebens anvertraut, damit habe ich meine Seele in Ihre Hände gegeben!

Wien, den 4. Juni 1835.

Eine Liebe, die von Dauer ist, ist ein Lobgesang zweier Geschöpfe, ist der deutlichste Beweis einer verborgenen Überlegenheit, die sich für die höchsten menschlichen Freuden ausgespart: den Freuden des Herzens, in denen alles gipfelt, und die den Menschen durch die Ekstase bis zur Gotteserkenntnis führen.

Den 22. Februar 1842.

Nachdem ich Ihnen gestern geschrieben hatte, ging ich ins Theater. » Quinola« wird am 14. März, dem Jahrestag der verhängnisvollen Aufführung des » Vautrin«, gespielt werden. Wieviel Qual, Arbeit und Unglück liegt in diesen zwei Jahren! Aber denken wir nicht mehr an die Vergangenheit. Man unterhandelt gegenwärtig mit Fräulein Georges für die Rolle der Brancadori. Ich muß noch meinen fünften Akt machen und bin in keiner guten Verfassung dazu.

In Ihrem Brief ist eine Stelle, die ich keineswegs verstehe, es heißt dort: »Als Sie mich betrogen!« Ach, Sie haben dieses Wort ein für allemal aus meinem Leben gestrichen, und gerade darum hielt ich Sie für die größte der Frauen, die Höchste, darum weihte ich Ihnen eine Liebe, die Sie selbst durch Ihren Brief nicht erschüttern können; zeigt mir doch gerade dieser Brief dadurch, daß er mich so tief verwundet, wie tief diese Liebe in mir wurzelt. Sie sagten mir: » Attachieren Sie sich an niemand. Ich will nur Ihre Treue und Ihr ganzes Herz«. Ich sehe noch den Baum, den ich dabei in dem Garten in Wien ansah. Sie haben mir gestattet, frei und offen mit Ihnen zu sein. Nun gut, das Leben, das ich seit 1836 führte, hat es mir leichter gemacht, als Sie glauben, Ihre Wünsche zu befolgen. Lassen Sie mich Ihnen nur eines sagen: Seit meiner Rückkehr aus Wien ist mehr als eine Frau zu mir gekommen, angelockt vom Glanz des Ruhmes – wie der Schmetterling von der Flamme. Aber keine konnte den scheinbaren (doch falschen) Egoismus eines ewigen Arbeiters ertragen. Sie haben mich alle rascher verlassen, als sie gekommen sind. Vor fünf Tagen dinierte ich bei meinem alten Meister (derselbe, bei dem mich mein Vater seinerzeit in das Gerichtswesen einführen ließ, er ist sehr stolz auf mich und ladet mich alle Jahre einmal zum Diner ein). Bei diesem Diner war ein französischer Troubadour, ein Monnierscher Prudhomme, der mich über meine angeblichen Eroberungen ausholte, und zu dem ich zum großen Erstaunen der zwanzig Eingeladenen, die mich wie ein großer Teil des Publikums für einen Marschall Richelieu, ja für ein tief unmoralisches Geschöpf hielten, sagte: »Ich habe nie welche gehabt.«

»Mein Herr,« sagte ich zu ihm, »ich habe dieses Jahr zwölf Bände und zehn Akte geschrieben, das heißt, daß ich dreihundert Nächte von den dreihundertfünfundsechzig Tagen, die Gott geschaffen hat, durchwacht habe. Nun, das Jahr 1841 gleicht in allen Punkten den zehn vorhergegangenen. Ich leugne nicht, daß sich viele Frauen in einen Herrn von Balzac, der nur in ihrer Einbildung existierte, verliebt haben, daß sie aber bis zu dem dicken, pausbäckigen Krieger, der die Ehre hat, Ihnen Antwort zu stehen, gar nicht gelangten. Die Frauen wollen eben alle (die vornehmste wie die niedrigste, die Herzogin wie die Grisette), daß man sich nur um sie bekümmert; sie halten es mit einem Mann, der sich mit den höchsten Dingen beschäftigt, keine zehn Tage aus, ohne aufzubegehren. Das ist es, warum alle Frauen dumme Männer lieben. Der Dumme gibt ihnen seine ganze Zeit und beweist ihnen dadurch, daß er sich nur mit ihnen abgibt, daß sie geliebt sind. Wenn ihnen ein genialer Mann auch sein Herz, sein Gut und Blut gibt, opfert er nicht seine Zeit, so glaubt selbst die edelste Frau, sie sei nicht geliebt. Ich, der 200 000 Franken Schulden mit meiner Feder abzahlen muß, der die Nächte durchwacht, der kein Brot im Februar hat, wenn er nicht im Januar arbeitet, – ich habe in zehn Jahren keine zehn Tage beständiger Liebe erlebt. Die Gewißheit, keine Rivalin zu haben, genügt nicht, und sobald eine Frau einen Geliebten hat, der moralisch gekettet ist, läßt sie ihn stehen. Ich bin nur einmal geliebt worden, denn ich wage nicht, für die Gegenwart einzustehen, da die Frau, die ich liebe, die Gefühle nicht kennt, die sie mir einflößt.« Das ist es, meine Liebe, was ich gesagt habe. Es waren zwei hohe Staatsanwälte anwesend, zwei alte Beamte und zwei berühmte Advokaten, die mich alle sechs verstanden und sagten: »Herr von Balzac hat leider recht«, und drei Frauen sagten, daß es wahr sei. Sie aber, der ich dies wiederhole, werden es vielleicht nicht glauben, und doch ist es die reine Wahrheit.

Die Stelle in Ihrem Brief, die ich hier so ausgiebig beantwortet habe, hat mir daher auch ein bitteres und mitleidiges Lächeln entlockt. Also Sie, Sie begreifen nicht, daß ein Mann, der so mühsam schreibt wie ich (denn es ist keine Seite in meinen Schriften, die nicht siebzehn bis achtzehn Korrekturen erfordert hätte), sein ganzes Leben, seine ganze Zeit darauf verwenden muß, um so viel zu schaffen! Wie oft habe ich Ihnen darüber geschrieben, und Sie zwingen mich, es Ihnen immer von neuem wiederzukäuen. Das ist beschämend für Ihren Verstand.

An meinen englischen und italienischen Erlebnissen, auf die Sie anspielen, ist nur das eine wahr, daß ich im Sturm und Drang meines Lebens einen Ruhehafen fand und ihn aufsuchte. Ich fand aber dort, wie überall, das, was ich meinem Troubadour sagte, und bin bitter dafür bestraft, Besseres erwartet zu haben, bitterer, als Sie es vielleicht wünschten, wenn Sie auf Rache sännen. Sprechen wir nie mehr darüber, ich bitte Sie darum. Man könnte fast an der Vorsehung zweifeln!

Ich werde Ihnen gehorchen. Ich will von Ihrem Brief nur das Ende gelesen haben, wo Sie mir sagen, treu zu sein, als ob ich nicht beständig wäre. Denken Sie am Abend des 14. März an mich; denn » Quinola« ist für mich, was die Schlacht von Marengo für den ersten Konsul war, und an diesem Tag wird unwiderruflich das Stück gegeben und sich das Schicksal desjenigen entscheiden, der Sie ebenso vernunftgemäß wie unvorsätzlich liebt, und für den die glücklichen Tage von Pré-l'Evêque nie aufgehört haben, wie gestern zu sein.

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