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Lucian Bonaparte an Madame Récamier

Venedig, den 27. Juli 1799.

Romeo schreibt an Sie, Julietta; wenn Sie ihn nicht lesen wollen, wären Sie grausamer als Ihre Eltern, deren alte Zwistigkeiten sich endlich haben beilegen lassen. Gewiß werden diese schrecklichen Streitigkeiten nicht wiederkehren.

Noch vor wenigen Tagen kannte ich nur Ihren Ruf, ich hatte Sie manchmal in den Tempeln und bei Festlichkeiten gesehen, ich wußte, daß Sie die Schönste seien: tausend Zungen wiederholten Ihren Ruhm, aber dieses Lob und diese Reize hatten mich erst getroffen, ohne mich zu blenden ... Warum hat mich der Friede Ihrer Tyrannei ausgeliefert? Friede? Er herrscht heute an unserm Herd, aber in meinem Herzen ist Verwirrung ...

Seitdem habe ich Sie wiedergesehn. Die Liebe schien mir zu lächeln ... ich saß auf einer Rundbank allein mit Ihnen, ich sprach, und ich glaubte einen Seufzer aus Ihrem Busen zu hören. Meines Irrtums belehrt, sah ich Gleichgültigkeit mit der ruhigen Stirne zwischen uns sitzen. Meine Leidenschaft offenbarte sich in meinen Reden, und die Ihren trugen den liebenswürdigen, aber grausamen Stempel des Scherzes.

O Juliette, das Leben ohne Liebe ist nur ein langdauernder Schlummer. Auch die schönste Frau muß Empfindungen zugänglich sein. Glücklich ist der Sterbliche, der einst Ihr Herzensfreund wird!

*


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