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Karl Stauffer-Bern an Lydia Escher

Rom, den 2. September 1889.

Verehrteste Frau und Freundin! Heute, als an meinem dreiunddreißigsten Geburtstage, arbeite ich nicht, sondern habe mich an den Schreibtisch gesetzt und meiner Mutter zum so und so vielten Male für das Licht der Welt, welches Sie mich erblicken ließ, gedankt; denn es ist ein Vergnügen, zu leben und innezuwerden, was für schöne Kunstwerke schon, während sie steht, gemacht worden sind. So sehr ich Feuerbach als Künstler verehre – daß er sein »Vermächtnis« mit den Worten: »Meine Geburt ist als ein dreifaches Unglück zu betrachten, erstens, daß ich überhaupt geboren wurde« etc. – anfängt, finde ich affektiert. Denn wenn es ihm auch im Anfang knapp ging; von da an, wo seine Werke anfingen, etwas wert zu sein, hat es ihm nie an verständiger Anerkennung gefehlt, so viel wenigstens, daß sie genügte, ihn über Wasser zu halten. Ja mehr, die Creme des Kunstverständnisses hat sofort seine Leistungen gebührend geschätzt. Es war also zum Weltschmerz kein Grund, denn Mißerfolg beim Haufen, sobald er nicht auf letzteren angewiesen ist, kann doch dem Künstler, wenn er die wenigen Besten auf seiner Seite hat, gleichgültig sein. Es ist wohl im »Vermächtnis« auch ein klein bißchen von der Pose, woran einzelne Figuren auf seinen besten Bildern leiden – z. B. die drei schönen Römerinnen auf der Pietà in München (bei Schack), welche viel mehr an ihre süßen Mäulchen denken als an den Schmerz einer Mutter, der man den Sohn zuschanden gepeitscht und ans Kreuz genagelt. Wenn ich von Feuerbach dies sage, so brauche ich wohl nicht zu erinnern, daß ich ihn für einen der großen Künstler des Jahrhunderts halte und meine Bemerkungen unter dieser Voraussetzung zu verstehen sind. Seine Werke aber haben eine gewisse bewußte Klassizität, und zwar oft auf Kosten wahrer, unmittelbarer Empfindung, so daß die Figuren nicht immer präzis und kräftig das ausdrücken, was sie sollen, beinahe, wie wenn sie sich vor dem zuschauenden Publikum genierten, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, aus Angst, sich zu prostituieren. Male, bildhauere, baue etc. immer so, wie du denkst resp. empfindest, denn nur deine Empfindung, welche du in das tote Material hineinlegst, macht das Kunstwerk aus, welches eigentlich nur das Medium ist, um dein Empfinden anderen zu vermitteln. Also was nicht drin ist, kommt nicht heraus, es wachsen keine Feigen an den Dornen. Die Persönlichkeit allein spricht im Kunstwerk – je nach ihrer Qualität bildet sich die große Skala von Erzeugnissen, vom kindischen, dilettantischen Versuch an gerechnet bis zum Werk des Genius. Auf diese Erklärung paßt wohl alles, was »Kunstwerk« gescholten wird, und folgt daraus etwa dies: Bilde dich, deine Empfindung, Gesinnung so, daß es sich lohnt, sie anderen mitzuteilen, und mache dich zum Herrn des Apparats, dessen du bedarfst, um das Werk nicht nur zu träumen, sondern zu schaffen, so daß andere verstehen können, was du meinst, resp. imstande sind, dir nachzuempfinden. (Das scheint mir nicht übel gesagt.)

6. April.

Liebe Lydia! Am grünen Donnerstag war ich in Rom und erkundigte mich bei dem Direktor des Irrenhauses über Dein Befinden. Er teilte mir mit, daß Du zufrieden mit Emil irgendwo hingereist seiest. Es war das die erste Nachricht, die ich über Dich einzuziehen imstande war seit meiner Verhaftung. Du weißt am besten, was Dir frommt, und es steht mir nicht zu, über Dich zu richten. Hast Du mich aber verraten, so magst Du verantworten, was Du getan hast. Du weißt wohl, daß Du das einzige Weib bist, welches ich je liebte, und daß meine ganze Kraft, seit ich Dich kenne, nur auf Deiner moralischen Unterstützung fußte – und alles, was ich tat, nur geschah, um Dir zu gefallen. Du weißt auch, wie ich das Menschenmögliche tat, um der Versuchung zu widerstehen, und daß Du nicht nur mich, auch meine ganze Familie unglücklich machst, vernichtest, meine Mutter, meine Geschwister, wenn Du mich verläßt. Du hast mich zerbrochen, mein Herz, meine Kraft, alles, alles. Habe ich das verdient? In Ketten und Fesseln, in Schande und Krankheit dachte ich nur meine Liebe. Ist es möglich, hast Du wirklich kein Herz? Du weißt wohl, daß ich unschuldig bin an den unerhörten Verbrechen, deren man mich beschuldigt. Willst Du mich völlig vernichten, bitte, mach' die Sache kurz. Du hast mit einem reichen Leben voll Feuer und Liebe gespielt und es zerstört. Ach, ich kann es immer noch nicht glauben, Du kannst mich nicht zertreten wollen, denke, Er wird einst meine Seele von Dir fordern. –

Du kennst mich ganz, ich liege vor Dir wie ein offenes Buch. Mach' ein Ende, so oder so. Ich will alles ertragen, sage mir meinetwegen, daß Du Dich in Deinen Gefühlen für mich getäuscht, aber gib nicht zu, daß ich in Schande untergehen muß. Ich habe ja nie gewagt, Dich mein zu nennen, ich war glücklich in Deiner Nähe; das Bewußtsein, eine Seele zu besitzen, die mich wirklich liebt, wie eine Schwester liebt, hätte mir für mein ganzes Leben genügt. Du wolltest es anders und hast mich damit zugrunde gerichtet. Alles, jede Hoffnung, jede Lust, alles, alles ist hin, vorbei, alles.

Bevor ich mich dessen entledige, was für mich ohne Deine Liebe und Freundschaft keinen Wert mehr hat, möchte ich von Dir noch zwei Zeilen, es ist so wenig, was ich fordere, gewähr's mir.

Du kannst mein Verderben nicht wollen; es ist unmöglich, unmöglich.

Ich kann nicht mehr.

Dein Karl.

*


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