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Goethe an Frau von Stein

Weimar, den 16. Juli 1776.

Abends, den 16. Noch ein Wort. Gestern, als wir nachts von Apolde zurückritten, war ich vorn allein bei den Husaren. Die erzählten einander Stückchen; ich hört's, hört's auch nicht, ritt so in Gedanken fort. Da fiel mir's auf, wie mir die Gegend so lieb ist. Das Land! der Ettersberg! die unbedeutenden Hügel! und mir fuhr's durch die Seele: wenn du nun auch das einmal verlassen mußt! das Land, wo du so viel gefunden hast, alle Glückseligkeit gefunden hast, die ein Sterblicher träumen darf, wo du zwischen Behagen und Mißbehagen in ewig klingender Existenz schwebst, wenn du auch das zu verlassen gedrungen würdest mit einem Stab in der Hand, wie du dein Vaterland verlassen hast! Es kamen mir die Tränen in die Augen, und ich fühlte mich stark genug, auch das zu tragen. Stark! Das heißt dumpf.

Ilmenau, den 8. August 1776.

Deine Gegenwart hat auf mein Herz eine wunderbare Wirkung gehabt. Ich kann nicht sagen, wie mir ist! mir ist wohl und doch so träumig. Zeichnen konnt' ich gestern nicht. Ich saß auf Wizlebens Felsen, die herrlich sind, und konnte nichts hervorbringen, da schrieb ich Dir:

Ach, wie bist Du mir,
Wie bin ich Dir geblieben!
Nein, an der Wahrheit
Verzweifl' ich nicht mehr.
Ach, wenn Du da bist,
Fühl' ich, ich soll Dich nicht lieben.
Ach, wenn Du fern bist,
Fühl' ich, ich lieb' Dich so sehr.

Heut will ich auf den Hermannstein, und womöglich die Höhle zeichnen; hab' auch Meißel und Hammer, die Inschrift zu machen, die sehr mystisch werden wird. Ihr Zettelchen hab' ich kriegt, hab' mich viel gefreut. – Ich schwöre Dir, ich weiß nicht, wie mir ist. Wenn ich so denke, daß Sie mit in meiner Höhle war, daß ich Ihre Hand hielt, indes sie sich bückte und ein Zeichen in den Staub schrieb!!! Es ist wie in der Geisterwelt, ist mir auch wie in der Geisterwelt. Ein Gefühl ohne Gefühl. Lieber Engel! Ich hab' an meinem »Falken« geschrieben, meine Giovanna wird viel von Lili haben. Du erlaubst mir aber doch, daß ich einige Tropfen Deines Wesens dreingieße, nur soviel es braucht, um zu fingieren. Dein Verhältnis zu mir ist so heilig sonderbar, daß ich erst recht bei dieser Gelegenheit fühlte: es kann nicht mit Worten ausgedrückt werden, Menschen können's nicht sehen. Vielleicht macht mir's einige Augenblicke wohl, meine verklungenen Leiden wieder als Drama zu verkehren. Adieu, Liebe.

Wartburg, den 13. September 77, abends 9.

Hier wohn' ich nun, Liebste, und singe Psalmen dem Herrn, der mich aus Schmerzen und Enge wieder in Höhe und Herrlichkeit gebracht hat. Der Herzog hat mich veranlaßt, heraufzuziehen, ich habe mit den Leuten unten, die ganz gute Leute sein mögen, nichts gemein, und sie nichts mit mir, einige sogar bilden sich ein, sie liebten mich, es ist aber nicht gar so. Liebste, diesen Abend denk' ich mir Sie in Ihrer Tiefe um Ihren Graben in Mondschein beim Wachfeuer, denn es ist kühl. In Wilhelmsthal ist mir's zu tief und zu eng, und ich darf doch noch in der Kühle und Nässe nicht in die Wälder, die ersten Tage. Hier oben! Wenn ich Ihnen nur diesen Blick, der mich nur kostet aufzustehn vom Stuhl, hinübersegnen könnte. In dem grausen linden Dämmer des Monds die tiefen Gründe, Wiesen, Büsche, Wälder und Waldblößen, die Felsenabhänge davor, und hinten die Wände, und wie der Schatten des Schloßbergs und Schlosses unten alles finster hält und drüben an den sachten Wänden sich noch anfaßt, wie die nackten Felsspitzen im Monde röten und die lieblichen Auen und Täler ferner hinunter, und das weite Thüringen hinterwärts im Dämmer sich dem Himmel mischt. Liebste, ich hab' eine rechte Fröhlichkeit dran, ob ich gleich sagen mag, daß der belebende Genuß mir heute mangelt, wie der lang Gebundne reck' ich erst meine Glieder. Aber mit dem echten Gefühl von Dank, wie der Durstige ein Glas Wasser nimmt und die Heiligkeit des Brunnens und die Liebheit der Welt nur nebenweg schaut.

Wenn's möglich ist, zu zeichnen, wähl' ich mir ein beschränkt Eckchen, denn die Natur ist zu weit herrlich hier auf jeden Blick hinaus! Aber auch was für Eckchens hier! – O, man sollte weder zeichnen noch schreiben! – Indes wollt' ich doch, daß Sie wüßten, daß ich lebe und Sie gleich wieder recht liebe, da mir's anfängt wieder wohl zu sein. – Und zu Trost in der Öde bild' ich mir ein, Sie freuen sich über einen Brief oder sonst ein Gekritzel von mir ...

Berlin, den 17. Mai 1778.

In einer ganz andern Lage, als ich Ihnen den Winter vom Brocken schrieb, und mit ebendem Herzen wenige Worte. Ich dacht' heut an des Prinzen Heinrichs Tafel dran, daß ich Ihnen schreiben müßte, es ist ein wunderbarer Zustand, eine seltsame Fügung, daß wir hier sind. Durch die Stadt und mancherlei Menschen Gewerb' und Wesen hab' ich mich durchgetrieben. Von den Gegenständen selbst mündlich mehr. Gleichmut und Reinheit erhalten mir die Götter aufs schönste, aber dagegen welkt die Blüte des Vertrauens, der Offenheit, der hingebenden Liebe täglich mehr. Sonst war meine Seele wie eine Stadt mit geringen Mauern, die hinter sich eine Zitadelle auf dem Berge hat. Das Schloß bewacht' ich, und die Stadt ließ ich in Frieden und Krieg wehrlos, nun fang' ich auch an, die zu befestigen, wär's nur indes gegen die leichten Truppen.

Es ist ein schön Gefühl, an der Quelle des Kriegs zu sitzen in dem Augenblick, da sie überzusprudeln droht. Und die Pracht der Königstadt, und Leben und Ordnung und Überfluß, das nichts wäre ohne die tausend und tausend Menschen, bereit, für sie geopfert zu werden. Menschen, Pferde, Wagen, Geschütz, Zurüstungen, es wimmelt von allem. Der Herzog ist wohl, Wedel auch und sehr gut. Wenn ich nur gut erzählen kann von dem großen Uhrwerk, das sich vor einem treibt, von der Bewegung der Puppen kann man auf die verborgnen Räder, besonders auf die große alte Walze, FR gezeichnet, und tausend Stiften schließen, die diese Melodien eine nach der andern hervorbringt ...

Den 9. Dezember 1780.

Zum Tanze schick' ich den Strauß
Mit himmelfarbnem Band,
Und siehst Du andern freundlich aus,
Reichst andren Deine Hand,
So denk' auch an ein einsam Haus
Und an ein schöner Band.

Eisenach, den 28. Juni 1784.

Nun wird es balde Zeit, liebe Lotte, daß ich wieder in Deine Nähe komme, denn mein Wesen hält nicht mehr zusammen, ich fühle recht deutlich, daß ich nicht ohne Dich bestehen kann. Der Ausschußtags-Abschied ist signiert, nun kann es nicht lange mehr währen, ich rechne noch eine Woche, dann werde ich loskommen können. Das Wetter ist höchst elend, man kann nicht vors Tor, und was innerhalb der Mauern von Schönheiten und Artigkeiten lebt, hat allenfalls nur einen augenblicklichen Reiz für mich und kann kaum das Regenwetter balancieren, geschweige einen so wesentlichen Mangel, als der ist, den ich von Morgen bis zu Abend empfinde.

Ja, liebe Lotte, jetzt wird es mir erst deutlich, wie Du meine eigne Hälfte bist und bleibst ... Ich bin kein einzelnes, kein selbständiges Wesen. Alle meine Schwächen habe ich an Dich angelehnt, meine weichen Seiten durch Dich beschützt, meine Lücken durch Dich ausgefüllt. Wenn ich nun entfernt von Dir bin, so wird mein Zustand höchst seltsam. Auf einer Seite bin ich gewaffnet und gestählt, auf der andern wie ein rohes Ei, weil ich da versäumt habe, mich zu harnischen, wo Du mir Schild und Schirm bist. Wie freue ich mich, Dir ganz anzugehören. Und Dich nächstens wiederzusehen.

Alles lieb' ich an Dir, und alles macht mich Dich mehr lieben.

Der Eifer, wie Du in Kochberg Deine Haushaltung angreifst, von dem mir Stein mit Vergnügen erzählt, vermehrt meine Neigung zu Dir, läßt mich Deine innerlich tätige köstliche Seele sehn. Lotte, bleibe mir, und was Dich auch interessieren mag, liebe mich über alles!

Rom, den 7. November 1786.

Laß Dich's nicht verdrießen, meine Beste, daß Dein Geliebter in die Ferne gegangen ist; er wird Dir besser und glücklicher wiedergegeben werden. Möge mein Tagebuch, das ich bis Venedig schrieb, bald und glücklich ankommen, von Venedig bis hierher ist noch ein Stück geworden, das mit der »Iphigenie« kommen soll; hier wollt' ich es fortsetzen, allein es ging nicht. Auf der Reise rafft man auf, was man kann, jeder Tag bringt etwas, und man eilt, auch darüber zu denken und zu urteilen. Hier kommt man in eine gar große Schule, wo ein Tag so viel sagt und man doch von dem Tage nichts zu sagen wagt.

Wenn Du mit Deinem Auge und mit der Freude an Künsten die Gegenstände hier sehn solltest, Du würdest die größte Freude haben; denn man denkt sich denn doch mit aller erhöhenden und verschönernden Imagination das Wahre nicht.

Rom ist nur ein zu sonderbarer und verwickelter Gegenstand, um in kurzer Zeit gesehen zu werden; man braucht 3 Jahre, um sich recht und mit Ernst umzusehen. Hätte ich Tischbein nicht, der so lange hier gelebt hat und, als ein herzlicher Freund von mir, so lange mit dem Wunsche hier gelebt hat, mir Rom zu zeigen, so würde ich auch das weder genießen noch lernen, was mir in der kurzen Zeit beschert zu sein scheint; und doch seh' ich zum voraus, daß ich wünschen werde anzukommen, wenn ich weggehe. Was aber das größte ist, und was ich erst hier fühle: wer mit Ernst sich hier umsieht und Augen hat, zu sehen, muß solid werden, er muß einen Begriff von Solidität fassen, der ihm nie so lebendig ward. Mir wenigstens ist es so, als wenn ich alle Dinge dieser Welt nie so richtig geschätzt hätte als hier. Welche Freude wird mir's sein, Dich davon zu unterhalten.

Nun warte ich sehnlich auf einen Brief von Dir und werde Dir öfters schreiben. Du nimmst mit wenigem vorlieb, denn abends ist man müde und erschöpft vom Laufen und Schauen des Tags. Bemerkungen zeichne ich besonders auf, und die sollst Du auch zu seiner Zeit erhalten.

Wo man geht und steht, ist ein Landschaftbild aller Arten und Weisen. Paläste und Ruinen, Gärten und Wildnis, Fernen und Engen, Häuschen, Ställe, Triumphbögen und Säulen, oft alles zusammen auf ein Blatt zu bringen. Doch werd' ich wenig zeichnen, die Zeit ist zu kostbar, ob ich gleich lernen und manches mitbringen werde.

Den 20. Dezember 1786.

Noch ist kein Brief von Dir angekommen, und es wird mir immer wahrscheinlicher, daß Du vorsätzlich schweigst, ich will auch das tragen und will denken: Hab' ich doch das Beispiel gegeben, hab' ich sie doch schweigen gelehrt, es ist das erste nicht, was ich zu meinem Schaden lehre.

Heute Nacht hatt' ich halb angenehme, halb ängstliche Träume. Ich war in eurer Gegend und suchte Dich. Du flohst mich, und dann wieder, wenn ich Dir begegnen konnte, wich ich Dir aus. Deine Schwester und die kleine Schardt fand ich beisammen, letztere versteckte etwas vor mir, wie ein farbiges Strickzeug. Sie erzählten mir, Du lesest jetzt mit vieler Freude die englischen Dichter, und ich sah zugleich zum Fenster hinaus einen anmutigen grünen Berg mit Lorbeerhecken und Schneckengängen, die hinaufführten. Man sagte mir, es sei der englische Parnaß. Ich dachte, darüber wird sie mich leicht vergessen, und schalt auf die englischen Dichter und verkleinerte sie. Dann suchte ich Dich in meinem Garten, und als ich Dich nicht fand, ging ich auf die Belvederesche Chaussee, wo ich ein Stück Weg hatte machen lassen, das mich sehr freute. Wie ich dabei stand, kamen Oppels gefahren, die mich freundlich grüßten, welches mir eine sehr frohe Empfindung war. – So bleibt der Entfernte mit den zartesten Banden an die Seinigen gefesselt. – Gestern träumte ich, die Herdern sei, eben als ich in ihr Haus trat, in die Wochen gekommen.

Hab' ich Dir denn von Rom nichts zu schreiben als Träume? Noch viel! Gar viel!

Ich fange nun an, die besten Sachen zum zweitenmal zu sehen, wo denn das erste Staunen sich in ein Mitleben und näheres Gefühl des Wertes der Sachen auflöst.

Ich lasse mir nur alles entgegenkommen und zwinge mich nicht, dies oder jenes in dem Gegenstande zu finden.

Wie ich die Natur betrachtet, betrachte ich nun die Kunst, ich gewinne, wornach ich so lang gestrebt, auch einen vollständigen Begriff von dem Höchsten, was Menschen gemacht haben, und meine Seele bildet sich auch von dieser Seite mehr aus und sieht in ein freieres Feld.

Von gewissen Gegenständen kann man sich gar keinen Begriff machen, ohne sie gesehen, in Marmor gesehen zu haben, der Apoll von Belvedere übersteigt alles Denkbare, und der höchste Hauch des lebendigen, jünglingsfreien, ewigjungen Wesens verschwindet gleich im besten Gipsabguß.

Und doch ist das alles mir mehr Mühe und Sorge als Genuß. Die Wiedergeburt, die mich von innen heraus umarbeitet, wirkt immer fort, ich dachte wohl hier was zu lernen, daß ich aber so weit in die Schule zurückgehn, daß ich so viel verlernen müßte, dacht' ich nicht. Desto lieber ist mir's, ich habe mich ganz hingegeben, und es ist nicht allein der Kunstsinn, es ist auch der moralische, der große Erneuerung leidet. Viel erleichtern würde mir diese sonderbare Hauptepoche meines Lebens, wenn ich ein freundlich Wort von Dir vernähme, da ich jetzt alles allein austragen muß. Doch ich will Dir's nicht abzwingen, folge Deinem Herzen, und ich will meinen Weg im stillen endigen.

Den 23. Dezember 1786.

Laß mich Dir nur noch für Deinen Brief danken! Laß mich einen Augenblick vergessen, was er Schmerzliches enthält. Meine Liebe! Meine Liebe! Ich bitte Dich nur fußfällig, flehentlich, erleichtere mir meine Rückkehr zu Dir, daß ich nicht in der weiten Welt verbannt bleibe. Verzeih mir großmütig, was ich gegen Dich gefehlt, und richte mich auf. Sage mir oft und viel, wie Du lebst, daß Du wohl bist, daß Du mich liebst. In meinem nächsten Briefe will ich Dir meinen Reiseplan schreiben, was ich mir vorgenommen habe, und wozu der Himmel sein Gedeihen gebe. Nur bitt' ich Dich: sieh mich nicht von Dir geschieden an, nichts in der Welt kann mir ersetzen, was ich an Dir, was ich an meinen Verhältnissen dort verlöre. Möge ich doch Kraft, alles Widrige männlicher zu tragen, mitbringen. Eröffne die Kasten nicht, ich bitte, und sei ohne Sorgen. Grüße Stein und Ernst, Fritzen danke für seinen Brief, er soll mir oft schreiben, ich habe schon für ihn zu sammeln angefangen, er soll haben, was er verlangt, und mehr, als er verlangt.

Daß Du krank, durch meine Schuld krank warst, engt mir das Herz so zusammen, daß ich Dir's nicht ausdrücke. Verzeih mir, ich kämpfte selbst mit Tod und Leben, und keine Zunge spricht aus, was in mir vorging. Dieser Sturz hat mich zu mir selbst gebracht. Meine Liebe! Meine Liebe!

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