Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Pestalozzi an seine Braut Anna Schultheß

[Höngg, den 24. September 1769.]

Meine Nanetten! Alles ist jetzt in der Kirche, ich bin allein. Ich will Dir schreiben, wenn ich etwa einen Augenblick warten müßte, wenn ich wieder beim Pflug bin, daß ich Dir bald, so bald, als ich da bin, sagen kann, daß ich vergnügt bin, daß ich hier auch ohne Dich! – glaubst Du es? – vergnügt bin. Nanetten, Du wärest auch vergnügt, wenn Du da wärest, und ich bin auch, ich muß es Dir sagen, nicht ganz ohne Dich da, nicht einen Augenblick, ohne an Dich zu denken, ohne Dich vergnügt da.

Mein Kind, der heutige Tag ist heiter, und auch meine Seele! Ich sah unschuldsvolle, schöne Kinder. Eins nahm ich von den andren weg auf meinen Schoß. Ach, daß Du da gewesen wärest, ich hätte es Dir auf Deinen Schoß gegeben! Es war das schönste Kind im Dorfe. Wir hätten es beide geküßt, und dann voller Hoffnung, Wünsche und Freude uns selbst! Jetzt küßte ich allein, doch immer zweimal, einmal für Dich. Nanetten, keine Kinder in der Stadt sind so schön, und sie sind nicht so ruhig, sie sind nicht so gesund, aber unsre Kinder sollen schön, sollen stark und gesund und ruhig sein wie dieses.

Nanetten, ich bin ruhig und munter und glücklich, und wenn Du mich schon weggeschickt, ohne mich zu küssen, so bin ich doch vergnügt. Mein Herz lacht in meiner Brust; wo ich bin, da gedenke ich an Dich.

Mein Kind, heute saß ich auf einem niedern, reifenden Fruchtbaume; die Äste bogen sich, wie zu einem Lehnstuhl. Leise, mittägliche Zephire strichen durch die Blätter, und ob mir war Schatten. Neben mir war noch ein biegsamer Ast, gleich einem Lehnstuhl, ein schattiger Sitz, kühl vom wehenden Zephir. Da, dachte ich, da solltest Du sitzen, mir gerade gegenüber; es war der schönere Sitz, ich ließ ihn Dir ledig. Auf meinem Ast las ich Deinen Brief, dann blickte ich auf den leeren Ast und wünschte Dich da, da könnte sich Hand und Hand und Lippe und Lippe erreichen, da wäre ich nicht schüchtern, wie unter den glühenden Dachziegeln. So vergnügt bin ich hier.

Was machst indessen Du? Was es auch immer sei, so denkst Du gewiß an mich und an die unzählbaren Stunden, wo ich verwiesen lebe, ohne einen Kuß! Du gedenkst an Deine böse, böse Tat, Nanetten! So mußt Du nicht mehr schüchtern sein! Diesmal hab' ich's ertragen – aber man klopft! Die Kirche ist aus – Nanette, wie habe ich diese Zeit, wie hast Du sie zugebracht?

– – Wieder einen Augenblick für Dich! Es geht auf den Abend; ich fange an, zu sehr, zu sehr die Augenblicke zu zählen – wie lang wird es sein bis morgen am Morgen? Ich will es Dir nicht sagen, wenn ich nicht schlafe, vor Sehnsucht nach dem Morgen nicht schlafe, und wenn ich etwa oft aufstehe und sehe, ob es bald 4 Uhr – ich will Dir's nicht sagen, wenn ich dem langweiligen Wächter um Mitternacht zürne, daß er nicht den Morgen ruft, – das alles will ich Dir nicht sagen. Doch wenn Du Deine Sünde bereust und Buße tust und mir auch sagst, wie Du die Stunden gezählet, so sage ich Dir alles.

Nanetten, schlafe wohl und träume von
dem geliebten
Pestalozze.

*


 << zurück weiter >>