Friedrich Hebbel
Gedichte
Friedrich Hebbel

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          Lustig tritt ein schöner Knabe
    In die Abendschenke ein,
Und sogleich zur kühlen Labe
    Bringt die Kellnerin den Wein.

Ihn gelüstet's, sie zu küssen,
    Er umschließt sie, fest und dicht,
Doch sie gießt, um nicht zu müssen,
    Rasch den Wein ihm ins Gesicht.

Jetzt erst schaun sich alle beide
    Näher an auf offnem Plan,
Und sie sehn mit stillem Neide,
    Daß nicht eines recht getan.

Er ist stattlich anzuschauen,
    Wie das Herz sich's nur begehrt,
Und der ganze Flor der Frauen
    Hielte ihn der Liebe wert.

Doch sie selbst ist auch ein Engel,
    Dem man seinen Kuß nicht raubt,
Wie man Kirschen rupft vom Stengel
    Und Johannisbeeren klaubt.

Gänzlich sind sie nun geschieden
    Und doch innerlich verwandt,
Doch die Gäste sind zufrieden,
    Denn sie klatschen in die Hand.

Bis zur Stirn hinauf erglühend,
    Bringt sie ihm das zweite Glas,
Aber dunkle Flammen sprühend,
    Wie sie selbst, verschmäht er das.

Es verlockt ihn nicht, zu nippen,
    Wie der goldne Wein auch lacht,
Und er fragt mit heißen Lippen
    Nur ums Lager für die Nacht.

Selber führt sie ihn ins Zimmer,
    Und er nickt ihr freundlich Dank,
Doch verbittet er noch immer
    Ihre Speise, ihren Trank.

Einsam hört er und verdrossen
    Nun der Lust der andern zu,
Endlich wird das Haus verschlossen,
    Und der letzte sucht die Ruh'.

Horch, da klopf es, leise, leise,
    Schloß und Riegel geben nach,
Und in hold-verschämter Weise
    Tritt das Mädchen ins Gemach.

Hell beleuchtet, bis zum Blenden,
    Steht sie da im Mondenstrahl,
Und in ihren weißen Händen
    Blinkt der Wein zum drittenmal.

Und sie flüstert halb mit Tränen:
    Ungern tat ich dir so weh!
Doch die andern konnten wähnen,
    Daß es unrecht mit mir steh'!

Jetzt erfüll' ich dein Verlangen,
    Nimm den Kuß von meinem Mund,
Aber hast du ihn empfangen,
    Leer' das Glas auch bis zum Grund!

 


 


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