Friedrich Hebbel
Gedichte
Friedrich Hebbel

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Vaterunser

              Blitze lauern hinter Wolken,
    In den Eichen wühlt der Sturm;
Dicker Wald; ein Notgeläute
    Hallt schon dumpf von manchem Turm.

Ruhig unterm breiten Baume,
    Seine Pfeife in dem Mund,
Liegt der alte Räuberhauptmann;
    Ihm zu Füßen schläft sein Hund.

Und ein Jüngling, bleich, wie keiner,
    Streckt sich ihm zur Seite hin,
»Schleif dein Messer!« spricht der Alte,
    Er gehorcht mit schwerem Sinn.

Rot und zischend zwischen beide
    Springt ein Blitz, doch trifft er nicht.
»Vater unser!« ruft der Jüngling,
    Doch der Alte flucht und spricht:

»Vater unser laß ich gelten,
    Wenn man auf dem Richtstuhl sitzt,
Wenn die Schere in den Haaren
    Und das Beil im Nacken blitzt.

Jetzt verbiet' ich dir das Beten,
    Denn zum Herrn erkorst du mich,
Und ich stell' den Mord noch heute
    Dunkel zwischen Gott und dich!

Ja, ich schwör's, du sollst den ersten,
    Den du hier erblicken wirst,
Töten, daß du nicht noch einmal
    Dich von mir zu Gott verirrst.

Du erschrickst? Ich will's nicht schelten,
    Mir auch schien das einst gar viel,
Und auch du erlebst die Zeiten,
    Wo du's treibst, wie ich, als Spiel.

Mir ist solch ein Mut gekommen,
    Seit ich, weil er zornig sprach
Vom Gericht und andern Dingen,
    Meinen Vater niederstach.«

Angstgeschüttelt ruft der Jüngling:
    »Nimmer, nimmer tatst du das!«
Kräftig schmauchend spricht der Alte:
    »Ei, ich tat's, und ist's denn was?«

»Wohl, da muß ich's freilich halten,
    Was du schwurst und tu's mit Lust!«
Ruft's, und stößt dem grausen Alten
    Fest sein Messer in die Brust.

Jener ballt die Hand, verröchelnd,
    Doch er sieht es ohne Graus,
Betet, wie nach einem Opfer,
    Laut sein Vaterunser aus.

 


 


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