Friedrich Hebbel
Gedichte
Friedrich Hebbel

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Die Polen sollen leben

(Neujahrsnacht 1835.)

                  Zu Hamburg in dem Saale,
        Voll Lichterglanz und Pracht,
    Sitzt mancher Gast beim Mahle
        In heil'ger Neujahrsnacht;
Die Fremden sind's, sie wären gern
Im Vaterland, doch das ist fern,
        Nun wird denn sein gedacht.

    Erst haben sich die Gäste
        Kalt ins Gesicht geschaut,
    Doch werden sie beim Feste
        Bald froh und wohlvertraut.
Nur einer, welchen niemand kennt,
Blickt stumm ins Licht, wie's niederbrennt,
        Jung, aber schon ergraut.

    Ihm dünken sie Gespenster
        In ihrer Lust zu sein;
    Er kehrt sich ab; ins Fenster
        Wirft hell der Mond den Schein.
Er spricht: »Du überschaust die Welt,
So sag', ob Polen steht, ob fällt!« –
        Die Wolke hüllt ihn ein.

    Sein Herz will zornig wallen,
        Da schwört er still sich zu:
    »Magst stehn, mein Volk, magst fallen,
        Ich steh', und fall', wie du!
Gewiß der Erste wär' ich dort,
Der Letzte hier am fremden Ort,
        Mein Dolch bringt mich zur Ruh'.«

    Der Glockenturm tut eben
        Die zwölfte Stunde kund,
    Die Polen sollen leben!
        Ruft er mit lautem Mund.
Ein jeder greift, wie er, zum Glas,
Sie all' erglühn, doch er sinkt blaß
        Zurück, ist tut zur Stund'.

    Sie gießen, statt zu trinken,
        Den Wein jetzt in den Sand;
    Sie sahn das Schicksal winken,
        Und haben's wohl erkannt,
Daß Polen bald dem Toten gleicht,
Doch keiner ahnt, wie bald vielleicht
        Die Welt dem Polenland.

 


 


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