Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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34. Stephan ist weltmüde

». . . Herr, ich bin jetzt zehn Jahre lang treu und redlich Euer Knecht gewesen. So gebt mir denn in Gnaden den Abschied und laßt mich ohne Groll von dannen ziehen! Ihr habt unter den dienenden und zugewandten Brüdern Eures Ordens 429 Dutzende, die meine Stelle ebensogut und besser als ich versehen können . . .«

Der Großmeister Hermann von Salza richtet sich im Sattel auf und schaut seinen Leibknecht Stephan an, als sähe er ihn zum erstenmal. Ist das der Augenblick für eine solche Mitteilung: wenn man auf der eiligen Reise zum Reichstag, wo man vom Kaiser neue Privilegien für den siegreichen Orden zu erhalten hofft, abermals einen strengen Tagesritt hinter sich hat und eben über die Köpfe der Pferde hinweg die Stadt vor sich sieht, in welcher man zu nächtigen hofft? Aber für eine unangenehme Nachricht erscheint demjenigen, der sie zu hören bekommt, der Zeitpunkt niemals richtig gewählt.

»Was fällt dir ein? Alle die Kämpfe gegen diese nordischen Heiden hast du mutig mitgemacht; und jetzt, wo wir die Früchte unserer Tapferkeit zu pflücken anfangen, willst du dich ihrer von einem Tag auf den andern selber berauben? Ist es dir zu mühsam, mit mir in der Welt herumzureiten, und möchtest du lieber ein seßhafteres Leben führen, so sag's! Aber du bist doch wahrlich noch im besten Alter –«

Stephan hört diese Worte nur wie aus weiter Ferne. Seine Seele ist erfüllt von dem friedlichen Sommerabendzauber dieser deutschen Hügellandschaft, in welcher das Gras fett und hoch steht, die Obstbäume mütterlich ausgreifende Kronen haben und die Gehöfte mit ihrer Rauchsäule traulich in den Erdfalten eingebettet liegen. Zwar ist es nicht das Land, in welchem er geboren wurde; aber zwischen den Gestaden des mittelländischen Meeres und denen der Ostsee mutet es ihn so verwandt an, daß er sich, wo er sich innerlich gefunden hat, hier auch äußerlich wie in der Heimat fühlt. Was er noch möchte, das ist: Irgendwo mit seiner Hände Arbeit ehrlich sein Brot verdienen 430 und die süße Feierabendstunde jeweilen als schönsten Lohn für den Schweiß des Tages genießen . . .

»Herr, ich wünsche keine andere Stelle im Orden; ich möchte aus dem Orden austreten! Ich bin jetzt dreiundvierzig Jahre alt und kann es mit meinem Gewissen nicht mehr vereinen, daß ich Menschen den Schädel einschlage, nur weil sie einen andern Gott oder sonst eine andere Meinung haben als ich. Ich möchte endlich ein Christ nicht scheinen, sondern sein, und kann daher nicht mehr mittun, wo es gilt, im Zeichen des Kreuzes höchst unchristliche Taten zu begehen –«

Jetzt ist die Reihe zum Schweigen und Nachdenken am Großmeister. Wie man sich doch täuschen kann! Von diesem Burschen hatte er geglaubt, daß er ihm bis zu seinem letzten Atemzuge treu bleiben und nicht minder eifrig als er selber für den wahren Glauben kämpfen werde: und nun gehört er gar zu den Lauen! Aber die einen sind nun einmal dazu geboren, als Knechte ein ruhmloses Leben zu führen; und niemand kann von ihnen verlangen, daß sie handeln und fühlen wie Herrennaturen.

»Was hast du denn so Besonderes erlebt, daß dir solche Bedenken kommen, ein eifriger Streiter Christi zu sein? Soviel ich sehen konnte, hast du im Kampfe immer deinen Mann gestellt; und was dir früher begegnet ist, darüber will ich dich nicht noch zum Schluß ausfragen. Aber mich erinnert dein Name immer an jenen Hirtenknaben Stephan, der vor bald einem Menschenalter zahllose Kinderscharen zu einem Kreuzzug ins heilige Land aufrief: sie sollen alle schon unterwegs elend zugrunde gegangen sein; und etwas Törichteres ist gewiß in dieser Welt selten unternommen worden – Dieser Stephan würde sich, in deinem Alter, gewiß schwerlich besinnen, ein Deutschritter zu sein!«

431 Über die raunenden Wälder zieht die Silbersichel des Mondes herauf, umglitzert vom wallenden Sternenheer. Die graue Dämmerung nistet immer tiefer in den Tälern und schiebt allmählich ihr Düster selbst zwischen den aufgeschlossen reitenden Trupp der Ordensritter hinein, so daß keiner mehr des andern Antlitz erkennen kann: Stephan braucht nicht zu fürchten, daß die rote Blutwelle, die über seine Züge läuft, bemerkt werde; auch staunt er selber nicht minder darüber, daß er jener Stephan war, als der Großmeister es täte, wenn er es wüßte. Wahrlich, schon in diesem Leben lebt man mehr als ein Leben!

»Ich habe gesehen, daß selbst die Großen dieser Welt nicht immer das zur Schau tragen, was sie in ihrem Busen fühlen und denken, sondern sich's daran genug sein lassen, daß sie das tun, was man als ihre Pflicht von ihnen fordert. Sollte da ein armer Knecht nicht auch erwarten dürfen, daß man einfach seine Dienste ansieht und sich keine weiteren Gedanken darüber macht, aus welcher Gesinnung heraus er sie leistete? Darum bitte ich Euch nochmals, Herr: War't Ihr zufrieden mit mir, so laßt mich in Frieden meiner Wege gehen!«

Auch dem Großmeister steigt jetzt eine Welle Blutes in den Kopf: es ist die Wallung des Zornes. Was hat diese Sprache eines Knechtes zu bedeuten, den er alle die Jahre für einen ihm nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ergebenen Menschen angesehen hatte? Aber nun er sich über seinen Charakter klar geworden ist, würde er ihn auch dann entlassen, wenn er nicht darum bäte. Früher oder später kommt die Stunde, wo die Spreu vom Korne stiebt; und hinter ihnen beiden reiten noch genug Getreue, die einen Ungetreuen ersetzen.

»Jeder muß selbst wissen, was sich für ihn am besten schickt! Ich will dich nicht weiter drängen, etwas zu tun, was gegen 432 deine Überzeugung ist; und wie du ja selbst sagst, so ist es in der Tat: um Bedienung werde ich nicht verlegen sein. Weil also dein Entschluß feststeht und ich ihn bei reiflicher Überlegung nicht anders als billigen kann, so magst du morgen von uns Abschied nehmen . . .«

Sie sind vor der Stadtmauer angelangt, durchreiten nach kurzem Verhör durch die Wache das Tor mit klingenden Hufen, gefolgt von dem Pferdegetrappel der übrigen Ritter, und denken dabei, daß es die letzte Nacht sein wird, wo sie als Herr und Knecht unter einem Dach miteinander schlafen.

 


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