Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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4. Der Aufbruch

Die Schafe trippeln durch den Abend. Stallwärts, heimwärts. Den ersten Sternen entgegen.

Lautlos umkreist der Hund die Tiere. Sie kennen ihren Weg! So werden sie ihn auch allein finden.

Naht dort hinten nicht Lukas mit seiner Herde? Hallo! Zu zweit wandert sich's besser . . .

»Guten Abend, Markus. Schön, daß du auf mich gewartet hast! Dachte schon, ich werde dich nicht mehr einholen.«

Markus streckt ihm die magere Hand hin.

»Wollen zusammenhalten diesen Sommer, nicht? Er wird lang genug dauern, wo der Frühling so zeitig anfängt! Noch nicht Ende März: und schon sind wir mit den Tieren auf der Weide . . .«

Und die Schafe des Lukas trotten vorbei. Stallwärts, heimwärts. Dem flimmernden Himmel entgegen.

Der Hund hält die Hüpfenden in der Reihe. Sie kennen alle ihren Weg! Sie werden ihn auch ohne Hirten finden.

Müde ziehen Markus und Lukas hintendrein. So einen Frühlingstag spürt man in den Knochen! Aber gleichwohl denken sie beide an den noch fehlenden Kameraden –

15 »Wo nur der Stephan bleiben mag? Dort drüben sollte er herkommen.«

Vergebens sucht Lukas mit dem Blick die Dunkelheit zu durchdringen.

»Gehen wir und sehen nach, warum er so spät ist! – Der hat noch weniger zu beißen als wir, und das ist nicht viel.«

Da hält ihn Markus am Arm zurück, damit er lauschen soll.

»Hörst du? Sein Hund gibt Laut! – Er wird doch nicht Hungers gestorben sein . . .«

Und mit beschleunigten Schritten durchqueren sie das dunkle Feld. Dem Hund entgegen, der unsichtbar, in gleichmäßigen Zwischenräumen, bellt. Keuchend den Hügel hinan, auf welchem im Sternendämmer die Schafe liegen, geruhsam wiederkäuend.

Da kommt ihnen der Hund entgegengeeilt und rennt, sie nach sich lockend, wieder zurück, ihnen voraus. Droben finden sie Stephan auf der Erde liegend, mit totenblassem Antlitz, in einem Schlafe, der Starrkrampf ist. Und was hält er in der Hand?

»Stephan? – Stephan?« Sie rütteln und schütteln ihn.

Endlich öffnet er die fahlen Lider, hebt sich in die Knie, auf die Beine, und blickt ihnen mit einem irrseligen Lächeln abwechselnd in die bang staunenden Gesichter.

»Ihr wißt es schon? Ihr habt den Ruf auch gehört und seid aufgebrochen –?«

»Nichts wissen wir. Dich gesucht haben wir!«

»Ich aber habe euch gerufen. So sicher als Christus mich gerufen hat! Dieses ist sein Brief an die Mächtigen dieser Erde, daß wir es sind, die sein Grab der Gewalt der Heiden entreißen werden!«

Sie sehen erschauernd seine Augen zum Himmel 16 emporgerichtet. Ist die dunkle Sehnsucht, die aus ihnen flammt, nicht auch ihre Sehnsucht? Schwang sie sich nicht schon lange dorthin, wohin jetzt seine erhobenen Arme weisen?

»Der Stern! Der Stern! – Allmächtiger, dein Zeichen!«

Und sie gewahren plötzlich an dem bläulich über ihnen dämmernden Firmament ein Gestirn, so hell erstrahlend wie eine kleine Sonne. Noch nie bisher haben sie es gesehen – warum muß es ihnen gerade heute erscheinen? Es spritzt und flackert von einem solchen Feuer, als wäre der Weltuntergang da und müßte der große Brand von ihm seinen Ausgang nehmen.

»Was bedeutet dieser Stern?« fragen sie sich mit stockender Stimme. – »Was ist mit dir geschehen, Stephan?« schreien sie ihm in das verzückte Antlitz. – »Was für ein Traum gab dir ein, daß wir es sind, die das heilige Grab befreien sollen?« beschwören sie ihn im schaudernden Vorgefühl eines Schicksals, das auch sie ergreifen wird.

»Brüder! Brüder!« stammelt er, sie mit seinen dünnen, harten Armen umschlingend, so daß sie zusammen mit ihm erzittern. »Stand nicht einst ein solcher Stern am Himmel, als der Erlöser geboren wurde? – Und was könnte dieser hier uns anderes zeigen wollen als den Weg nach der Stätte, wo Christus den Kreuzestod starb? – Lukas, Markus, kommt mit mir, daß wir alle Kinder um uns sammeln zur Fahrt nach dem heiligen Lande! Uns, die wir elend sind, wird gelingen, was den Hochmütigen nicht gelang . . . Laßt uns dem Sterne nachfolgen!«

Und sie schreiten den Hügel hinunter, durch die flimmernde Frühlingsnacht. Der Hund läuft ihnen winselnd nach; und wieder zur Herde zurück; und so mehrmals hin und her, bis er dahinten bleibt. Mag er bleiben! Mögen auch die andern Herden hinlaufen, wo sie wollen. Was gehen sie noch die Schafe 17 der Bauern an, die ihnen kaum das Brot gönnen? Ein Wunder Gottes will, daß sie eine andere Herde um sich scharen!

». . . Ein Pilger, sagst du, trat zu dir? – Und du glaubst, daß es unser Herr selber gewesen ist?«

Von beiden Seiten tönen ihre ehrfürchtigen Fragen ihm entgegen.

»Das ist sein Zeichen!« flüstert Stephan. »Verbrieft und versiegelt . . . – Aber hört ihr nichts?«

Er bleibt stehen. Sie halten alle den Atem an.

»Was hörst du?«

»Mir ist, als sängen die Engel des Himmels, wie sie damals gesungen haben: Friede auf Erden! Friede auf Erden!«

Und wieder fassen sie einander bei der Brust. Und lauschen; und lauschen. Durch diese Welt hindurch, in eine andere hinein.

»Ja, jetzt hören wir es auch! – Der ganze Himmel singt, mit allen seinen Engelschören! – Stephan! Stephan!«

Aber schon ist er in seine eigene Verzückung zurückgekehrt und ihnen vorausgeschritten. Seine Augen hangen wie gebannt an dem wunderbaren Stern, der durch ganze Wolkentäler matten Lichtergewimmels sein jauchzendes Feuer versprüht. In dem allgemeinen Himmelsgesang tönt sein Glanz wie eine Posaune des jüngsten Gerichtes, die nicht nur eine alte Welt zum Grabe, sondern auch eine neue zur Geburt aufruft.

Die Knaben wissen nicht, daß es die Venus ist, die zu Zeiten alle andern Sterne überstrahlt . . .

»Das Siegel an meinem Brief,« jubelt Stephan vor sich hin, »und dieser Stern am Himmel –«

Und so wandern sie, von Seligkeit trunken, auf der weiten nächtlichen Erde; wie Blinde, die sich ihr Schicksal ertasten. Mit jeder Stunde von tieferer Zuversicht erfüllt.

18 Wie spürten sie noch die Müdigkeit des Leibes? Sie ziehen der geheimnisvollen nächtlichen Sonne nach, einsam durch die feucht atmenden Frühlingsgefilde. Dem großen Tage des Glaubens entgegen.

Sie kennen jetzt ihren Weg . . .

 


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