Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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13. Die Morgenpredigt

An der Glut seines Herzens zerschmilzt die Fessel des Schlafes. Plötzlich starren seine Augen wach in den bleich dämmernden Himmel hinauf; und es ist wiederum wie Gottes Stimme, was ihn ruft und sich von der Erde erheben läßt. »Stephan! – Stephan!«

Als der erste überschaut er das Heer junger Kreuzfahrer und Kreuzfahrerinnen. Sie liegen in ihren Decken an tauiger Halde; auf der Straße stehen leer die Wagen und Karren. Am östlichen Horizont aber greifen wie blasse und doch in ihrem Schusse sieghafte Finger die tagkündenden Sonnenstrahlen in diese Erdenwelt herein.

Schickt nicht auch das Licht seine Boten voraus, ehe es zuletzt in goldener Fülle erscheint? Stephan, tue ein Gleiches! Immer schwerer, immer langsamer wird dein Gewalthaufe. Sende Boten vor dir her, daß sie die hoffende Jugend umfangen, wie diese Strahlenhand das Firmament!

Da sieht er, wie aus den vielen Hingestreckten ein Knabe sich erhebt; »Gelobt sei Jesus Christus!« hallt es mit lautem, aufweckendem Klange über das Lager hin. Und überall drehen sich junge Leiber, recken sich Arme in die Luft, zwingen sich Beine in die Höhe; und als regellos vielstimmiges Echo antwortet es über der Schar der Erwachenden: »– in Ewigkeit, Amen!« Stephan selber erhebt jetzt mächtig seine Stimme und ruft: »Auf, auf, ihr Ritter des heiligen Grabes! Höret an, was ich, euer Führer, euch tun heiße!«

55 Und die Halde wird lebendig von hundert dunklen Larven, aus denen der helle Schmetterling der Jugendlust ausschlüpft. Und wie die Knaben und Mädchen dastehen, sich besinnend umherschauen und zu ihm hinaufsteigen, wirft die eben über den Horizont hereinsprühende Sonne einen mutigen roten Schein auf ihre Gesichter. Was will Stephan, unser König? Kommt, kommt, laßt uns hören! Und schon umstehen ihn alle im Kreise und harren seiner Rede, als wäre er die Sonne und käme von ihm das Licht, das sie erleuchtet.

»Ihr Brüder und Schwestern! Unser Weg ist schmal; aber die Welt ist breit. Darum, wer beschwingt ist in der Seele und hurtig auf den Füßen, der schwärme uns rechts und links voraus und jauchze es hell in die dunklen Täler hinein: Gekommen ist der Tag, wo die Jugend auszieht nach dem heiligen Land! Sprach nicht unser Herr: Wer nicht verläßt Vater und Mutter, wie könnte der mich gewinnen? Ich aber sage euch noch mehr: Wer nicht läßt Haus und Hof, Scholle und Scheune, der wird nicht selig werden! Was dürfen wir einst mit uns nehmen, wenn Gott uns ruft? So laßt uns schon heute ihm mit leeren Händen entgegengehen; desto mehr die Seele von dem Glück erfüllt, seine Diener zu sein! Auf, ihr Boten: ruft alle Trübseligen vor die Türe ihres Leidwesens, auf daß sie sehen, wie licht Gottes verjüngte Welt ist, und die Wunder derer erfahren, die auf seine Güte vertrauen! Du, Lukas, führe die Schar zur Linken; und du, Markus, die zur Rechten! Ich bedarf euer nicht mehr in meiner Nähe; aber unser Unternehmen bedarf euer in der Ferne. Voran denn! Mit Wagen und Karren kommen wir euch nachgerollt und lesen die Ernte zusammen, die euer Wort geschnitten hat. Der Segen des Herrn sei mit euch, so wie mein Segen mit euch ist!«

56 O, wie sie da jubelnd auseinanderstieben! Wie der Freund die Freundin, die Freundin den Freund sich wählt, mit denen sie die Welt umarmen und in der Umarmung alles Leid und alle irdische Not ersticken wollen! Aus ihren morgenklaren Augensternen strahlt die hohe Mahnung: »Glaube!« Was willst du dich sorgen, wo doch ein Stärkerer alles lenkt? Leuchten nicht neben der einen, dunklen Wirklichkeit hundert Möglichkeiten, die nur auf den Mutigen warten, um schönere Wirklichkeit zu werden? Und ihre Brust weitet sich in der Kühle des jungen Tages und trägt unwiderstehlich den Entschluß ihrer Seele dahin: »Wage!« Mit jeder neuen Sonne taucht die Erde tiefer und herrlicher in ein Blütenmeer. Was willst nicht du auch blühen, wo du doch jung bist?

Stephan sieht sie im Morgengold vorauswandern, auf Fußwegen sich zerstreuen, in Wäldchen verschwinden oder auf Hügeln sich abzeichnen, während der Bauer Christian die Ochsen vor seinen Wagen spannt, die andern Treiber für die hintern Wagen sorgen und die kräftigsten Knaben sich vor die vielen übrigen Karren stellen, die sich ihnen in täglich größerer Zahl angeschlossen haben. Ihm ist das alles wie eine einzige Gebärde, mit welcher er von der Erde immer umfassender Besitz ergreift, indem er in einem hundertfältig anschwellenden Echo die Seelen der Kinder, die noch eine Hoffnung kennen, an sich zieht und aus ihrer bisherigen Trauer und Trostlosigkeit herausreißt. Und eine innere Stimme sagt ihm, daß er nicht der einzige ist, dessen Sehnsucht die Jugend aus dem dunklen Banne dieses Lebens weg und nach dem heiligen Lande aufruft, wo Er wandelte, der den Menschen die Pforten zu einem himmlischen Dasein eröffnete. Gott ist mit ihnen!

Die Sonne steht über den Tannwipfeln. Die Wagen rollen, 57 die Füße treten, die Augen schauen in den neuen Tag hinein. Was könnte die Ferne für Geheimnisse bergen, die ein gläubiger Wille ihr nicht früher oder später entrisse? Wo schmachtete eine junge Seele, die sie nicht aus ihrem Schlupfwinkel hervorlockten und mit frischem Mute erfüllten? Und ihre Herzen harren beseligt der neuen Brüder und Schwestern, die wieder, noch ehe die Sonne sinkt, sich ihnen beigesellt haben werden . . .

 


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