Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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45. Bruder Augustin und die Glöckleinkinder

Bruder Augustin, wo sind die größeren Knaben und Mädchen, denen du einst deine Meermuschel zeigtest? – Vor deinem Zorn davongelaufen. Auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

Dir sind nur noch die Jüngsten geblieben: die im Marschieren Allzulangsamen, im Davonspringen und Sichverstecken Allzuflinken . . .

Gar manchen Tag hast du seither mit deiner kleinen Schar auf diesem Wagen und jenem Karren den immer heißeren Sommer durchfahren. Und über die Grenze des Reiches, wo sie – wie du berichten hörtest – den jungen König Stephan mit seiner Schar haben abfangen wollen, schlüpftest du mit deinen Schutzbefohlenen an einer wenig bewachten Stelle ungehindert hinweg. Jetzt seid ihr in dem neuen Lande, das bis zum Meer hinunterreicht und dessen Bewohner man nur noch halb versteht.

Ein herbes Land! Ein fast heidnisches Land! Selbst die bebauten Felder sehen in Staub und Sonnenglut wie eine Wüste aus; und wo da und dort die braungebrannten Gesichter von Bauern auftauchen, meint man immer, sie müßten Mohren angehören. Vereinzelt, wie ertrunken im Sonnengeflimmer der weiten Ebene, liegen die Gehöfte da; selten auch fährt ein Fuhrwerk auf der weißen, trockenen Straße, die zwischen ihnen hindurchführt – und wenn eines fährt, so sitzt die Gleichgültigkeit darauf und kümmert sich kaum um diejenigen, die so dumm oder so unselig sind, daß sie zu Fuß gehen müssen.

209 Bruder Augustin! Bruder Augustin! Wie wirst du deine Kinder vorwärtsbringen und beieinanderhalten? Du hast dich aus Furcht vor den Schergen des Königs von Frankreich dem Rhonestrom ferngehalten: nun müßt ihr in Gottes Namen alle zusammen auf euren eigenen Füßen die Reise fortsetzen! Aber du siehst nun einmal eine dir vom Herrn auferlegte Aufgabe darin, diesen Unmündigen beizustehen; und dein Witz verläßt dich nicht.

Da sitzest du im hellen Tagesschein vor dem Heuschober, in welchem du mit deiner Kindergemeinde die Nacht verbrachtest. Und um dich herum lagern die Buben und Mädchen, schlürfen die Ziegenmilch, die euch die Bauersleute um Gottes Lohn gegeben haben, und sind bereit, in der Morgenfrische aufs neue ein paar Stunden zu marschieren. Alle diese Jugend schaut aus klaren Augen in die Welt und wälzt schon wieder heimlichen Schabernack in ihren Köpfen herum, als wäre es für deine siebzigjährigen Glieder eine Wonne, den Weg nach dem heiligen Lande abwechselnd bald als Wettläufer, bald als Spürhund zurückzulegen.

Aber auch aus deinen Augen blitzt der Schalk. Was kramst du in deinem großen Reisesack, in welchem du die verhängnisvolle Muschel sorgfältig zuunterst verstaut hast? Es klingelt und bimmelt; und herauf kommt das Glockenspiel, das zur Winterszeit den Pferden umgehängt wurde, wenn der Abt im Schlitten über Land fuhr. Wie lächeltest du manchmal pfiffig in dich hinein, während es im Kloster monate- und jahrelang gesucht wurde! Und lag doch in Frieden in deiner Kammertruhe!

»Wer will eines von diesen Glöckchen?«

»Ich! – Ich!«

Es reicht für alle. Jedem der Kinder hängt er an einer 210 Schnur eines an den Ellenbogen oder an den Kittel oder das Röckchen; und sie können sich vor Freude kaum mehr halten. Jedes behauptet, daß es das schönste Glöckchen habe, und wird nicht müde, es erklingen zu lassen.

Bruder Augustin aber hört jetzt, wenn eines vorausläuft, oder im Gebüsch sich versteckt, oder heimlich zurückbleibt. Sie werden ihm nicht mehr verloren gehen.

»Auf denn in Gottes Namen!«

Und als göttlicher Hirte treibt er seine Herde der heiligen Weide entgegen. Dem heiligen Lande entgegen.

Auch er ist nun ein Vater, der Kinder hat! Seine Familie schwärmt durch die Welt. Ein Echo seines Geistes weht ihm von überallher entgegen.

Lieblich tönt das Glockenspiel über die sommerlichen Felder. Bruder Augustin aber denkt an die Zeit zurück, wo der Schlitten des Abtes auf verschneiten Wegen fuhr. Ihm tönt es wie ein Klang aus der Heimat in der Seele . . .

Wer weiß, was jetzt dort für Glocken läuten!

 


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