Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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17. Der Scheich nimmt Abschied

»Ich habe dich rufen lassen, Iras, weil mich die Trauer deiner Seele bewegt . . .

Du weilst jetzt über ein Jahr in meinem Hause, hast schon etliche Nächte mit mir geteilt und mir immer aufrichtiger die Blüte deiner Jugend geschenkt. Aber liebte ich dich mit jener Liebe, die vor allem daran dachte, deine Schönheit und Reinheit vor würdeloser Verwüstung zu bewahren, wenn ich nicht auch das Leid, das ich hinter deinen gesenkten Lidern träumen sehe, soweit als möglich von dir nehmen wollte? Ich weiß, was du dir vielleicht selbst nicht eingestehst: Du hast hier zwar die Qualen vergessen, die du auf der langen Fahrt von deiner Heimat bis zu mir erduldetest; nicht aber die Heimat selbst . . .

Beteure nichts! Laß nicht deine Dankbarkeit dich über Gefühle hinwegtäuschen, die meine Liebe groß genug ist, klar zu erkennen! Auch bist du das Kind eines andern Himmels, und dein Geist gehorcht einem andern Gotte: fremd ist euch die Seligkeit der Blume, die nichts will, als dasein und blühen; ihr heischt über das bloße Leben hinaus das Erleben 330 – und wenn es ein Erleiden wäre! Euer Herz ruht nicht dort, wo die Sehnsucht gestillt wird; es gehört der Sehnsucht selber . . .

Das alles erkenne ich um so tiefer, als ich vergebens versuchte, dich mit Sorgfalt und Vorsicht in das Leben einzuführen, das wir Menschen leben, denen Allah eine dunkle Haut gegeben hat. Ich wollte deine Jugend und Unerfahrenheit nicht erschrecken; ich ließ deine erschöpften Kräfte aus den quellenden Tiefen deines Wesens sich erneuern, ehe ich dich an mich nahm; und ich dachte eine Zeitlang, daß meine große Liebe, die dir so manche holde Antwort der Seele und des Leibes entlockte, stark genug sei, um dich ganz zu erfüllen und jeden andern Wunsch in dir schon im Keime zu überwinden. Aber er, der alles lenkt und in dessen Willen wir uns demütiger ergeben als ihr weißen Kinder der Erde, die ihr ihn allezeit mit euren Bitten bestürmt – er hat meine Hoffnung nicht zur Reife kommen lassen . . .

Aber eines hat er getan: Er hat meinem Herzen Kraft gegeben, sich in das Unvermeidliche zu schicken! Ich könnte dich mit Gewalt bei mir zurückbehalten und mich vor mir selber damit rechtfertigen, daß meine Erfahrung mir sagt, draußen in der Welt werde dir nur Böses zustoßen. Aber will denn der Mensch sein Glück? Der Mensch will sein Schicksal; und das ist es auch allein, was ihm ohne Abzug zuteil wird. Auch dein Schicksal wird sich erfüllen, ob ich dich halte oder dich ziehen lasse. Ich halte dich nicht, weil es ein Letztes ist, das man für ein geliebtes Wesen tun kann: sein Schicksal in seine eigenen Hände zu legen . . .

Andere hüten ihre Frauen wie in der Gefangenschaft: sie lieben wohl sich selber – und das mit einer schlechten Liebe –; aber nicht diejenigen, die sie zu lieben vorgeben. Ich bin alt 331 genug, um vom Leben nichts mehr zu verlangen, als was es mir willig gibt; und wenn ich euch, die ich mir in mein Haus geholt habe, fast wie gute Kinder liebe, so wird mir dafür die Freude, von euch als gütiger Vater betrachtet zu werden, den man nicht verläßt, ob auch die nur der Außenwelt verschlossenen Türen sich jedem Begehren von innen öffnen. Selbst Naemi – die doch deine Sprache spricht – denkt nicht daran . . .

Warum treten dir Tränen in die Augen? Du möchtest nicht die Einzige sein; und fühlst doch, daß du die Einzige – oder wenigstens die Erste – sein wirst. Eben deshalb spreche ich mit dir, um dir zu zeigen, daß ich dich verstehe. Allah hat die Menschen verschieden geschaffen. Uns drückt die Glut seiner Sonne zur Erde nieder und macht uns mit ihr eins; ihr seid in kühleren Lüften geboren, und euer Geist mag leichter zum Himmel empordringen. Etwas von dieser reineren, lichteren Höhe habe ich in deiner Liebe genossen, ohne doch den Aufschwung der Sehnsucht nachzufühlen, der euch in diese Höhe emporträgt und euch in ihr heimisch sein läßt. Alles, was ich an dir getan habe, hast du mir mehr als vergolten: denn durch dich, ein Geschöpf Allahs, durfte ich die Schöpfung Allahs noch reicher – weil in einer neuen Richtung – erfassen, als ich es bisher tat . . .

Und da sollte ich nicht das Gesetz begreifen, dem du unterstehst? Wenn du jetzt wieder für Wochen allein sein wirst, während ich mit den Unsrigen die Wüste durchfahre, so denke beim Anblick der Sterne daran: Mit ihnen spricht ein Mann, der dich besser liebt, als bei euch der Mann das Weib liebt, das ihm nichts als Lust- und Lasttier ist! Aber wird dein Heimweh stärker als dein Wille, an dessen Treue ich nicht zweifle: Nimm, die dir gefällt, die Sklavin mit dir; besteige das beste Kamel in der nächsten Karawane, die nach Norden ans Meer zieht; laß dir soviel 332 Edelsteine mitgeben, als du benötigst, um wie eine Fürstin zu reisen – und sei gewiß, daß dir bis an das jenseitige Ufer alle, die meinen Namen kennen, beistehen werden . . .

Du wirfst dich zu meinen Füßen, als wolltest du mit dir selber meine Worte widerlegen? Ich weiß, ich weiß: Dein wacher Wille möchte hier bleiben; und fühlt doch, daß hinter ihm eine Macht steht, stärker als er. Vielleicht, daß ich dich noch einmal wiederfinde, wenn ich zurückkomme! Aber dann das nächste Mal nicht mehr; und wenn auch noch nicht das nächste Mal, so doch das übernächste. Aber mag es wann immer geschehen: Finde ich bei der Heimkehr in meinem Garten statt der zwölf nur noch elf Blumen, so wird die Erinnerung an dich in meinem Herzen auf keinem bittern, sondern auf einem süßen Grunde ruhen. Möge Allah dein Schicksal nicht schlimmer wenden, als meine Liebe es gewendet hätte! Das soll mein dankbares Gebet sein, so oft dein Bild mir vor die Seele tritt; und nicht ein Hadern, wie euer Glaube es zuläßt, der Allah zwingen möchte. Durch eine Welt, in welcher wir alles, selbst das Leben nur zu Lehen haben, führt mich ein Spruch der Weisen: Lerne verlieren! . . .

Und nun steh auf, Iras, laß mich noch einmal dein Antlitz schauen! Du willst nicht? Nein, du kannst nicht. So kann doch ich mich zu dir niederneigen und mit der Hand noch einmal das weiche Gold deiner Haare befühlen, das köstlicher ist als das aus Bergesschächten gehobene. Es wächst allein, wie aus Duft und Traum gewoben, aus den warmen Schächten des lebendigen Blutes und ist mir so teuer, weil der Schöpfer es uns versagtt hat . . . Leb wohl!« 333

 


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