Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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13. Ellenor als Favoritin

Sie öffnet die Augen leise – und schließt sie wieder.

Sie ruht auf dem weichen Lager im Garten, wohin sie die andern Frauen hingeleitet hatten, als sie das Schlafgemach ihres Herrn und Gebieters verließ. Nun ist es schon das dritte Mal, daß er ihr den Schleier schickte; und zum drittenmal sitzen ihre Schicksalsschwestern in der sonnigen Morgenkühle, bei welcher der Jasmingeruch wie geronnen in der frischen Luft stockt, im Kreise um sie herum und führen sie mit lieblichem Geplauder und holden Saitentönen aus den traumhaft wechselnden Entzückungen der Nacht in das klare Licht des Tages zurück, in welchem alle Dinge – die grünen Büsche, die zierlichen Säulen der Wandelgänge und selbst der bewegliche Strahl des Springbrunnens – jene bestimmten Umrisse haben, durch die sie sich als ein Gewordenes von den stürmischen Wirbeln des Werdens unterscheiden. In diesen hat sie so tief untertauchen, so weit sich verlieren gelernt, daß sie jetzt in einer wonnigen Mattigkeit des Leibes und süßen Ergebung der Seele nur noch schwach atmend daliegt und mit ihren armen Gedanken vergeblich darnach ringt, das immer größere Erleben sich selber verständlich zu machen.

Wie oft schon hat sie einer der andern Frauen die Dienste erwiesen, die sie jetzt von ihnen empfängt! Aber was wußte sie von dem Durste, mit welchem jene die saftigen Früchte zu den Lippen führten und die kühlen Getränke schlürften, bis heute, wo ein Feuer in ihr nachglüht, durch dessen flammende Hallen 307 sie bereits als siegesbewußte Wettläuferin unter Jauchzen dahinstürmt? Anders schaut einen die Welt, das Werk Gottes, an, wenn man sich selber aus einem Taumel der Luft emporschweben fühlt, immer noch das Antlitz des im Zorne seiner Schöpferkraft doppelt herrlichen Mannes im Geiste tragend und die Seligkeit des hingegebenen Geformtwerdens im verebbenden Blute, auf den wie von streichelnden Liebkosungen nachbebenden Gliedern verspürend!

Wenn sie sich schon einmal lächelnd darüber ertappte, daß sie sich lange Zeit den lieben Gott so vorgestellt hatte, hat sie etwa seither Veranlassung gefunden, sich ihn anders zu denken? Ihr Herr und Gebieter ist ihr selber zum Gotte geworden, der ihr die verborgensten Quellen ihres Wesens erschloß und zum Fließen brachte und sie bis in die tiefsten Tiefen ihrer Sinnlichkeit hinein aufatmen läßt mit jenem köstlichen Daseinsgefühl, das alle Fesseln sprengt und sich mit der großen, unergründlichen, unerschöpflichen Welt eins weiß. Und aus dieser lustvollen Überzeugung heraus, daß es nichts Schöneres gibt, als ganz Weib, nur Weib zu sein, wirst sie einen mitleidigen Rückblick auf die Gemeinde der Christen, unter welcher sie einst aufwuchs und aus der sie hergekommen ist.

Während sie mit geschlossenen Lidern weiter die Wohlgerüche in sich einsaugt, die in der sonnigen Luft schwimmen und mit der zunehmenden Wärme wieder lebendiger werden, ist es, als ob ihnen die Erinnerung einen üblen Geschmack beimischte, indem sie ihr gleichzeitig das Bild kleiner, schmutziger, zankender Menschen erweckt, die sich alle nur deshalb gegenseitig kein Glück gönnen, weil sie selber nicht glücklich sind, sondern in einem ewig quälenden dunklen Opferwahnsinn der Entsagung sich und die Welt glauben »erlösen« zu müssen. Und warum anders 308 sind sie nicht glücklich, als weil sie nicht mehr die Kraft haben, glücklich zu sein? Und warum diese wilde Eifersucht aufeinander, als weil ihre Seele keinen Reichtum hat, zu schenken, und keine Größe, um selber zu empfangen? Wären sie jemals so glücklich, so durchdrungen vom Bewußtsein einer überströmenden Kraft, wie sie es jetzt ist, sie würden jeder ihrer Schwestern dieses selbe Glück gönnen und sich freuen im Gedanken, daß es auch ihnen zu teil werden wird . . .

Ellenor hebt abermals sachte die Wimpern und läßt den Blick über die andern Frauen hingleiten. Wie rasch hat sie doch diese echte, lächelnde Ergebung gelernt, welche auf ihren Gesichtern liegt! Wer im tiefsten Grunde glücklich ist, der liebt auch sein Schicksal und kann niemals den Glauben an sein Walten verlieren. Mag nun immerhin die alte Sklavin den silbernen Schleier wieder einer andern bringen: sie wird ihn neidlos um die Schultern der Neu-Erwählten legen helfen und dann in die Reihe der übrigen zurücktreten, welche – wie zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang vom Lichte – so lange von der Liebe träumen, von welcher sie die beglückte Schwester verklärt sehen, bis wiederum der Ruf an sie selber ergeht.

Wie jämmerlich, zu glauben, daß eine der Frauen ihr etwas wegnehmen könnte; oder zu fürchten, daß sie ihr etwas rauben wollte! Wissen sie nicht alle, daß die Kraft ihres Herrn unerschöpflich ist? Und ist nicht jede von ihnen ihrem Gebieter auf eine andere Weise süß und die Erfüllung seiner Wünsche? Wahrlich, nun begreift auch sie es: Sie sind nicht nur seine zwölf Freundinnen, sondern ebensosehr seine zwölf Kinder, die sich von ihm wie von einem Vater beschützt fühlen und ihn darum wie einen Vater lieben. Hat er sie doch in dem Sinne geschaffen, daß er sie sich selber erwählte und dabei mit feinster Witterung 309 immer nur auf solche Mädchen griff, von denen er wußte, daß ihre Seelen zu einem harmonischen Chore zusammenklingen würden.

Aber was denkt sie denn schon an die andern und sieht sich in ihren Kreis zurückgekehrt? Noch ist sie es, die er liebt und so sehr mit der Empfindung des Mächtigen, Großen beseelt, daß sie wie ein von Sonne durchglühtes Wesen nur Kraft und Daseinslust ist: selbst in ihrer Mattigkeit liegt sie immer noch wie unter einem schöpferischen Hauche da und begreift die Seligkeit, welche die tiefgrünen Büsche des Gartens im warmen Sonnenlicht erfüllt und lieblich wachsen und blühen läßt. Das Glück eines Baumes, einer Blüte, welche fern dem nutzlosen und mißtönigen Streit der Gedanken in Demut ihr Leben leben, empfindet sie als verwandt mit dem Glück ihres Blutes, das in großen Wellen aufjauchzen und dann wieder verstummen darf, keinem andern als dem ihm selber innewohnenden Gesetz unterworfen.

Doch immer deutlicher gewahrt sie – wie man auch über den bewegtesten Vordergrund hinweg die eintönigen Berglinien des Horizontes erblickt – durch die erlebnisgesättigte Gegenwart hindurch eine matte Zukunft, von welcher sie schon in der langen Zeit des Wartens einen Vorgeschmack bekommen hatte. Wie kann sie, die in der Sehnsucht aufgewachsen ist, die Sehnsucht auf die Dauer an ein ewig lächelndes willenloses Hingegebensein vertauschen? Selbst die große Mädchen-Neugierde nach dem Weibsein ist gestillt, indem auch dieses Rätsel sich ihr in Selbstverständlichkeit aufgelöst hat! Einst zog sie in Gefahren und unter Entbehrungen mit tausend andern Reisegefährtinnen dem heiligen Lande entgegen; und ihr will auf einmal scheinen, als ob damals ihr Leben immer reicher geworden wäre, während 310 sie jetzt von diesem Reichtum mehr und mehr zu zehren beginnt. Und wenn sie auch ohne jedes Bedauern sich vergegenwärtigt, daß sie niemals in die Mauern der heiligen Stadt Jerusalem einziehen wird, so bleibt darum nicht minder wahr, daß das Jerusalem der Sehnsucht ihres jugendlich heißen Blutes, in welchem sie wahrlich einen fürstlichen Einzug hielt, eben damit von ihrem alltäglichen Horizont, an dem es mit funkelnden Edelstein-Farben prangte, verschwunden ist . . .

Ellenor schließt die Lider allmählich so fest, als wollte sie nie mehr die Wirklichkeit ins Auge fassen. Inmitten ihres Glückes, in welchem sie nicht nur aufgeht, sondern sich bereits auch schon zerfließen fühlt, sprießt ihrer Natur, die wohl verpflanzt, aber nicht verändert werden konnte, deutlicher als jemals die Sehnsucht nach der Sehnsucht empor. Indem sie so daliegt und dem Saitenspiel und Springbrunnengeplätscher lauscht, fühlt sie als eine Wahrheit ihres Wesens, daß sie etwas erwarten, erhoffen, etwas als außer ihr stehendes Ziel muß erstreben können, wenn sie nicht mitten auf ihrem Lebensweg in Trägheit und Trauer versinken soll; und mit den Fühlern der Seele fängt sie an, den Kreis der Möglichkeiten abzutasten.

Ein Kind? Warum sollte sie nicht auch bekommen, was die meisten andern von ihnen bereits haben? Aber obschon dieser Einfall für sie mehr nur erst ein Gedanke ist, ersteht doch dem Blicke ihres Geistes wie mit einem einzigen Zauberschlage das Bild der Heimat, der elterlichen Burg, der Eltern selber – und sie sieht sich ihnen entgegenschreiten, das Kind wie einen Gewinn der Ferne, der sie doch an die Quellen ihres eigenen Lebens zurückweist, warm in den Armen tragend. Und verschwunden ist der Mann, dessen Antlitz noch eben wie das eines Gottes über ihr schwebte: sie selber ist es jetzt, die sich in ihren Träumen 311 mütterlich über ein neues Leben neigt und ihm mit ihrem Lächeln ein Lächeln zu entlocken versucht; und schon zum voraus erfährt sie so, an sich selbst, daß der Mensch nie rascher seines Schöpfers vergißt, als wenn er anfängt, selber schöpferisch zu werden.

Da ertönt jene einförmige, aufpeitschende und doch zugleich einschläfernde Flötenmusik, die sie so gut kennt und die das Leben, das sie führt und immer mehr führen wird, so gut malt. Eine nach der andern von ihren Mitschwestern erhebt sich und beginnt, sie unter der immer wärmeren Vormittagssonne im Reigen zu umtanzen; und wie sie es schon so oft miterlebte und nun schon zweimal selber tat: sie hat sich zu erheben, sich dem fröhlichen Tanze durch den Garten anzuschließen bis nach dem großen Baderaum, wo sie die Kleider abwerfen, alle miteinander in das Wasser hinabsteigen und in kindlichem Spiele jene Harmlosigkeit zurückgewinnen, in welcher sie wie Blumen ihr Leben leben. Und wenn nun heute Abend der silberne Schleier einer andern gebracht wird? Oder wenn ihr Herr und Gebieter morgen auf eine wochenlange Reise auszieht? So liegen wieder Monate vor ihr, wo sie gleich einer Gefangenen unter den Arkaden mit den zierlich gewundenen Säulen, oder zwischen den Bäumen und Büschen des Gartens, oder um den ewig gleich plätschernden Springbrunnen herumwandern darf und sich des Heimwehs, das wie ein wachsender Schatten in ihre Seele eingetreten ist, je länger je weniger wird erwehren können.

Und das alles wird so gewiß über sie kommen, als sie jetzt das noch morgenkühle Wasser umschauert und die Scherzrufe ihrer Schicksalsgenossinnen sie umschwirren . . . 312

 


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