Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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47. Frau Adelheids Gram

Der Burgherr sitzt schmausend bei Tisch. Frau Adelheid schenkt ihm aus der großen Zinnkanne den rotglühenden Wein in den Becher; Frau Adelheid legt ihm den blutigen Braten auf seinen Teller. Aber in ihrem Herzen sieht sie die Schätze ihrer Liebe brach liegen, mit denen sie gern einem andern den Tisch der Lust decken möchte.

Wo mag er jetzt reiten in weiter Welt? Was ist sein Erleben unter den Hunderten, Tausenden von Knaben und Mädchen, die das Kreuz genommen haben? Wird sie sein blondes Haupt je wieder vor sich sehen; je wieder seine junge, klingende Stimme hören, die so süß um ihre Gunst zu flehen wußte, so hold für sie zu danken verstand?

Aus dem Hof herauf prickelt Saitenspiel. Ein fragender Ruf dringt bis in den Speisesaal herein und an ihr und ihres Mannes Ohr. In die Türe tritt bescheiden der neue Knappe: »Ein fahrender Sänger bittet um Gastrecht!«

»Bringt ihn her, den Hungerleider!« ruft gutgelaunt der Burgherr. Und zu seiner Ehefrau gewendet: »Den will ich gerne füttern, der dir mit seinem Liede wieder einmal ein Lächeln auf die Lippen zaubert! – Seitdem der deutsche Lümmel zum Danke dafür, daß du ihm etwas Schliff beibrachtest, mit deinem besten Pferde durchgebrannt ist, hast du allen Frohsinn verloren . . .«

218 Der Sänger wird hereingeführt. Ein junger Klosterschüler, der die Welt durchreist: des Lebens Notdurft erbettelnd; des Lebens Glanz verschenkend. Man sieht ihm an, daß er holde Mären zu künden versteht und trotz seiner Jugend recht wohl weiß, was im Dämmer der Seele für Wünsche leben.

»Sitz zu – und iß und trink!«

Und der Jüngling setzt sich; und ißt und trinkt mit seinem Anstand. Wenn seine Verse nicht schlechter sind, so werden sie zart genug über die goldenen Wolkenberge der Sehnsucht hinfingern, um ihren Schimmer einzufangen! Und seine Blicke wandern derweilen vom Burgherrn zur Burgherrin und suchen behutsam hinter ihre Alltagsmaske zu gelangen: gleichwie ein Falter, der in einen neuen Garten geraten ist, mit den Fühlern erst die fremden Blüten abtastet und heimlich den Kelchesgrund nach Süß oder Bitter fragt . . .

Da poltert Lärm die Stiegen herauf. Ein Knecht mit erhitztem Gesicht keucht herein – »Herr, der weiße Hirsch ist wieder im Gehölz!«

»Hussa, so jagen wir ihn!« ruft dröhnend der Graf. »Du, Adelheid, wirst dich nicht langweilen mit dem Sänger hier . . . – Aber, Bürschlein, daß du nicht etwa glaubst, du könnest mir Hörner aufsetzen unterdessen! Ich sage dir's nicht zur Warnung; nur damit du dir keine vergebliche Mühe machst. Hahaha . . .«

Und fort ist er zur Tür hinaus. Mit schweren Schritten, die sich die Stiegen hinab verlieren.

Wie, seine Frau mit einem andern Mann –? Da mag er ebensogut an den Weltuntergang denken! Daß ein Weib so herb verschlossen sein könnte, hätte er nie geglaubt, bevor er's erfuhr. Eine ewige Jungfrau! Selbst ihm gegenüber! – Und mit Knechten und Hunden stürmt er den Burgrain hinunter . . .

219 Droben aber sitzt Frau Adelheid tief zurückgesunken in ihrem Stuhl. Jetzt ist die Aufregung im Hof verklungen; jetzt ist die rote Blutwelle, die ihr bei den Worten ihres Mannes in das Antlitz schoß, wieder zerronnen. Bleich liegt sie da; und ihre schwarzen Augen und schwarzen Haare stehen um so dunkler zu ihrer weißen Haut.

»Was wollt Ihr, daß ich Euch singe, Herrin?«

Durch das offene Fenster herein weht der Sommerwind. In blaues Himmelslicht ist die Landschaft getaucht; ein silberner Schmelz umduftet Wälder und Felder. Aber ihre Lider sinken langsam herab und verbannen die Wirklichkeit des Tages –

»Sing mir ein Lied von der Nacht!«

Leise flüstert sie die Worte. Und der junge Sänger greift nach der Laute. Und er steht vor ihr im Saal, ein Künder dessen, was ein sehnendes Herz verschweigt . . .

Wenn sich des Mondes kristallene Ampel
Spät von den Bergen emporhebt
Und von dem rötlichen Lichte der Schwester
Sanft wird am Himmel erleuchtet;

Wenn aus den Tälern die raunenden Lüfte
Lind um die Hügel sich schmiegen
Und aus zerflockenden Wolken im Westen
Hesperus freundlich uns zuglänzt:

O, dann fühlt sich vom Klange der Saiten
Wohlig die Brust überwältigt;
Fühlt sich verwandelt das Herz, das versengte,
Ewig nach Liebe nur dürstend . . . 220

Ach, wie beseligend ist doch des Schlafes
Balsam, den Sternen enttauend,
Wenn er der Sorgen Gedränge beschwichtigt
Und auch die Stürme der Schmerzen!

Schleicht er sich durch die geschlossenen Augen,
Ähnelt er Wonnen der Wollust,
Gleichwie wenn, matt vom Umarmen, die Sinne
Mählich im Dunkel erlöschen.

Dann siehst im Traume du reifende Saaten,
Wogend vom Winde gefächelt,
Murmelnde Bäche, die Wiesen durchfließend,
Kreisende Flügel der Mühlen;

Und du durchwandelst die Sommergefilde,
Arme um Rücken geschlungen,
Schweigend von seligen Engeln begleitet,
Weit in die schmelzende Ferne . . .

O, wie beglückt uns Hinübergleiten
Herzlicher Liebe zum Schlummer!
Doch wieviel holder ist nachher die Rückkehr,
Tief-erquickt atmend, zur Liebe!

Der letzte Ton ist verklungen. Mit geschlossenen Augen liegt Frau Adelheid in ihrem Stuhl zurückgelehnt: hinter ihren Lidern hält sie die Nacht – die Nächte! – gefangen, in denen sie zum erstenmal lebte; und ihre bebenden Nasenflügel und zuckenden Lippen verkünden, daß sie das wie im Traume wiedererstandene Glück nicht mehr aus den Armen lassen möchte. Der junge Sänger aber betrachtet sie und erkennt, wie der Klang seiner 221 Saiten im Saitenspiel ihrer Seele ein anderes Lied geweckt hat, dessen stummer Melodie zu lauschen ihm der schönste Lohn für seine Kunst ist . . .

Da schlägt die stolze Frau ihre dunklen Augen auf. Wie ein Frost fällt die grelle Wirklichkeit auf ihr Antlitz: der heimliche Frühling verdorrt und verschwindet aus ihren Zügen, die wie durch einen bösen Zauber um Jahre altern. Und ein prüfend strenger Blick umfängt den geduldig harrenden Jüngling, ob er etwas – und wieviel – von dem Geheimnis ihres Herzens erraten habe.

Dann aber eilt ihre Sehnsucht wieder nach Süden; dorthin, wo der Sommer noch heißer ist. Reitet er mit den andern durch das versengte Land; oder schwimmen sie schon alle auf dem kühlatmenden Meer? Und sie weiß, daß es keine glühendere Wüste geben kann, als ihre von Liebe verzehrte Seele; und kein beglückenderes Wogenspiel, als die seligen Stürme, die sie einst miteinander erlebten . . .

»Und was soll jetzt dein Lohn sein, eh du weiterziehst?« fragt sie heiser.

»Eine Locke von eurem Haar!« verneigt sich der Schüler in demütiger Bewunderung.

»Nimm – und kehre niemals wieder . . .«

Sie erhebt sich nicht. Nur mit den Blicken folgt sie dem Jüngling, während er den Saal verläßt. Ungeleitet begibt er sich in den leeren Hof hinab, schreitet allein durchs Burgtor hinaus und wie ein Traumbefangener den Rain hinunter.

Da sieht er im Tale vom Wald her dichtgeschart die Knechte des Weges kommen. Sie tragen auf einer Bahre aus Tannästen etwas Schweres in ihrer Mitte: den Burgherrn. Bleich. Tot.

»Vom Felsen gestürzt . . .« 222

 


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