Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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18. Am Gerechtigkeitsbrunnen

Der kupferne Kessel unter der Brunnenröhre auf dem Marktplatz ist längst voll und läuft über. In der Höhe auf dem steinernen Sockel steht die Göttin der Gerechtigkeit mit verbundenen Augen und hält die Wage in der einen Hand. An dem aufgestemmten Schwert, das die andere umfaßt, erlischt das letzte Sonnenfeuer . . .

»Und ich sage euch: Von all denen, die aus unserer Stadt ins heilige Land pilgerten, wird kein Bein mehr zurückkehren! Jetzt sind's dann gerade zwei Jahre her, daß sie mit Kreuzen und Fahnen auf allen Straßen dahinzogen.«

»Ist es wahr, daß Sklavenhändler sie auf ihre Schiffe gelockt und sie, statt sie nach Jerusalem zu führen, in Afrika an die Heiden verkauft haben? Himmel, werden den Mädchen die Augen aufgegangen sein, als sie bei der gottlosen Vielweiberei mitmachen mußten!«

»So hat es kürzlich ein Kaufmann erzählt, dem's ein Geschäftsfreund berichtete, der's selber mitansah. Aber vielleicht sind die meisten gar nicht so weit gekommen, sondern schon vorher den abscheulichen Ketzern in die Hände gefallen, die im Süden Frankreichs ihr Wesen treiben!«

»Ja, und von denen, die über die Berge stiegen, sollen auch viele im Schnee erfroren oder sonst umgekommen sein. Es war nun einmal ein verwegenes, gottloses Unternehmen; und so mußte es auch zu einem üblen Ende führen!«

»Sogar der heilige Vater, sagt man, habe sie heimgeschickt 334 und zu ihnen gesagt: Wartet erst, bis ihr trocken seid hinter den Ohren; und dann laßt gefälligst die jungen Mädchen zu Hause!«

Unermüdlich sprudelt der helle Strahl in dem frühen, lenzkühlen Abenddämmer; rings läuft das Wasser über den Kesselrand. Es dunkelt: die hochragende Gerechtigkeitsgöttin würde bald auch dann nichts mehr sehen, wenn sie die Augen nicht verbunden hätte. Aber hat sie nicht immer noch Ohren zum Hören?

»Früher war's wenigstens so, daß die Kreuzfahrer fromm waren und bei strengen Strafen die Dirnen ihrem Heere fernhielten. Aber was wollt ihr? Hat die Schwertfegerin, als ihren Einzigen der Hafer stach, ihm nicht auch noch die Magd mitgegeben, damit er ja gleich alles bei der Hand habe? Das ist der Geist der Widersetzlichkeit und des Unglaubens, der in unserer Jugend groß geworden ist – und nicht nur in unserer Jugend!«

»Wer weiß: Vielleicht war das so ein früheres Nebenfrüchtchen ihres Eheherrn, das sie sich, solange er lebte, mit Gewalt ins Haus hineinschwatzen ließ und bei der Gelegenheit auf gute Weise loszuwerden hoffte! Das glaubt doch niemand, daß sie das arme Wurm, das zudem noch ein paar Jahre älter ist als ihr Bub, nur so aus Nächstenliebe all die Jahre aufgefüttert habe! Darüber hat man sich doch in der Stadt immer seine Gedanken gemacht!«

»Jesus, dann wär's ja noch halbe Blutschande, wenn die beiden beieinanderliegen! Aber so sind gewiß seinerzeit viele nur deshalb von Hause fortgelaufen, weil sie – zusammenlaufen wollten wie die Katzen im Hornung! Wahrscheinlich war's auch bei den beiden Jungen eine zum voraus abgekartete Komödie! Und da soll sich unsereiner noch wundern, wenn diese Rotte das heilige Grab auch nicht von ferne zu sehen gekriegt hat?«

Das Wasser sprudelt und schäumt und perlt. Die 335 hochherrschende Göttin der Gerechtigkeit ist im Dunkel stehend eingeschlafen; die Sterne glitzern wie eine himmlische Krone um ihr nachdenklich nach vorn geneigtes Haupt. Und der Kessel läuft über, läuft über, läuft über . . .

»Ich hab's ja immer gesagt: Mit der Schwertfegerin ist's nicht richtig! In den andern Familien, wo ihnen Söhne und Töchter gegen alles Verbot durchgebrannt sind, da klagen und jammern sie wenigstens; sie aber läßt in Ruhe den alten Gesellen das Geschäft weiterführen, verzehrt behaglich die Zinsen des Geldes, das ihr Mann einst auf gute Häuser auslieh, und kümmert sich einen Pfifferling um die andern Menschen, die doch auch leben! Ja, in der Kirche selbst, wenn sie kniet und betet, tut sie es auf eine besondere Art, als wollte sie zu verstehen geben, daß sie mit dem Herrgott ein privates Konto habe.«

»Wer weiß: Vielleicht war ihr Sohn auch nur ihr Sohn und ein Kind heimlicher Sünde! Da mag sie halt denken, daß er nicht wiederkehrt sei eine Strafe des Himmels, und sich hübsch still verhalten! Aber nichts ist so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen . . . Gute Nacht miteinander! Ich muß in die Küche; sonst gibt's kein übles Donnerwetter!«

»Gute Nacht! – Gute Nacht!«

 


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