Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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19. Der arabische Bettler

»Was brauche ich mehr, um satt zu sein, als eine Handvoll Reis oder Oliven? Und was mehr, um mich glücklich zu fühlen, als Sonne und blauen Himmel? Da sitze ich auf den Stufen, die zum Wasser hinunterführen: sie sind weiß und warm, so wie auch meine Gewandung weiß und warm ist; und die Welle, die 336 immerzu über sie heraufplätschert, ist wie ein Gruß aus der Ewigkeit. Soll sich doch keiner darüber beklagen, daß er unterdrückt werde, solange man ihm die Freiheit läßt, arm zu sein, die Menschen zu verachten und Allah bei seinem Welttheater in Demut zuzuschauen . . .

Da sehe ich die Schiffe, die mit blinkenden Segeln übers Meer dahergefahren kommen und voneinander so wenig etwas wissen, wie ich von ihnen. Wer merkt es den Güterballen an, wenn sie auf braunen Rücken ans Land geschafft werden, ob sie erhandelt oder geraubt wurden? Und hier naht aus der Wüste die lange Reihe der Kamele; und all die Lasten, die sie tragen, schluckt ein anderes Schiff in seinen Bauch ein, ehe es ausfährt ins hohe Wellenblau. Warum aber schinden sich alle diese Menschen ab, daß ihnen der Schweiß von der Stirne läuft? – Weil sie müssen? Weil sie wollen? – Weil sie nicht wissen, daß der süßeste Reichtum in der Armut liegt und daß Unglücklichsein kein Erleiden, sondern ein Tun ist . . .

Aber am unglücklichsten auf der Welt sind doch diese erbärmlichen Christenhunde, die allen Ernstes glauben, Allah habe nichts anderes zu tun, als auf ihre kreischenden Gebete zu hören. Es ist jetzt gerade anderthalb Jahre her: Da geschah das Verwunderlichste, was ich je erlebt habe, seit ich mir diesen Hafen zum Ort meiner Beschaulichkeit auserwählte: Seeräuberschiffe brachten weiße Kinder, viele Hunderte; und alle glaubten, sie seien in Syrien und näherten sich Jerusalem, das sie das heilige Land nennen. Und warum »heiliges Land«? Weil dort der falsche Prophet Jesus lebte und starb, dem sie anhangen und durch dessen Fürbitte sie wähnen, Allah von seinem Willen abbringen zu können, wenn er ihnen gerade nicht paßt. Als sie aber erkannten, daß sie getäuscht worden waren, da rotteten 337 sich viele zusammen, fielen in die Knie und fingen an zu beten, immer lauter, immer heftiger, bis sie zuletzt wie zornige Tiere fauchten. Wenn schon die Kinder sich so gebärden, wie müssen sich erst diejenigen aufführen, denen der Bart am Kinn wächst?

Diese Christen sind eine niederträchtige Bande. Was ihnen fehlt, ist die eigene Würde und darum auch der Sinn für Würde; vor allem für die Würde Allahs. Sie meinen und behaupten dreist, Allah sei ihr Vater und sie seine Kinder; und darum sind sie auch – wie könnte es anders sein! – so unglücklich, daß sie die Welt und das Leben verfluchen, sobald sie nicht den Einbildungen entsprechen, die sie über sie haben. Sie verwünschen auf dem Tische des Daseins die Oliven; denn sie wollen nun einmal, daß ihnen Datteln vorgesetzt werden. Aber Allah ist Allah – und Mohammed deshalb der allein wahre Prophet, weil er nichts anderes als eben dies lehrte!

Allah ist derjenige Sultan, der sich nicht bestechen läßt. Wie dürfte ich so vermessen sein, zu denken, daß er »das Gute« will und daß dieses Gute gerade das sei, was mir als gut erscheint? Wer von diesem törichten Glauben nicht lassen kann, der muß bei jedem neuen Augenaufschlag aufs neue verzweifeln. Gewiß aber ist, daß Allah handelt, wie er es für gut findet; und darum ist auch das beste für uns, daß wir uns in alles ergeben, was geschieht, und mit Gleichmut hinnehmen, was er uns zu tun aufgibt. Was unsere Gedanken und Gefühle für uns sind, das sind alle lebenden Wesen für Allah: Die Welt ist ein unendliches Gehirn, das in Wirklichkeiten denkt und fühlt; die Welt selber ist Allah.

Eine Weisheit nur gibt es – und auch die stammt von Allah –: Mach keine Umwege! Belaste dich nicht mit Hab und Gut! Verachte das Leben! – Wie müssen doch diese verkauften 338 Knaben schuften und rackern, daß sie der Rücken schmerzt! Warum? Weil man ihnen den Tod androht; und weil sie den Tod fürchten. Ich würde mich lieber selber ins Meer stürzen, wenn ich kein Bettler mehr sein dürfte . . . Wie mag ich lächeln, wenn ich die Menschen um ihres elenden Mammons willen schwitzen sehe, zuerst vor Arbeit, dann vor Angst! Und wie muß ich erst lachen, wenn durch ihre teppichbelegten Säle die Gelehrten und Dichter schreiten und sich Wunder was dünken! Wo sie doch alle – sie so gut wie ich – eines Tages zum großen Kehricht gefegt werden, sobald auf der Tafel der Gegenwart ein neues Gericht aufgetragen wird und neue Gäste sich zu Tische setzen . . .

Einst wird der Hochmut der Christen ein eben so schauerliches Ende nehmen, als sie sich jetzt über uns, die sie die Ungläubigen nennen, erhaben dünken. Je mehr sie predigen ›Liebe deinen Nächsten!‹, um so teuflischere Mittel werden sie ersinnen, diesen ihren Nächsten – und jeder wird eines Tages ›der Nächste‹ sein – zu vernichten. Warum also stets diese Aufgeblasenheit, die doch nur mit einem immer größeren Krach und Knall ein Ende nehmen wird? Wenn ein hungriges Tier – geschweige denn ein Mensch! – zu mir kommt, so teile ich meinen Bissen mit ihm; aber ich mache daraus keine Lehre, die ich der ganzen Welt mit Feuer und Schwert aufzwingen will . . .

Seit ich mich entsinne, habe ich von dem gelebt, was andere wegwarfen; und bin zufrieden gewesen dabei. Solange ich jung war, kam ein Weib zu mir; und sie war mir süß, weil ich stark war. Sie hat mir auch zuweilen unsere Kinder gezeigt – aber nicht ich und nicht sie: Allah hat diese neuen Menschen geschaffen. So mag denn auch Allah wissen, wo sie heute sind! Allah ist groß! Jetzt bin ich ein alter Mann; mein Bart ist grau, 339 und ich freue mich auf den Tag, wo diese Augen genug gesehen haben. Bis dahin werde ich den blauen Himmel und das blaue Meer und zwischen ihnen die weißen Häuser und Kuppeln schön finden und eine reife Frucht nicht ungegessen lassen. Und wo irgendein König zum Fenster hinausschaut, so mag er wissen, daß ich nicht mit ihm tauschte . . .

Doch jetzt ist die Sonne hochgestiegen: die Stufen hier fühlen sich brennend heiß an; und das Wasser ist zum stechenden Spiegel geworden. Ich habe Allah auch heute Morgen aufs neue erkannt und weiß, daß das bunte Spiel, das man Leben nennt, nicht ergründet werden kann und auch nicht ergründet zu werden braucht. Ich will jetzt, wie stets, in den Nachmittagsschatten jener Mauer hinübersiedeln und geduldig darauf warten, bis ein Freund der Armen vorbeigeht und mir eine kühle Melone verehrt, auf daß ich ihm das wünsche, was er selber ersehnt und was ich ohne Mühe entbehren kann . . .

 


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