Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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Zweites Buch:

Deutschland

 

1. Das Gebet des Bürgermeisters

»Herr, mein Gott, sage mir, warum jetzt diese Pest auch über unser Land hereingebrochen ist! Denn ein Werk des Teufels muß es sein und nicht deiner Weisheit, daß auf einmal soviel Jugend sich aufmacht, um nach dem heiligen Lande zu wandern, wo sie doch nichts anderes als ihren Untergang finden kann. Oder ist es eine Prüfung, die du über uns, die Alten, sendest, weil wir diese Jugend nicht genügend in deiner Zucht auferzogen haben?

Sieh, ich bin das Haupt dieser großen Stadt und weiß mich ohnmächtig, dieses Übel zu bannen, das aus Frankreich zu uns an den Rhein gekommen ist als eine Seuche, die die Seelen ergreift, wie andere Krankheit die Leiber. Vor mir erscheinen die Eltern und jammern und klagen, daß ihnen von einem Tag auf den andern Söhne und Töchter hinweggerafft werden, sie wissen nicht wie. Noch am Abend sitzen sie alle miteinander bei Tisch; kein Wort und kein Blick verrät, daß sie etwas im Schilde führen – und am Morgen steht ihr Bette leer und sind sie verschwunden, niemand weiß wohin.

Ich habe als Bürgermeister ein strenges Verbot erlassen; aber die Wirkung ist, daß seither nur noch mehr davonlaufen. Ich fange fast an zu glauben, daß wir nicht zu milde, sondern zu strenge gewesen sind mit unsern Kindern; daß wir zu wenig darauf achteten, was der Seele der Jugend nottut. Aber kann man Menschen aufwachsen lassen, ohne ihnen beizeiten die Furcht vor dem Gesetz beizubringen? Wenn es irgendwie ein 244 Zauberwort gibt, mit welchem eine dunkle Macht ihre Herzen ergreift, willst du, Herr, mich nicht jenes andere Wort lehren, das diesen Zauber niederschlägt und unschädlich macht?

Es sind Söhne und Töchter aus den ersten Familien unter ihnen; und vor allem Kinder, unmündige Kinder. Was ist es, das jenen die Größe und den Wohlstand ihres Geschlechtes auf einmal verächtlich, diesen den warmen Schutz des häuslichen Herdes als lästigen Zwang erscheinen läßt? In Frankreich führt sie ein Hirtenknabe an, der von Christus einen Brief erhalten haben will; aber bei uns soll es ein zehnjähriges Büblein mit Namen Nikolaus sein, das wie ein Götze betend auf einem elenden Karren sitzt und alle, die es sehen, hinter sich herlockt. Ich habe Häscher ausgesandt, diesen kleinen Propheten zu fangen (doch sie haben ihn nirgends finden können!); und diejenigen, die ich angestellt habe, um die fremden Kinder, die bei uns durchziehen, anzuhalten, daß sie ihren Eltern zurückgegeben werden, wagen es nicht, Hand an sie zu legen: denn kaum daß so ein Zug herannaht, so verliert männiglich den Verstand und öffnen sich ihm die Tore von selber; und das Volk geleitet diese Besessenen gleich einer Ehrenwache durch die Stadt und bringt ihnen Nahrung und Kleider, damit sie weiterpilgern und ihren unbegreiflichen Willen ausführen können.

Wenn aber dieses alles wirklich dein Werk ist, o Gott – und ich fange fast an, es zu glauben! –: willst du damit uns Grauköpfe beschämen, weil wir keiner großen Taten mehr fähig sind und unserm Glauben nur noch soweit über uns Macht geben, als wir unseres Erfolges sicher zu sein vermeinen? Ich habe getan, was ich für meines Amtes hielt und darum mir einredete, es tun zu müssen; aber ich werde es nicht weiter tun, weil ich das Nutzlose meines Handelns eingesehen und darin deinen Wink 245 erkannt habe. Nimm dann aber auch du von mir die Verantwortung, die ich für diese Stadt auf mir lasten fühle, und gib mir ein weiteres deutliches Zeichen, daß diese Jugend, die uns nicht mehr gehorcht, wirklich dir gehorsam ist und deshalb nicht nach unserm kurzsichtigen Erdenmaßstab gemessen werden darf. Führe das Unternehmen dieser Unmündigen zu einem guten Ende, damit wir, wenn auch erst hintendrein, einmal mehr die Unerforschlichkeit deiner Wege erkennen und die Fülle deiner Weisheit preisen! Herr, sieh, ich bin alt: sei mir gnädig und erlöse mich aus meinen Zweifeln. Amen.«

 


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