Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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4. Albrecht als Hufschmied

Sie sind den ganzen Tag, mit nur wenigen Rasten, auf staubiger Straße durch die goldene Herbstfeier gewandert.

Aber mit wieviel bessern Gefühlen als bisher, da es nach dem Meer, nach der grenzenlosen Ferne ging! Und wenn auch noch immer die sommerlich braungebrannte Heide sie umgibt: in ihnen selber, in ihrem Innern, sprießt ein neuer Frühling.

Jetzt streben sie nach dem deutschen Norden zurück. Der alten Heimat zu, die sie ein jedes mit einsamem, unerfülltem Herzen einst verließen. Und die sie sich nun mit vereinten Kräften und als wohlerworbenes Gut zurückgewinnen wollen . . .

»Diese Bettelei in Hudeln und Fetzen kann nicht so weitergehen!« bricht Albrecht auf einmal das gewohnte Schweigen. »Sobald ich Arbeit finde, reiß' ich das Kreuz herunter und nehme kein Almosen mehr an!«

»Es wird sich schon etwas zeigen für uns zwei!« versetzt Gertrud im Dahinschreiten. »Und wenn's uns auch nicht gerade behagt: so lange werden wir's schon aushalten, bis wir genug erübrigt haben, daß wir uns nach etwas Besserem umsehen können. Gleich hier in der Stadt, wo man uns Aufnahme in Aussicht gestellt hat, wollen wir nicht um Gottes Lohn, sondern für unserer Hände Werk unterzukommen suchen!«

»Das wollen wir!« bekräftigt Albrecht, indem er die abendlich mild besonnten Mauern, über denen Türme und Giebel aufragen, prüfend betrachtet. »Und wenn einer darnach fragt, so sagen wir, du seiest mein Weib. Bist du auch wahrlich; so gut, 262 wie wenn irgend ein Pfaff uns mit seinen dreckigen Händen zusammengegeben hätte . . . Soll mir übrigens nie vorkommen! Ich habe genug von diesen bluttriefenden Christen . . .«

Gertrud barfüßelt weiter neben Albrecht hin und schaut ihm mit leuchtenden Augen ins Gesicht. Was Albrecht als etwas Selbstverständliches hingeworfen hat, erfüllt ihr, nun es nicht nur von ihr gedacht, sondern auch von ihm ausgesprochen ist, die demütige Seele mit jubelnder Freude. Sie neigt ihr Haupt wie unter einer Last von Glück und blickt auf die Seite, um ihm zu verbergen, daß ihr zwei Tränen über die Wangen rollen.

Dann aber will trotz allem ein schweres Bedenken in ihr aufsteigen. Der Menschen wegen kann sie es leicht entbehren, daß ein Priester sie einsegnet; aber sie möchte wenn immer möglich, und wenn auch durch noch so unwürdige Hände vermittelt, den Segen Gottes nicht missen. Und sie faßt Albrecht nach einer Weile bittend beim Arm: »Glaubst du nicht doch, Liebster, daß es sicherer wäre –«

Da erklingt durch die Dämmerung, vom Stadttor her, ein Ambos von tanzenden Hämmern; und jetzt sehen sie die Funken spritzen und unter einem dunklen Vordach das Feuer der Esse lodern. Eine Schmiede ist an eine große Herberge angebaut, die sich gerade draußen vor den Mauern erhebt: etliche gesattelte Pferde sind an eisernen Ringen festgebunden; und allerlei Kriegsvolk läuft zwischen ihnen hin und her. Sollten da nicht noch ein paar kräftige Arme vonnöten sein?

»Arbeit mehr als genug!« ruft der Schmied, der eben mit der Zange ein glühendes Hufeisen aus der Glut nimmt. »Kannst du Pferde beschlagen, so greif zu – und wir haben alle miteinander früher Feierabend! Die Mannen hier wollen in einer Stunde abreiten!«

263 »Wenn Ihr im Hause auch eine Magd brauchen könnt«, erwidert Albrecht, auf Gertrud deutend, »so will ich wohl Euer Geselle sein!«

»Nur immer herein, Mädel!« lacht die Wirtin, die eben unter der Haustüre erschienen ist. »Du kannst mir gerade auftischen helfen; die Herrschaften haben's eilig mit Aufbrechen . . . Aber du wirst wohl müde sein, denk' ich?«

»Ich bin kein Mädchen mehr, sondern eine Frau! Und das hier ist mein Mann!« gibt Gertrud Bescheid. »Und müde bin ich auch nicht, wenn's etwas zu werken gibt . . . Nur sauber machen möcht' ich mich erst . . .«

Und schon steht sie am Brunnen und wäscht sich Gesicht, Arme und Hände. Und noch bevor sie fertig ist, hört und sieht sie bereits, wie Albrecht ein eben angepaßtes Eisen auf dem rauchenden Huf festnagelt, den ihm ein Kriegsknecht hinhält. Es sind zwar Päpstliche; allein was tut's? Arbeit ist Arbeit! Lohn ist Lohn!

Dann eilt sie zu der Wirtin, welche sie nicht aus den Augen gelassen hat, begibt sich mit ihr in den Keller hinunter und hilft ihr Wein und Speise hinauftragen. Ist das ein Lachen, Fluchen und Waffengerassel, wie sie hinter ihr in die Gaststube eintritt! Diese großen Herren lassen sich nichts abgehen, bevor sie zum Ketzermord ausreiten! Mit den Händen greifen sie nach den Krügen – mit den Blicken aber verlangen sie nach ihr.

»Hoho, Frau Wirtin, was bringt ihr da für eine schöne Schenkmaid?«

Und wo Gertrud einen Krug hinstellt, will jeder irgendwie versuchen, ob sie nicht selber eben so handlich sei; und ob auch der Wein des Lebens sich süß aus ihr trinke. Hier hält ihr einer die linke, dort ein anderer die rechte Hand; Arme legen sich 264 um ihren Leib, um ihre Schenkel; weinfeuchte Schnurrbärte suchen ihre Lippen. So daß ihr das Blut in die Wangen schießt und sie zuletzt hilfesuchende Blicke auf die Meisterin wirft.

»Gemach, ihr Herren, das ist kein Freiwild! Dort draußen steht ihr Mann und hilft Eure Pferde beschlagen –«

»Um so besser!« ruft einer aus dem Chore. »Der Mann unsere Stuten; und wir sein Weibchen . . .« Und ein Gelächter platzt los, daß Kannen und Becher wackeln.

Da zieht die Wirtin Gertrud mit sich hinaus.

»Sie sind wieder alle besoffen!« zürnt sie vor sich hin. »Rasch in meine Kammer hinauf, Mädchen; oder ich stehe für nichts!«

Und sie schiebt sie die Stiegen empor, schließt hinter ihr den Schlüssel ab und will lieber die so willkommene Hilfe entbehren, als daß dem jungen Weibe unter ihrem Dache ein Leides geschähe. Ihr werden die aufgeräumten Ritter schon nicht zu nahe kommen: sie kann sich selber wehren; und sie braucht es nicht einmal. Seit zwanzig Jahren ist unvergessen, wie ihr Mann einmal einen Zudringlichen kreuzlahm schlug.

Gertrud aber, die mit heftig nachklopfendem Herzen am offenen Fenster steht, blickt auf die Straße hinab und sieht, wie aus dem glühendweichen Eisen dumpfe Hammerschläge die Funken durch die Nacht spritzen lassen. Jetzt erkennt sie auch unter den Gesellen Albrecht, der mit dem Schmied am Ambos hantiert; und jedesmal, wenn ein noch heißes Eisen dem Pferdehuf aufgedrückt wird, riecht sie alsbald den brenzligen Horngestank. Und sie bemerkt im Scheine der vom Blasebalg angefachten Flammen, wie dem Liebsten das Wams offen klafft und vorn auf der Brust das braune Dreieck zeigt, das ihm die Sonne eingebrannt hat . . .

265 Dann auf einmal Gelärme von Stimmen aus dem Haus. Die gestärkten Streiter der Kirche kommen ins Freie gestolpert, treten zu ihren Pferden, sitzen mit ihren Knechten auf und reiten davon. Während auf der Esse nur noch ein in sich zusammensinkendes Feuer flämmelt, tauchen die Gestalten von Mensch und Tier in die Nacht ein und verklingt das Hufgetrappel in dem fernen Sternendämmer.

Da knarrt der Schlüssel wieder; und hinter Gertrud geht die Türe auf.

»Du wirst Hunger haben, armes Kind!« nimmt sie die Wirtin bei der Hand und führt sie hinab in die Küche, wo bereits der Schmied unter seinen Gesellen dasitzt und mit zufriedenem Gesicht Albrecht einen Becher Wein hinstellt. Und Gertrud darf sich an die Seite ihres Liebsten setzen; und kurz müssen sie während des währschaften Mahles den Aushorchenden erzählen, wie sie einst mit vielen andern Kindern sich auf den Kreuzzug begaben, zuletzt aber noch rechtzeitig sich auf die Umkehr besannen. Und dann geleitet sie die Wirtin mit der Laterne in eine ordentliche Dachkammer hinauf und wünscht ihnen vor einem großen, breiten Strohbett Gutenacht.

»Heute, glaub' ich, schlafen wir ungewiegt!« sagt Albrecht tief aufatmend und streckt sich aus . . .

Gertrud aber bleibt erst noch auf dem Bettrand sitzen, faltet die Hände und betet lautlos. Und Albrecht, wie er das sieht, fügt im Liegen ebenfalls die Hände ineinander.

»Zu ihm, der uns bisher immer so gut geführt hat!« flüstert Gertrud leise, indem sie wieder aufschaut.

»Amen!« bestätigt er mit Überzeugung und blickt mit ihr zur Decke empor. Dahinter, darüber ist das Weltall; und irgendwo der Schöpfer und Lenker aller Dinge.

266 »Liebster!« beginnt Gertrud noch einmal. »Ist es am Ende nicht doch sicherer, wenn ein Diener Gottes den Segen über uns spricht?«

Und sie legt sich an seine rechte Seite, an seine Brust. Und sie staunen ins Dunkle und sprechen lange nichts.

»Also!« tönt endlich, mit nachgiebigem Ausatmen, Albrechts Stimme in die Stille hinein.

Und alsbald merkt er, wie Gertrud sich in einem ganz neuen, tief beruhigten Heimatgefühl an ihn herannestelt. Und selbst schon halb im Schlafe hört er noch ihre Stimme, die ebenfalls aus beginnenden Träumen herausspricht –

»Wie schön das doch ist in deinen Armen . . . gleich einem Vögelchen im Ei . . .«

 


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