Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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3. Die Kreuzpredigt

Alle, welche einzeln oder in kleinen Gruppen durch die Tore hinausgewandert sind »zum Spiele«, kommen gegen Abend auf der stillen, kaum ergrünten Waldwiese zusammen, die von hohen, noch kahlen Eichenstämmen umragt wird. Aus dunklem Epheu, das den Winter überdauerte, und aus weißen Sternblumen, die durchs vorjährige Laub hindurch den Lenz grüßen, haben viele der Knaben und Mädchen Kränze geflochten und sie sich gegenseitig wie einen Heiligenschein halb dunkler, halb lichter Begeisterung um die Stirnen gelegt; und darunter schauen jetzt die leuchtenden Augen mit gläubiger Entschlossenheit nach dem Führer aus, der ihrer jungen Kraft den Weg weisen wird. Was wollen sie anderes, als was die Jugend 249 fremder Länder auch tut und was wie ein Schicksal, wie ein Seelenfrühling die ganze Menschheit befallen hat? – Still doch, dort redet einer laut, was wie ein leises Geflüster durch ihre Herzen zieht . . .

»Brüder in Christo« – der Jüngling hat einen weithin sichtbaren Felsblock bestiegen – »seid ihr bereit zur großen Fahrt? Wer noch einen Zweifel im Herzen spürt, der kehre um! Dort ist die Stadt mit den festen Mauern und Türmen, wo jeder, der nichts Höheres begehrt, in Sicherheit leben und sterben kann – zusammen mit jenen, die auch nichts Höheres wollen, weil sie längst vergessen haben, daß der Sohn Gottes in diese Welt gekommen ist, um uns zu erlösen von dem, woran sie allein ihr Herz hängen! Sie lassen Christi Grab in den Händen der Heiden und begnügen sich damit, ihre Kinder auf den Glauben an ihn zu taufen und in eben diesem Glauben den Ablaß zu suchen für die Sünden, mit denen sie seinen Lehren zuwiderhandeln. Und was ist ihr höchstes Ziel, wenn nicht auch uns für dieses Sündenleben herzurichten? Auch wir sollen nur daran denken, wie wir einst die Pfeffersäcke in Geldsäcke umwandeln und als nützliche Glieder einer auf dasselbe erpichten Gesellschaft in Amt und Würden alt und steif werden! Sie wollen unser Bestes, sagen sie. Sie wollen unser Bestes töten, sage ich. Denn was anderes ist unser Bestes, als daß wir glühend den Ruf in der Seele fühlen, der uns antreibt, hinzuwandern und den Boden zu küssen, auf dem die Füße des Herrn gewandelt sind?

Spürt ihr jetzt die Wahrheit seines Wortes: Eher geht ein Kameel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel eingeht!? Denn sind die selig, die da um ihr Hab und Gut bangen und sich hinten und vorn versichern wollen in einer Welt, in der nichts als das eine sicher ist: Die Gnade Gottes dem, der sich 250 ihrer würdig zeigt? So denket denn jetzt daran, daß unser Herr selber gesagt hat: Ich bin nicht gekommen, euch den Frieden zu bringen; sondern das Schwert! Nämlich nicht den trägen Frieden satter Sinne, sondern das Schwert der geistigen Entscheidung; des ewig wachen Entschlusses, immer neu und weiter in das Reich Gottes einzudringen. Nicht von dieser Welt aber sei sein Reich, hat er uns selber gelehrt; sein Reich ist das Reich des Herzens mit seiner unversiegbaren Liebe zu allem Lebendigen. Und so hat er auch allen, die lieben, das Glück der Seele schenken wollen, allen Hassenden aber den Krieg verheißen; und darum haben alle Hassenden – alle Heiden – ihm den Krieg angesagt. Wir aber wollen ihnen den Krieg ansagen. Und wie sollte uns der Sieg fehlen, wenn Er mit uns ist?

Von überallher kommt Kunde von dem Wunder, das uns Gewähr sein darf für jedes andere Wunder: Die Jugend hat sich aufgemacht, um in Jerusalem das Friedensreich, das Reich des ewigen Glückes, zu begründen. Diejenigen hinter den Mauern lachen über uns, weil unsere Waffen schwach sind – aber was haben denn sie mit Eisen und Stahl ausgerichtet? Und mögen immerhin unsere Waffen schwach sein, unser Glaube ist um so stärker; und unser sind viele. Über die ganze Erde hin quillt jetzt die Pracht der Blüte hervor: es ist das Opfer, das sie in seligen Schauern Gott darbringt. Brüder und Schwestern, auch wir wollen uns Gott darbringen und von ihm dafür die Gnade empfangen, die er den Vögeln und den Lilien des Feldes gewährt: daß sie sich nicht zu sorgen brauchen für den kommenden Tag, sondern im gläubigen Vertrauen auf ihn ihr Leben leben. Erlöse uns, Herr, von der Kümmerlichkeit derer, die nicht glauben, wenngleich ihre Lippen dein Bekenntnis murmeln; die schinden 251 und schaffen und die junge, heilige Flamme ihrer Seelen verdunkeln und trüben mit dem Trachten nach den vergänglichen Schätzen dieser Welt!

Seht, ihr Brüder und Schwestern, wie die Sonne versinkt hinter ihrer hartherzigen Stadt, diesem Steinhaufen, den Habsucht als ihre Behausung aufgetürmt hat! Laßt uns durch die Nacht, die vor uns liegt, der neuen Sonne entgegenschreiten und immer weiter den Ländern zuwandern, über denen sie aufsteigt! Ihr habt gehört, daß Nikolaus, unser König, schon aufgebrochen ist; wenn ihr mir folgt, so will ich euch ihm zuführen, so wie der Bach sein Wasser dem Strome zuführt, um mit ihm zuletzt das unendliche Meer zu finden, wo es keine Schranken und Grenzen mehr gibt. Und wenn ihr mir folgt, so singt das Lied, das Erlösung heischt aus der dunklen Sünde und Bedrängnis des Alltags; das sie in den Kirchen singen und nach welchem sie selber doch nicht handeln . . . Auf, nach Jerusalem!«

Und alle Kinder erheben ihren Wanderstab und rufen »Auf, nach Jerusalem!«; und die Jünglinge, welche Waffen tragen, schlagen Schild und Schwert aneinander, so daß es ehern durch den Wald dröhnt. Aus dem Lärm aber erhebt sich der innig flehende Gesang junger Mädchenstimmen, die mit weißbekränzten Häuptern von der Wiese auf die Straße hinaustreten: »Kyrie eleison!« hallt es fromm durch die große Kirche des nächtlichen Weltalls, das mit erglitzernden Sternen auf den gewaltigen Kronen der hochstämmigen Eichen ruht. Und der allmählich aufsteigende Vollmond läßt sein Silber auf den kleinen Heereszug herabfallen, der unermüdlich, Stunde um Stunde, durch die kühle Frühlingsnacht dahinwandert, eine sehnsüchtige Schar, welche die Erde flieht, um im Himmel ihre Zuflucht zu finden. 252

 


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