Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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12. Gerettet

»Bist du nun wieder glücklich, liebes Weib?«

Er ist hinter sie auf die Laube hinausgetreten, welche, auf der Rückseite des Hauses, über den schmalen, sanft abfallenden Garten hinweg einen Blick auf blaue Waldberge gewährt, während zu beiden Seiten sich die Flucht grauer Häuserwände fortsetzt. Drunten im Garten spielen zwei Kinder miteinander, ein Knabe und ein Mädchen, ganz vertieft in die Erfordernisse ihrer eingebildeten Welt. Sie wissen nicht mehr, daß sie vor acht Tagen unweit des Stadttores zu Tode erschöpft aufgefunden wurden.

»Gott hat mir zwei genommen und wieder zwei gegeben!« sagt sie leise zu dem Mann in der Gerberschürze, indem sie die Liebkosungen seines Armes schlicht erwidert. »Ich danke dir, daß ich sie behalten darf . . . Die Kleidchen haben ihnen gepaßt wie angemessen! Oft möcht' ich schwören, es sind meine Kinder.«

»Was treiben sie nur den lieben langen Tag?«

»Siehst du nicht: sie setzen ihren Kreuzzug fort, die Närrchen! Der Ententeich ist das Meer, die Enten und Hühner sind die Heere der Ungläubigen; und unser Hund Sultan ist der Sultan Saladin. Und dort unterm Nußbaum liegt Jerusalem – siehst du, sie haben schon ein Kreuz errichtet! . . . . Ist das Schiff bald fertig, daß ihr in See stechen könnt, Jakob?«

280 Der Knabe, der eifrig in einer kleinen Holzkiste einen Mast aufzurichten versucht, schaut empor. »Es fehlt nur noch das Segel. Aber Elsbeth näht so langsam!« – »Wenn du es schneller kannst, hier ist Nadel und Faden! Nur stich dich nicht in den Finger!« lacht das Mädchen, das mit einem alten Leinenresten auf dem Seitenmäuerchen sitzt.

»– Ich habe nun auch herausgefunden, was sie auf den Gedanken brachte, nach dem heiligen Lande zu pilgern!« Die junge Frau tritt von der Brüstung zurück und spricht, wie eine Beichte: »Sie sahen, wie schwer die Mutter für sie arbeiten mußte, und liefen, als sie weg war, einfach von Hause fort. ›Nun kann unsere Mutter ausschlafen!‹ sagen sie und sind ganz zufrieden . . .«

»So weißt du jetzt, woher sie kommen und wo sie hingehören? – Da werden wir Bericht geben müssen.«

Sie nickt. Zugleich aber wird sie ganz bleich; und ihre Augen weiten sich in unaussprechlicher Angst. Mit erhobenen Händen fleht sie: »Nicht wegnehmen! Nicht wegnehmen!«

Der Mann streicht sich nachdenklich den Bart. »Wer spricht denn davon? Wir lassen die Mutter herkommen, sofern sie will. Du hast noch jemand im Haushalt nötig; oder wir können sie anderswo unterbringen . . . Denk, wie dir's zu Mute wäre, wenn deine Kinder hätten nach Jerusalem ziehen wollen und –«

»Sind meine Kinder nicht ins . . . heilige Land gegangen?« Sie hält den tränenschweren Blick forschend auf ihn gerichtet. Ja, das ist die große, bange Frage zwischen ihnen beiden: Wo sind jetzt ihre lachenden, sonnigen Kinder? Dann schlingt sie die Arme um seinen Nacken und legt das Haupt an seine Brust. » . . . Du hast recht. Du bist besser als ich . . .«

Er läßt sie sich ausweinen. Er starrt selber, über ihr weiches Haar hinweg, eine Weile schmerzlich erschüttert in die 281 Vergangenheit zurück. Oder in die jenseitige Zukunft hinein? Vielleicht ist es dasselbe.

»Tröste dich!« sagt er endlich, indem er sie aufrichtet und ihr demütiges Antlitz sucht. »Wenn du eine Mutter glücklich machst, wird sie dich nicht auch glücklich machen wollen? – Glaube mir, die Kinder gehen dir nicht mehr verloren . . .«

Und auf einmal folgen ihre Blicke wieder den Vorgängen drunten im Garten. Jakob hat den Mast aufgerichtet; und jetzt befestigt Elsbeth an ihm die auf ein Querstänglein genähte Leinwand. Und siehe: das kleine Schiff treibt unter der atemlosen Spannung der Kinder, das weiße Segel prall vom Nachmittagswind geschwellt, langsam in die Mitte des Teiches hinaus.

Wird es im heiligen Lande ankommen?

 


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