Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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2. Draußen und Drinnen

Agathe putzt an dem gelben Messingknopf herum, mit welchem das schmiedeiserne Treppengeländer beginnt, das den steinernen Stufen entlang zur Amtswohnung des Bürgermeisters emporführt. Durch das offene Hausportal gleißt die lenzhafte Samstagnachmittagssonne herein; und in seinem Ausschnitt sieht sie über die enge Gasse hinweg, wie in der Küsterwohnung die Marei die hölzerne Stiege herunterwäscht. Hei, wenn ihr die Wangen so glühen wie der Marei, welcher die Schweißtropfen von Gesicht und Hals herabrinnen, dann steht sie wie das Leben selbst im Blust und kann auch einem vornehmen jungen Herrn gefallen . . .

»Soll's sauber werden auf morgen?« ruft sie der Eifrigen zu. Und der gelbe Knopf unter ihrer Hand glänzt wie ein falsches Auge.

»Sauber?« lacht drüben die Marei, die auf der untersten 246 Stufe kniet, und richtet sich mit dem Waschlappen in der Hand auf – »Ist das sauber, wenn morgen von der Kanzel herab gegen das Kreuzfahren der Kinder gewettert wird, und Buben und Mädchen eben jetzt aus den Mauern schleichen?«

»Was geht das mich an?« versetzt Agathe spöttisch und reibt wieder an ihrem Knopf. »Ich habe nicht im Sinn, in Jerusalem mein Glück zu kaufen . . . Übrigens mag's ein jeder dort suchen, wo er's zu finden glaubt.«

»Ist aber doch eine bequeme Einrichtung, um einmal etwas in der Welt herumzukommen!« meint die Marei wieder und schaut aus ihren hellen Augen forschend herüber; und die Grübchen in ihren Wangen vertiefen sich, als hätte der liebe Gott sie dreingekniffen. »Du nähst dir einfach zwei weiße Bänder kreuzweis auf die Brust: so bekommst du alles unterwegs, was du willst, und brauchst weder zu hungern noch zu dürsten –«

»So geh doch, wenn du Lust hast!« wendet sich Agathe voll Hochmut von ihr ab, indem sie an ihren neuen Liebsten denkt. »Du bekommst vielleicht noch einmal mehr, als dir lieb ist! – Ich hab's nicht nötig . . .«

Sie steigt die Treppe hinauf und verschwindet an der schweren, dunkelgebohnten Nußbaumtüre vorbei, durch die man in das Arbeitsgemach des Bürgermeisters eintritt und wo die verworrenen Laute einer tiefen Männerstimme hertönen. Der Bürgermeister hat den Besuch seines Bruders erhalten – Gewiß reden auch die von dem Kreuzfahren der Kinder! denkt Agathe mit einem mitleidigen Lächeln im Weitergehen. Sie macht sich darüber keine Sorgen.

In der geräumigen Stube drin aber fährt jetzt die Faust des Gastes schwer auf die Tischplatte hernieder. » . . . Und ich sage dir, Bruder: Niemand anders als den Pfaffen haben wir das 247 zu verdanken! Glaub mir's doch: Diese Mönche, die in ihren Klöstern sich einmauern und alte Heidenbücher abschreiben und ausmalen; die sich, während sie doch mit Fleisch und Blut noch in diesem Dasein stehen, bereits dem Himmel verkauft haben, der sie aber darum nicht früher bei sich einläßt als andere – sie hassen uns und unsere Kinder, die das Leben von Morgen sind, wie sie das Leben überhaupt hassen! Glaub mir: Es tut ihnen wohl, wenn sie so eine verblendete Schar Knaben und Mädchen in ihr Verderben hineinwandern sehen, wie es einem Neidling wohltut, wenn er die Schafe seines glücklicheren Nachbars auf dem Wege zum Abgrund sieht! Und so gehen sie selber unter das Volk und reizen mit dunklen Worten die Abenteuerlust der Jugend, welche um so mehr auf ihre Rechnung zu kommen hofft, je mehr sie sich ein frommes Mäntelchen umhängen kann! Immer hat es Kreuzprediger gegeben, die uns anlocken und irgendwie zum Opfer bringen wollten; jetzt aber, wo sie sehen, daß wir alten Stockfische nicht mehr in den Köder des Himmelslohnes beißen, machen sie sich an die junge Brut heran, die für alles zu begeistern ist, wenn sie nur herumschwanzen darf . . .«

Aber dem alten Bürgermeister scheint die Erklärung seines jüngeren Bruders doch etwas zu einfach zu sein, als daß er ihr ohne weiteres beistimmen könnte. » . . . Du magst in einigen Ausnahmefällen recht haben; es fehlt gewiß nie an Menschen, für welche jede Art Vernichtung eine teuflische Anziehungskraft besitzt. Aber die kirchlichen Oberbehörden bekämpfen ausnahmslos diese wilde Kreuzfahrerei; und was hülfe auch alle Verführung, wenn nicht in unserer heranwachsenden Jugend etwas lebendig wäre, das ihr halbwegs entgegenkommt? Und glaube mir, Bruder: Es ist nicht das Schlechteste! Ich habe in Gesichter 248 gesehen, die mir ein Herz spiegelten, das ich hätte mein eigen nennen wollen! Denn wenn wir mit etwas die Jugend begeistern könnten, würde sie uns davonlaufen?«

Unterdessen rührt drüben vor der Küsterwohnung die Marei ihre drallen nackten Arme und gießt nach einem Blick auf die frisch gescheuerten, dunkelblanken Sandsteinfliesen den Zuber mit der braunen Brühe in die Gasse aus.

Diese Arbeit hat sie zum längsten gemacht! Jetzt will sie auch einmal erfahren, wie die Welt aussieht! Will noch etwas fürs Gemüt haben, ehe sie unversehens unter den Boden muß . . .

Und sie blinzelt zwischen den hohen Giebeln hindurch nach dem blauen Himmel und rechnet damit, daß das gute Wetter schon noch ein paar Tage anhalten werde.

 


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