Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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34. Mutterliebe

Sie sitzen im Erker und spinnen. Aus der Waffenschmiede hinten im Hof tönt dumpf in das Surren ihrer Räder herein das Gehämmer der Gesellen, in welchen immer noch der gute Geist des Meisters fortlebt, ob er gleich selber schon seit zwei Jahren auf dem Friedhof liegt. Schweigend denken sie beide an den Toten und schauen zwischendurch auf die Gasse hinunter, wo immer wieder wallfahrtende Kinder vorbeiziehen.

Es ist ein schöner, windstiller Tag. Wo eine Fahne vorausgetragen wird, hängt sie schlaff an der Stange; und wo Kerzen brennen, stehen die Flämmchen steil und still. Von Rauchfässern ist ein süß berauschender Geruch in der Luft zurückgeblieben und dringt allmählich durch das halboffene Fenster zu den beiden Frauen herein: zu der alternden Meisterin und zu der jungen Magd.

Da wird in der Tiefe der Stube plötzlich die Türe aufgerissen; und ein jugendlicher Held, mit Schwert und Helm, tritt herein –

»Mutter, ich muß auch mit! – Ich halte es nicht mehr aus in diesem moderigen Nest, wo in der Welt draußen alles, was jung und stark ist, das Kreuz nimmt! – Das hier ist Vaters Schwert, das er sich selbst schmiedete; das hier sein Wams mit dem Kreuz, das er sich selber daraufnähte; das der Helm, den er auf seinem Haupte trug! – Auch er war im heiligen Lande, als er so alt war wie ich: warum ich nicht? – Gib mir deinen Segen, Mutter, und laß mich ziehen!«

Mit diesen Worten hat der Sohn das niedrige Gemach durchschritten und hält vor der ältern der beiden Frauen in strahlend 363 ungebändigter Jugendkraft, die sich an einer großen Aufgabe versuchen will. Gleicht er nicht der Gerechtigkeitsgöttin, die draußen auf dem Marktbrunnen steht; nur daß jene noch um die Augen eine Binde trägt? Aber vielleicht trägt er, der Jüngling, eine Binde um die Augen der Seele . . .

Die Mutter hat zu spinnen aufgehört und blickt in sein achtzehnjähriges Antlitz, in welchem männlich herbe Züge die Weichheit der Jugend zu formen beginnen. Nur ein paar Jahre älter war einst ihr Mann gewesen, als er von dem Kreuzzug Kaiser Friedrichs zurückkehrte und, die Seele reif und schwer von großen Erlebnissen, um ihre Hand anhielt, bereit, für das übrige Leben in einem ruhigen Hafen vor Anker zu gehen! Und nun steht der Sohn, den sie ihm gebar, als sein Ebenbild vor ihr und will das Leben des Vaters noch einmal leben –

»Albrecht!« flüstert sie. Gleichzeitig aber streift ihr Blick das bis in die Lippen hinein erbleichende Antlitz Gertruds, die sie vor langer Zeit als verlassene Waise in ihr Haus aufnahm und längst wie eine Mutter liebgewonnen hat: sie sieht, wie das um drei Jahre ältere, eben voll erblühte Mädchen mit vorgebeugtem Antlitz doppelt eifrig weiterspinnt und nur von der einen Sorge erfüllt zu sein scheint, den Faden nicht abreißen zu lassen. Sie beschattet sich die Stirne mit der Hand, kehrt eine Weile zur Schau in ihr eigenes Innere zurück und erkennt mit unbeirrbarer Wahrheitsliebe, daß nicht nur ihr Sohn, sondern das Schicksal von ihr eine Antwort verlangt und daß es in das einzuwilligen gilt, was doch nicht verhindert werden kann und was verhindern zu wollen vielleicht nicht einmal gut wäre.

Sie erhebt sich, tritt zu dem stumm wartenden Jüngling, legt ihm fast feierlich die Hand auf die Schulter und spricht in sein zweifelndes Gesicht hinein: »Du hast meinen Segen! Rüste 364 dich und zieh aus; kämpfe für unsern Glauben, wenn es sein muß, und mach deinem seligen Vater Ehre! Deiner Mutter aber mach Freude, wenn du als ein Mann wieder zurückkehrst.« Die Stimme stockt ihr in einer Gefühlswallung, die stärker ist als ihre Fassung. »Mehr weiß ich dir nicht zu sagen . . .«

Albrecht blickt sie in sprachloser Überraschung an. Er umarmt sie, küßt sie in stürmischer Freude und sinkt vor ihr auf die Knie: und sie legt mit einem feinen, scharf schneidenden Schmerz im Herzen die Hände auf sein Haupt, von welchem er den Helm abgenommen hat. Dann steht er wieder auf und eilt, ohne sich noch einmal umzublicken, zur Stube hinaus.

Während sie ihm noch nachschaut, obschon sich längst hinter ihm die Türe geschlossen hat, hört sie plötzlich ein leises Schluchzen. Was ihr bereits als Ahnung in der Seele aufkeimte, das steht ihr jetzt als Gewißheit vor Augen: im Erker bedeckt Gertrud mit beiden Händen ihr krampfhaft erschüttertes Antlitz, so daß von ihrem vornübergebeugten Haupte nur die aufgebundenen schweren, blonden Zöpfe sichtbar sind. Und zugleich widerhallt ihr im Herzen alles das, was sie über das Treiben dieser zügellosen Kreuzfahrerjugend schon hat berichten hören und worin sie für ihren Sohn eine noch größere Gefahr erblickt als in dem gewaltsamen Widerstand der Heiden.

»Albrecht zieht ins heilige Land!« sagt sie so ruhig, als wäre nichts Besonderes dabei, indem sie zu der weinenden Magd zurückkehrt. Und wie sie schon wieder nach dem Rocken greift und das Rad anlaufen läßt, fügt sie hinzu: »Ich habe dir eine Heimat gegeben, Gertrud. Erhalte du mir meinen einzigen Sohn, indem du ihn als ein Stück Heimat begleitest! Willst du ihm dienen, ihm nichts, was ihm frommt, verweigern, und ihn so vor den Verführungen der Fremde bewahren?«

365 Gertrud blickt auf. Sie errät ihre Meisterin, sieht wie durch ein Wunder zu gleichen Teilen Glück und Pflicht in ihre Hand gelegt und wirft sich, überwältigt vom Sturm der Gefühle, in ihren Schoß, wie um mit dieser plötzlichen Hingabe ihres jungen Leibes etwas zu geloben, das eine erfahrene und eine ahnende Weibsnatur einander schweigend offenbaren. Dann, wie ihre erste, tiefe Bewegung verebbt ist, erhebt sie Mund und Augen zu dem einzigen Worte: »Mutter!«

»Geh, frag ihn, ob er dich mitnehmen will!« nickt ihr die alternde Frau lächelnd zu – und sitzt auf einmal allein im Erker: so, wie sie vielleicht bald für immer dasitzen wird! Nichts mehr um sie herum wird lebendig sein; nur ihre häusliche Arbeit ihr vor Augen stehen. Und all ihre Gedanken, mit Furcht und Hoffnung, werden in der Ferne weilen.

Und sie hört wieder das Gehämmer aus der Waffenschmiede, wo Reinhold, der treue alte Gesell, welcher schon die rechte Hand ihres Mannes war, auch fürderhin zum Rechten sehen wird; und während sie ruhig das Spinnrad tritt und ihren Faden weiterspinnt, blickt ihr geistiges Auge in ein Gewebe hinein, das so zart und fein ist, daß man den Atem anhalten muß, um es nicht zu zerstören. Von Zeit zu Zeit aber schaut sie auf die Gasse hinunter, wo Knaben und Mädchen mit dem weißen Kreuz auf der Brust vorbeiziehen: und ihr ist, als sei sie die Mutter all dieser verlangenden, von einem fernen Ziele gelockten Jugend. Und über ihre Hände hinweg, die zuletzt unbewußt feiern, forscht sie in den aufblickenden Gesichtern nach dem Schicksal, das sie aus der Heimat forttrieb . . .

»Es ist besser so!« flüstert sie endlich, zu ihrer Arbeit zurückkehrend, vor sich hin. »Jugend will ihr Jugenderlebnis haben; und die Zeiten sind andere geworden . . . Es ist besser so!« 366

 


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