Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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9. Unterwegs

»Wir fahren! – Ich träume nicht. Wir fahren . . .«

Stephan sitzt vorn im Wagen unter dem runden Blahendach, das sie ihm aufgespannt haben, und schaut, während seine bleichen Lippen die Worte flüstern, in die sinkende Sonne hinein, die von rechtsher rotgolden den beginnenden Kreuzzug beleuchtet.

»Wer hätte gedacht, daß in einer einzigen Stadt so viele deinem Rufe folgen und gleich uns das Kreuz nehmen würden!« redet jetzt Lukas in lautem Staunen vor sich hin. »Und hast du bemerkt, wie sie von unserm Kommen bereits Kunde erhalten hatten?«

»Gewiß läuft uns auch jetzt wieder das Gerücht voraus und weckt noch in manchem Herzen die große Sehnsucht, die du in den unsern entzündet hast!« fügt voller Zuversicht Markus auf der andern Seite hinzu. »Wer weiß, in wievielen von den Burgen, die da von den Bergen niedergrüßen, vereinsamte oder verlorene Brüder und Schwestern am Fenster stehen und nur auf deinen Ruf warten, um sich uns anzuschließen!«

Und so fahren und schauen sie in den Abend hinein. Alle drei Wagen sind überdacht und fast wie Wohnungen eingerichtet, so daß man zur Not auch in ihnen schlafen kann; und 38 manche der Neulinge, besonders die kleineren Kinder, werden bereits eines nach dem andern vom Schlummer überwältigt. Nur Stephan hat sich von seiner tiefen Erschöpfung völlig erholt und sitzt, die schmalen Schultern leise von der Muttergottesfahne umwallt, hellwach aufrecht da: er hat die gefalteten Hände in den Schoß gelegt und hält mit der Sonne, welche vor ihnen am wasserhellen Himmel als goldene Kugel untergeht, wie mit dem Auge Gottes halblaute Zwiesprache.

»Sieh, Herr, dein Werkzeug! Du hast mich gerufen; und ich bin aufgestanden und habe die frommen Knaben und Mädchen um mich versammelt. Ein Wind kann uns auseinanderblasen, wenn du es willst; aber keine Macht der Welt uns vernichten, wenn du es nicht willst! Wäre der Mensch nur dazu auf die Welt gekommen, um wie das Vieh zu weiden und wie das Laub der Bäume im Herbst verweht zu werden? Ist uns, daß wir dich erkennen, nicht tief im Herzen Gewähr dafür, daß du uns nach deinem Bilde geschaffen hast und daß wir uns selber diesem deinem Bilde ähnlich machen sollen? Und müssen wir nicht in diesem Erdenleben dir so weit entgegenzugehen trachten, als du selber in ihm uns deinen Sohn Jesus Christus als guten Hirten entgegengesandt hast? Darum so sieh uns denn nach seinem heiligen Grabe unterwegs, damit wir dort von ihm mit solchem Feuer der Liebe getauft werden, daß wir sie nachher für alle unsere Brüder unauslöschlich im Busen tragen und dem Bösen dieser Welt obzusiegen vermögen! Mach, daß wir alle Herzen, die sich noch ihrer göttlichen Heimat erinnern, aufwecken aus dem dunklen Traum der Sünde und sie einreihen in unser Heer, auf daß sie uns beistehen in unserm Kampfe für das Licht und gegen die Dunkelheit. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen . : .«

39 Während Stephan so betet, wird es auf den dahinrollenden Wagen immer stiller und ist in der Ferne die Sonne, nur mit sich selbst beschäftigt, hinter die dunkelblaue Horizontlinie hinabgesunken. Aber er verschließt sich hartnäckig der Erkenntnis, die er aus dem erhabenen Schauspiel schöpfen könnte: daß nämlich in dieser Welt Tag und Nacht unaufhörlich miteinander abwechseln müssen und nichts ewig sich auf einem Gipfel des Lichts ansiedeln, nichts aber auch für immer zum Talgrund der Finsternis verdammt bleiben kann. Zu tief brennt in ihm die Überzeugung, daß Gott eine andere, bessere Welt im Busen trägt, als sie ihm, bei seinem harten Kampfe mit dem Teufel, in der Schöpfung aus den Händen hervorgegangen ist.

Und mit der Seele die rings niedersinkende Dämmerung durchdringend, wittert er in weitem Umkreis alle verwandte Jugend, welche, vom Sonnenstrahl der Hoffnung getroffen und am Borne des Glaubens gespeist, nicht anders ihr bisheriges Leben durchbrechen wird, als Hunderte, Tausende von Samenkörnern, die gestern noch hart und stumpf in der Erde ruhten, heute schon, vom weichen Wehen des Frühlings berührt, aufquellen, die alte Hülle sprengen und mit dem Wunder grüner Keimspitzen ins neue Dasein stoßen . . .

 


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