Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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26. Das goldene Vließ

Zum zweitenmal kehrt er in sein Haus zurück und weiß, daß Iras, die holdeste, goldeste seiner jungen Frauen, ihn nicht mehr erwartet . . .

Hinter ihm liegt wiederum die unendliche Wüste mit dem lautlosen Sand und der schweigenden Sonnenglut, den kahlen Hügelketten und dürren Talmulden, Adlerflug und Löwengebrüll. Hinter ihm auch die immer aufs neue empfundene Ungeheuerlichkeit der Sternennächte, wo zu der Wüste um ihn her wie ein millionenfaches Echo die Wüste über ihm sich auftat, in welcher Allah den stechenden Silbersand fremder Welten ausgestreut hat und von welcher, wie in Ausstrahlung des ehernen Gesetzes, das sie beherrscht, hauchende Kälte herniedersinkt. Hinter ihm endlich das dunkelbohrende Nachdenken über die Geheimnisse des Schicksals, die man aus den Gestirnen zu lesen sich abmüht und doch so leicht im Anblick der leuchtenden Augensterne eines Weibes als etwas Wesenloses und Gleichgültiges vergißt.

Und vor ihm? Die Lücke; die Leere. Das Weh, das er sich nicht merken lassen darf, wo er doch weiß und sieht, wie die übrigen elf Menschenblumen in ihrem ummauerten Myrtengarten nur für ihn schön und lieblich sein wollen. Er zögert einen Augenblick: dann tritt er ein – und sie kommen im Abendschein still und süß in ihren weißen Gewändern 376 herangeschwebt und neigen sich vor ihm. Und er schaut ihnen, wie sie wieder die Blicke zu ihm erheben, prüfend in die Augen, ob er nicht eine heimliche Freude in ihnen entdecke – »Seid ihr nicht froh, daß sie fort ist, die so anders war als ihr?« entfährt es seiner gequälten Brust.

Da geht ein Schatten über ihre kindlichen Gesichter, wie er über die Erde geht, wenn die Sonne sich verfinstert; und gleich erschreckten Gazellen schmiegen sie sich aneinander und flüstern unter sich: »Unser Herr und Gebieter ist krank! Gibt es nichts, womit wir seine Seele erheitern können?« Eine aber, eine schlanke braune Tochter der Wüste, nimmt seine Frage auf, tritt vor ihn hin und antwortet mit Stolz und milder Güte zugleich: »Kein Weib kann dem andern etwas rauben, kein Weib durch ein anderes ersetzt werden. Eben weil unsere Schwester so ganz anders war als wir, so konnte sie dir zu dem, was wir dir sind, noch etwas hinzugeben. Und liebten wir dich, wenn wir uns nicht über alles freuten, was dich freut, dich in der Seele bereichert und dich glücklich macht?« Und eine andere lüftet den Schleier und spricht: »Wir möchten auch nicht, daß du sie jemals über uns vergissest – denn wie könnten wir selber unsere Schwester vergessen? Unser einziger Wunsch und unsere schönste Hoffnung ist allein, daß du, solange du unter uns bist, deines Grames vergessest . . . Erlaubst du, Herr, daß wir dir zum Mahle tanzen?«

Er nickt ihnen Gewährung; und sie begleiten ihn in das von durchscheinenden Steinampeln matt erhellte Gemach, wo die Sklaven die Speisen auftragen, die er, der Mächtige, wie ein einsamer Mann zu sich nimmt. Da, wie ihm zuletzt die Schalen mit den kühlen Früchten gereicht werden, ertönt unsichtbar eine dunkle Musik, die in gebrochener Tonfolge immer 377 auf denselben Klang zurücksinkt – gleichwie selbst die heißesten, leuchtendsten Tage auch immer aufs neue in die ruhende Nacht eintauchen –; und aus den vor ihm ausgebreiteten Teppichen beginnen seine Frauen, in köstliche, farbenglühende Gewänder gehüllt, einen feierlichen Tanz, welcher mit der morgendlichen Frische seiner Bewegungen wie ein gefaßter Eintritt in das Dasein anmutet. Aber heftiger und heftiger wiederholt sich allmählich die gleichförmige Musik, reißt und schwingt die Tanzenden in eine immer größere Glut der Empfindung hinein und wird zuletzt zum Toben und Rasen, das ihre Glieder wie in einem Wirbel der Vergänglichkeit durcheinanderwirft und der andächtigen Seele des Zuschauers offenbart, daß das wahre Leben ein Rausch ist, erhaben über allem Woher, Wohin, Wozu –

Da tritt durch die Türe des Saales der Sklave ein, den Iras auf die Reise mitnahm und der das letzte Mal noch nicht zurückgekehrt war. Der Scheich winkt, die Musik verstummt jäh, der Tanz nimmt zerflatternd eine Ende; und auf dem leeren Teppich steht vor ihm allein der Bote, wirft sich auf die Knie nieder und legt zu seinen Füßen ein verknotetes Schleierbündel. Erst auf eine abermalige, fragende Gebärde seines Herrn entwirrt er es unter den scheu staunenden Blicken der veratmend sich nähernden Frauen – vor ihrer aller Augen liegt das kühlsonnige, zartgekrauste Lockengold, das sie so sehr geliebt hatten und nie mehr anders als in der Erinnerung zu sehen glaubten!

Eine nach der andern knien sie im Kreise nieder, neigen ehrfürchtig das Haupt unter ihrem Schleier und beweinen mit stillen Tränen den Verlust, den sie erlitten haben und der ihnen plötzlich so erschütternd aufs neue zum Bewußtsein gebracht wird. Wie sie dann aber langsam und voll Bangen die Blicke zu ihrem gütigen Gebieter erheben und ihn unverwandt auf 378 das goldene Vließ starren sehen, welches vor ihm liegt wie der letzte Lichtschimmer eines herrlichen Tages, da begreifen sie, daß es, wo jedes Weib dem Liebenden auf eine besondere Art süß ist, für einen solchen Schmerz auch keinen Trost gibt, sondern einzig die Wohltat reinen, durch nichts gestörten Nachklanges. Und eine nach der andern erhebt sich und schreitet lautlos zur Türe hinaus, um den Mann, den sie alle dankbaren Herzens lieben, mit der Erinnerung an ihre verlorene Schwester allein zu lassen und in Demut zu warten, bis er, genesen, selber wieder unter sie tritt und an ihrem Lachen, ihren Küssen aufs neue sein Gefallen findet . . .

 


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